Dunkle Träume

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Etwas griff nach ihr, hielt sie eisern fest. Flucht war sinnlos, ihr Schicksal gewoben.

Sprich ...

Cyriana schrie und fuhr in ihrem Bett hoch, schlug das dünne Laken zurück ... und verhielt zitternd. Ungelenk wischte sie mit dem Handrücken über ihre Stirn, spürte den kalten Schweiß. Wo war sie nur? Sie blickte sich um, sah im Halbdunkel der Morgendämmerung das Innere ihrer karg eingerichteten Hütte. Der Schrank und die Regale voller Ampullen und kleiner Tonkrüge kamen ihr bekannt vor. Es war ihr Heim. Ihr rasselnder Atem kam zur Ruhe.

Entschlossen wälzte sie sich von ihrer Liegestatt, taumelte Richtung Ausgang und brach kurz vor der Tür zusammen. Ihr war so unendlich kalt. Sie zog die Beine nahe an sich heran und umschloss den Oberkörper mit ihren dünnen Armen, beugte ihren Kopf nach vorne, so dass ihr die langen schwarzen Haare vor das Gesicht fielen.

Kalt, einsam ... Tod.

Sie griff nach der Silberkette um ihren Hals, ertastete den grünen Halbedelstein mit dem Lebensfunken ihrer Schwester und atmete auf. Durch eine Klappe in der Wand huschte eine etwa katzengroße Kreatur in ihre Schlafkammer. Sie ähnelte einem kleinen, grünlichen Drachen ohne Flügel.

»Cyriana?«, zischte das Echsenwesen und sprang auf ihre Schulter.

»Alles in Ordnung«, versuchte sie die Drachenschlange zu beruhigen und setzte ein klägliches Lächeln auf.

Zurolon schnüffelte. »Du schwitzt, als wärst du tagelang gerannt oder fieberkrank. Das ist nicht normal.«

Etwas donnerte gegen die Tür, gefolgt von heftigem Klopfen. Ihr kleiner Freund glitt von ihren Schultern und sah sie auffordernd an. »Du solltest aufmachen. Geduld ist wahrlich keine Tugend deiner jungen Schülerin.«

Natürlich. Sie ächzte und versuchte, sich aufzusetzen. Doch ihre Beine gaben wiederholt nach. Aufseufzend ließ sie sich an der Tür zurück auf den Boden sinken.

Das Klopfen verstärkte sich.

»Beim letzten Mal hat sie die Tür aufgebrochen«, stichelte Zurolon.
»Dann halte sie bitte diesmal davon ab. Es hat mich zuletzt einen ganzen Tag gekostet, den Riegel zu reparieren.«
»Als Handwerkerin würdest du mit deinen zwei linken Händen fraglos verhungern.«

Cyriana schloss resignierend die Augen und lehnte ihren Kopf gegen die Wand. Die kleine Drachenschlange flitzte davon. Wenig später vernahm die Druidin einige Gesprächsfetzen an der Tür. Kurz darauf brach der Riegel. Kopfschüttelnd rollte sie mit den Augen und machte den Weg frei, ehe es schmerzhaft wurde.

Krachend flog die Tür zu ihrer Schlafkammer auf und Aratica stürmte herein. Zum Glück hatte sie diesmal darauf verzichtet, einen ihrer Wurfdolche zu zücken. Die junge Frau mit den schulterlangen Rastazöpfen sah sich kurz um und ging dann neben ihr in die Hocke.

»Auf mit dir, Hexlein« Aratica streckte ihr ihre Hand entgegen und dankbar griff Cyriana zu, ließ sich in den Stand ziehen. Ein furchtbarer Stich durchzuckte ihren Magen. Sie krümmte sich schmerzverzerrt.

»Die alte Wunde?« Das junge, rastalockige Mädchen sah mit säuerlicher Miene auf sie herab. Sichtbares Mitgefühl zählte nicht zu ihren Stärken, was aber nicht weiter verwunderlich war, hatte sie doch in den vergangenen zehn Jahren vorwiegend und zum Leidwesen vieler das Handwerk des Meuchelmords ausgeübt.

Demzufolge war die Umschulung zur Heilerin schon ein wahrlich gewagter Akt.

Cyriana horchte in sich hinein. Regte sich die Fäulnis in ihr? In der Tat war die unsichtbare Wunde, die ihre eigene Blutmagie in Geist und Körper geschlagen hatte, nie zur Gänze verheilt. Aber solange sie die Hexerei gar nicht oder nur stark dosiert, ausübte, bestand keine Gefahr. Es waren die arkanen Armschienen gewesen, die sie einst vor einer Entlarvung als Hexe bewahrt hatten und welche ihr die Verletzung zufügten, als sie sich mit ihrer Blutmagie der Yenraven stellte. Zwar hatte sie im Kampf am Hexenstein das Artefakt absprengen können, doch an den Folgen trug sie weiterhin schwer.

Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe  (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt