Als Prinz Kendar vom Hafen zurückkehrte, erwarteten ihn zwei seiner sieben Schwestern. Alle anderen seiner Geschwister lebten über ganz Dryadengrün verstreut. Sein Vater hatte die Älteren natürlich sofort verheiratet, um seinen Einfluss zu mehren. Nur die beiden Jüngsten, Crania und Yakrina, hatte er sich für besondere Anlässe noch aufgehoben.
Ob er eine mit Siquotan vermählt hätte?
Kendar nahm sie in die Arme »Bitte bleibt in euren Gemächern.«
Sie sahen sich furchtsam um. »Bruder, was suchen diese ganzen Soldaten hier?«Er erschrak. »Soldaten?« Hatte Fablo entschieden, mit Waffengewalt seine Ernennung zum Regenten zu erzwingen. Nein, das würde Siquotan niemals zulassen. Es musste einen anderen Grund dafür geben.
»Wo warst du denn Bruder?«, wollte die Ältere, Crania wissen und umklammerte den Unterarm ihrer jüngeren Schwester. Natürlich hatten sie Angst um ihr Leben. Immerhin waren ihr Vater und der Erstgeborene am Dryadenturm getötet worden. Sicherlich schwadronierte Erzherzog Fablo hier herum, als wäre es sein Heim.
»Am Hafen. Ich habe die Barken losgeschickt und die Beladung der Karavellen überwacht.«
Und dann war dort diese seltsame, wachsweiße Frau plötzlich vor ihm gestanden, begleitet von einem weiteren Siquotan. Diesmal hatte sich Kendar nicht täuschen lassen. Er hatte es schon länger geahnt, dass die Meerelfen alle gleich aussahen.
Wie selbstverständlich hatten die beiden abgewartet, bis neben der Stammbesatzung auch die Seesoldaten mit den Arkebusen an Bord gegangen waren. Danach hatten sie ihn gebeten, dem Kapitän die Order zu erteilen, dass sie das Kommando übernehmen würden. Natürlich war er ihrem Wunsch nachgekommen. Die Eiselfe hatte sich an den Bug des Schiffes gestellt und der zweite Siquotan hatte den Matrosen aufgetragen die Segel zu setzen.
Doch von welchen Truppen sprachen seine Schwestern? »Wo sind die Soldaten?«
»Erzherzog Fablo hat sie im großen Ratssaal versammelt«, erklärte ihm Yakrina. »... und der blaue Mann mit den spitzen Ohren ist auch dort.«
Siquotan? Kendar schüttelte sich. Warum hatten sie ihn nicht eingeweiht? Er erinnerte sich an die leise Unterhaltung zwischen dem Multiplex und dem Erzherzog. Das war also der Grund für das Getuschel gewesen. Sie hatten gewusst, dass er niemals zugestimmt hätte, einfache Soldaten der Garnison in den Palast einzulassen. Das eröffnete jedem Umsturz Tür und Tor.
»Ich kümmere mich darum.«
Er winkte zweier seiner Ordonanzen und machte sich auf den Weg in den großen Ratssaal. Auf den Weg dorthin wurde ihm berichtet, dass man eine Magd bewusstlos in einem Weinkeller gefunden hatte. Er blieb stehen. »Sind die Zugänge zu den Kerkern gesichert?«
»Ja, aber in den letzten Wochen hat euer Vater auch die kleinste Zelle vollgestopft. Es ist denkbar, dass einer im Getümmel eines Gefangenentransports in die Kellergewölbe entkommen ist.«
»Kümmert euch darum und durchkämmt die Weinkellereien und die Vorratslager.«Auch das noch. Bevor Garl IV zum Dryadenturm aufgebrochen ist, war ihm bereits aufgefallen, dass man in die weitläufigen Kerker unter dem Palast die Obdachlosen und Bettler der ganzen Stadt verbrachte.
»Soll unsere tausendjährige Gründungsfeier etwa durch dieses Gesindel besudelt werden?« Garl hatte gelacht und ihn dann einfach stehengelassen.
Sobald er Zeit fand, würde er die Inhaftierten wieder freilassen. Es gab keinen Grund, dass die Ärmsten der Armen nicht auch an den Feierlichkeiten teilnehmen sollten.
Er erreichte den großen Ratssaal. Die beiden Wachen erkannten ihn sofort und öffneten die Tür. Zutiefst beunruhigt betrat er die langgestreckte Halle. Dort standen in fünf Reihen etwa vier Dutzend Soldaten in Habacht-Stellung. Erzherzog Fablo schritt die Front der Männer ab, bis sich Kendar ihm in den Weg stellte.
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Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe (Band 2)
FantasyBand 2 Nach den Ereignissen im Schattenwald hat sich Cyriana, verborgen vor den Augen des Ordens, im Norden Dryadengrüns niedergelassen. Doch auch hier kommt sie nicht zur Ruhe. Mysteriöse Träume suchen die Hexen heim und als Aratica entführt wir...