Ein neuer Rekrut

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Nervös kratzte sich Karan oberhalb der Stirn, fand den kleinen Blutsauger und zerdrückte ihn. Das leise Knacken ließ sein Gegenüber aufsehen.

»Hmm.« Der Anwerber musterte ihn lange und aufmerksam. »Ihr seid etwas zu spät.«

Sie standen in einem der kleinen Wachtürme am Rand Moorhafens. Weiterhin kamen viel mehr Menschen in die Stadt, als sie jene verließen. Dabei hatte der Stadtrat längst verfügt, dass nur diejenigen Zutritt bekamen, die einen Platz in einer der Herbergen vorzuweisen vermochten. Karan hatte tagelang gewartet, bis er einen Matrosen auftrieb, der ihm eine Koje auf einem Schiff für die nächsten Tage vermittelte.

»Ihr braucht doch jede helfende Hand zum Gründungsfest.«
»In der Tat, in der Tat.« Der Anwerber zuckte mit den Schultern. »Aber seht euch um, es kamen viele vom Land, die sich hier verdingen wollten. Die Plätze sind alle vergeben.«

Karan schluckte. Hatte er womöglich den weiten Weg von Hanfkoven bis nach Moorhafen unternommen, um nun mit leeren Händen dazustehen? Ohne Dukaten würde er sich hier in der Stadt nicht lange halten und das versprochene Geld seines Vaters lag noch in weiter Ferne. Deshalb hatte er unterwegs auch zwischenzeitlich die Arbeit eines Holzfällers angenommen, um nicht gänzlich mit leeren Taschen anzukommen.

»Ich kann nicht mehr zurück.«

Der Anwerber, ein graubärtiger Veteran mit nur einem Auge, holte aus seiner Gürteltasche ein Stück Kautabak heraus und schob es sich gemächlich in den Mund. Dabei behielt er ihn nachdenklich im Blick. Schließlich gab er sich einen Ruck und streckte seinen Arm aus.

»Nun gut. Erfahrungsgemäß schicken wir einige der Rekruten nach wenigen Tagen wieder heim. Zeigt mir eure Papiere.«

Karan nickte dankbar, nestelte den Lederumschlag aus seiner Umhängetasche und reichte ihn seinem Gegenüber. Mit einem Seufzen nahm die Stadtwache die Pergamente an sich, rollte sie auf und überflog sie kurz.

»Ihr habt das Schmiedehandwerk erlernt?«
»Ja, jedoch leider zu ungeschickt dafür.«
»Schade, für die Esse der Stadtwache suchen wir stets gute Leute.«

Daran hatte Karan auch schon gedacht, aber alles, was er wollte, war niemals wieder den Schmiedehammer zu schwingen. Sein Vater hätte sich totgelacht.

Der Anwerber war gerade dabei das Schreiben zuzuklappen und setzte bereits eine Miene des Bedauerns auf, als sein Blick an einer Stelle der Papiere verhielt.

»Oh.« Er kratzte sich oberhalb seiner Augenklappe und schien nachzudenken. »Ihr seid der Sohn Jutans, des ehemaligen kommandierenden Offiziers der Turmwachen?«

Karan nickte widerwillig. Der Schatten seines Vaters reichte weit.

»Wie geht es dem alten Säufer?« Der Soldat stieß ein glucksendes Lachen aus und vertiefte sich wieder über die Papiere. »Hm.« Er gab ihm ein Zeichen zu warten und ging in die benachbarte Stube. Den gedämpften Stimmen der folgenden Unterhaltung konnte Karan zwar nichts entnehmen, aber als der Veteran grinsend zurückkehrte, entspannte er sich.

»Für den Bengel meines ehemaligen Vorgesetzten findet sich immer ein Platz.«

Er ging zu einer großen Kiste und wühlte darin herum. Schließlich fand er eine passende Uniform. »Die euch zustehende Ausrüstung erhaltet ihr in den nächsten Tagen. Aber ihr solltet bereits jetzt als Rekrut erkennbar sein.«

Er reichte Karan eine rötliche Weste mit dem Streifenmuster Moorhafens.

»Mein Kamerad fertigt eure Papiere an. Wir gehen inzwischen zum Hafen. Dort wurden die beiden Karavellen Prinz Kendars gesichtet. Wir sollen die Fracht zum Palast bringen.«

Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe  (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt