Lajetans Pläne

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Nachdem Lajetan das alte Pergament lange und ausführlich studiert hatte, rollte er es zusammen und reichte es zufrieden dem glatzköpfigen Ordensritter. »Es könnte funktionieren. Wir werden es versuchen.«

Gremerius von Ordon zögerte. Sein Blick wandte sich dem offenen Fenster zu, durch das die Kaiserfeste gut zu sehen war. »Seid ihr sicher, Großmeister? Sie werden auf uns aufmerksam werden.«

Lajetan zuckte mit den Schultern. »Was auch immer dort drüben umgeht, hat uns doch schon längst ins Visier genommen.«

»Ihr meint das Attentat auf euch?«

Der Großmeister schwieg und betrat den Balkon, von dem aus er den besten Blick auf die Muränenbucht hatte. Schon seit einigen Tagen wagten es die Adeligen nicht mehr, Männer zur Burg zu schicken. Alle, die bislang versucht hatten, die Kaiserfeste zu erreichen, hatten dies bitter bereuen müssen. Natürlich würden es sie nicht lange ausbremsen, denn letztlich ließ die Gier nach dem Thron sie sämtliche Vorsicht vergessen.

Leider wuchs währenddessen der Druck auf ihn unaufhörlich, zuzustimmen, einen König aus den Reihen der Fürstenhäuser zu inthronisieren. Bislang hatte er alle Versuche in diese Richtung mit dem Hinweis darauf abgeblockt, dass, solange das Schicksal des Herrschers ungeklärt war, der Orden keinen Nachfolger akzeptieren würde. Ohne seine Zustimmung fehlte einem neuen Monarchen die militärische Absicherung. Das wagte niemand.

Selbstredend hatten sich die Aristokratie ohnehin noch nicht auf einen Kandidaten geeinigt. Im Gegenteil. Nachdem der König alle adeligen Familien in der Vergangenheit gleichsam unterdrückt und sogar seine Brüder dem Schafott übergeben hatte, gab es keinen einzigen profunden Bewerber, der herausstach.

Einige Adelshäuser verlangten, der Orden solle dahingehend einschreiten, die Wahl im Sinne der jeweiligen Familie zu beeinflussen. Es gab keinen kürzeren Weg ins Chaos.

Lajetan vom ewigen Quell hatte daher sämtliche Ersuchen abgewiesen. Er beharrte zudem darauf, dass die jetzigen Machtverhältnisse nicht zur Disposition stünden, und hatte alle Ordensburgen in Alarmbereitschaft versetzt.

Dieses Muskelspiel hatte gewirkt. Der Adel hatte sich zähneknirschend damit abgefunden, abzuwarten. Lajetan spürte, dass diese Ruhe einem Pulverfass mit glimmender Lunte glich, dessen Sprengkraft von Tag zu Tag wuchs. Ihm blieb jedoch nichts anderes übrig, als die Ordnung aufrecht zu erhalten und den absenten König weiter zu stützen. Das Letzte, was er jetzt brauchen konnte, war ein Bürgerkrieg.

Aber je mehr er zögerte, desto näher rückte eben so ein blutiger Nachfolgekrieg, der das Reich zerreißen würde. Sie waren so blind in ihrem maßlosen Ehrgeiz. Anstatt sich gemeinsam dem Feind in der Muränenbucht zu stellen, sah man die Ereignisse als eine glückliche, gar göttliche Fügung an, sich selbst zum neuen Herrscher aufzuschwingen. Gewahrte denn keiner außer ihm die schreckliche Gefahr, die im Hafen lauerte.

Ein Magierchoral webte einen Zauber über das Land. Wer wusste schon, welch finsterem Zweck dies diente. Es kümmerte jedenfalls niemanden. Dabei war der Magierzirkel das eigentliche militärische Rückgrat des Reichs. Glücklicherweise waren weder Dryadengrün, die Südlichen Lande oder die Steppenwüsten in der Lage sich mit ihnen zu messen. Von den Turmländern trennte sie der Schattenwald, dessen Durchquerung unkalkulierbar war. Verblieben allein im Osten die Echsennationen im Titanenwall. Spürten sie die Schwäche des goldenen Reichs, so könnten sie versucht sein, die Gunst der Stunde zu nutzen. Doch auch dann erwartete er nur vereinzelte Raubzüge.

Aber ein Bürgerkrieg würde alles ändern.

Deshalb hatte Lajetan die ganze Autorität seines Ordens in die Waagschale geworfen, erstickte dadurch jegliches Aufflackern eines Aufstands, hoffte, dass das Reich nach außen weiterhin kraftvoll wirkte.

Natürlich würden ihm die messerwetzenden Adelsfamilien nicht verzeihen, sie von der ihrer Meinung nach zustehenden Krone fernzuhalten. Der Orden würde somit die Zinsen seines Verhaltens einst begleichen müssen.

»Mir bleibt keine Wahl«, murmelte er so leise, dass es Gremerius, der geduldig auf seine Befehle wartete, nicht hören konnte. Weder von Ignatus, noch von Dairos gab es Neuigkeiten. Es fiel ihm daher schwer, zu entscheiden, was am besten warf. Sollte er abwarten oder all seine Männer gegen die Kaiserfeste führen? Er seufzte.

»Herr?«

Lajetan hob die Hand. Er musste nachdenken. Niemand kannte sein wohlbehütetes Geheimnis, welches ihm erlaubte in eine mögliche Zukunft zu blicken. Nur deshalb hatte er nach Cyriana geschickt. Sie war der Schlüssel, die Gefahr zu bannen. Doch auch ohne die Bluthexe war er nicht gewillt, tatenlos zu verharren. Er musste Vorbereitungen treffen, handlungsfähig zu bleiben, sollte sie nicht mehr eintreffen.

»Beginnt noch heute«, wies er laut den Ordensritter an und fuhr drohend fort, »und ihr werdet bei Raden-Surs goldener Scheibe mit eurem Leben zahlen, sollte irgendjemand außerhalb der Eingeweihten davon erfahren.«

Lajetan drückte Gremerius von Ordon einen versiegelten Brief in die Hand. »Diesen Umschlag gebt ihr am Galgentor bei zwei blinden Bettlern ab.«

Der Ordensritter nickte gehorsam, steckte die Depesche wortlos ein und verließ auf einen Wink hin eilends die Gemächer. Nachdenklich sah der Großmeister ihm nach. Gremerius war fähig. Ihm stand eine große Zukunft bevor. Und natürlich wusste der junge Mann, wen er da am Galgentor kontaktieren sollte. Der Brief war für die Meuchelmördergilde Perlhafens bestimmt.

Die Kaiserfeste lag drohend und unheilvoll in der Bucht. Verdammt! Wo blieb nur die Bluthexe? 

Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe  (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt