Aufbruch in Leishas Welt

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»Mitkommen«, befahl Fablo und der knapp fünfzigköpfige Trupp sprang sogleich auf. Aratica griff nach dem Helm und setzte ihn sich auf. Keinen Augenblick zu früh, denn der wache Blick des Erzherzogs fiel auf sie, verharrte kurz und schweifte dann weiter. Zum Glück befanden sich unter den Soldaten mehrere Frauen, doch hätte sie das nicht gerettet. Zweifellos würde er sie sofort an ihren Rastalocken wiedererkennen, nachdem sie mit Siquotan und Kendar im Dryadenturm so deutlich sichtbar auf dem Balkon in seiner Nähe gestanden hatte.

Nein, darauf konnte sie verzichten.

Man hatte für sie in einem der ruhigeren Flügel drei miteinander verbundene Räume hergerichtet und sie auf die bevorstehende Mission vorbereitet. Dabei hatte man von einem Rettungseinsatz in einer feindlichen Welt gesprochen. Sie hatte interessiert zugehört, aber nichts Neues erfahren. Die Pläne hatte sie ja schon anderntags mitgelauscht, als sie als Eskorte getarnt forsch den Nocturnen in den Beratungssaal gefolgt war.

In Gedanken hielt sie fest, worin der Plan letztlich bestand. Über das Portal eines jener blauen Bücher sollte ein etwa fünfzigköpfiger Trupp in Leishas Welt überwechseln. Dort angekommen stand ihnen ein gefährlicher Marsch durch kreaturenverseuchtes Gebiet bevor, bis sie einen Ort erreichten, der von einem magischen Sandkreisel geschützt war. Mit Hilfe einiger mitgeführter Fässer voller Seelenelixier sollten sie diese Glocke sprengen. Dahinter befand sich eine schwarze Felsformation, in dessen Kammern die Nocturnen ihr Volk vermuteten.

Selig schlafend, natürlich. Was für ein niedliches Bild.

Jedenfalls sollte ein Portal, bestehend aus Brocken des Hexensteins, aufgebaut werden, dass zurück zu ihren Ausgangsort führte. Danach wollten die Nocturnen ihre Artgenossen bergen und zurückzubringen.

Aratica furchte die Stirn. Irgendetwas passte hier nicht zusammen.

Das große Tor schwang auf und Fablo trat zur Seite. In Reih und Glied marschierten sie an ihm vorbei in den Saal, bauten sich an den Wänden auf. Fasziniert betrachtete sie zwei vollkommen identisch aussehende Siquotans. Sie standen Seite an Seite an einem großen runden Tisch und stritten sich lautstark mit einem hakennasigen Mann mit indigofarbenen Umhang. Etwas abseits lehnte eine schmächtige, grünhäutige Gestalt mit zwei kleinen Hörnern, die aus den Schläfen wuchsen an der Mauer.

»Es ist eure Schuld, Siquotan, dass wir die Kaiserfeste verloren haben«, tobte der Mann mit dem auffälligen Umhang. Auf Aratica wirkte er mit seinen stechenden Augen und der herausstechenden Nase wie ein Raubvogel. »Ich dachte, ihr hättet sie unter Kontrolle?«

»Ihr wagt es, von Kontrolle zu sprechen, Xarop? Hat sie nicht euch, dem großen Bluthexer, mit einem Handstreich den kompletten Einfluss auf den Magierzirkel entrissen?«

Cyriana? Araticas Herz machte einen Sprung vor Freude. Die Druidin lebte also und hatte es tatsächlich geschafft, die Kaiserfeste von den Nocturnen zu befreien. Sie sah sich um. Schade, dass Zurolon das nicht mitbekam. Sie hatte die kleine Drachenschlange schon seit Tagen nicht mehr gesehen, war sich aber sicher, dass das Echslein mittlerweile im Palast herumschlich.

Xarop verschränkte seine Arme vor der Brust. »Und nun, große Multiplexe? Wie wollen wir jetzt vorgehen?«

Die beiden Siquotans sahen sich an, verständigten sich stumm. Einer trat etwas zurück, überließ dem anderen das Wort. »Wir machen weiter, wie es der Plan vorsieht.«

Xarop schnaubte wütend. »Unser Vorhaben bestand darin, sich von Cyriana den Blutzauber geben zu lassen und sie dann davon zu überzeugen, ihn zu sprechen.«

Die Männer zu ihrer beiden Seiten sahen auf und warfen sich ängstliche Blicke zu. Unruhe machte sich breit. Fablo zischte ein Kommando und alle standen wieder stramm. Eine gewisse Nervosität lag aber durchaus noch in der Luft. Immerhin sprachen die Herren offen aus, ein tödliches Ritual durchzuführen.

Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe  (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt