Zum Rapport

41 7 0
                                    

»Was fällt dir ein?« Die Stimme Garl IV war wie ein Flüstern. Kendar schluckte. Er hatte seinen Vater noch nie so aufgebracht gesehen. Die Kiefer des grauhaarigen Mannes mahlten vor unverhohlenem Zorn.

Wohlweislich hatte sein älterer Bruder, kaum dass er mit Kendar im Schlepptau das Zelt des Regenten betreten hatte, mit einem mitleidigen Blick das Weite gesucht. Leider hatte er ihn viel zu schnell aufgespürt. So stand er, abgesehen von den Wachen, allein seinem Vater gegenüber, der ihm nicht einmal einen Platz angeboten hatte, stattdessen wie einen Lakaien mitten im Zelt stehen ließ.

»Ich tat, was ich für richtig hielt.« Mehr fiel Kendar nicht ein und es war ihm klar, dass diese Verteidigung seinen Vater kaum beruhigen würde.

»Seit wann hat mein Drittgeborener gelernt, sich ein eigenes Urteil anzumaßen?«

Garl IV stand auf und umrundete Kendar, wie ein knurriger, alter Wolf seine Beute. Der junge Prinz schluckte, richtete seine Augen weiterhin starr nach vorne. Einen Blickkontakt mied er. Es hätte seinen Vater nur noch mehr erzürnt.

Die Zeltplane wurde zur Seite geschoben und Siquotan betrat das geräumige Innere. Der Regent warf dem Neuankömmling einen warnenden Blick zu.

»Seid nicht zu streng«, versuchte der Meerelf zu schlichten.
»Auch wenn wir einen bedeutsamen Handel haben, wisset, wo euer Platz ist«, herrschte der Garl IV den Multiplex an. Sein Atem ging rasselnd und das linke Auge zuckte nervös. Er griff an sein Ohrläppchen und zupfte daran.

Mit einem gewinnenden Lächeln auf den Lippen ließ sich Siquotan unaufgefordert auf eines der großen Kissen nieder. Kendar warf ihm einen hilfesuchenden Blick zu. Ihm war jede Unterstützung Recht.

»Er konnte nicht wissen, dass er eure Pläne stört. Ihr habt ihn nicht eingeweiht.«
»Kein Herr schuldet seinem Knecht Rechenschaft«, donnerte Garl IV.
»Aber die Klugheit ist der Bote des Erfolgs«, konterte sein Gegenüber.

Vom Meerelf ging eine stoische Ruhe aus, die jedem im Raum innehalten ließ. Sogar sein Vater atmete tief durch. »Ihr habt ja Recht, werter Siquotan. Selbst wenn Kajats Anspruch anerkannt werden sollte, es ändert nicht mehr viel an unseren Plänen. Andererseits verkompliziert es ungemein die Situation für mich.«

Garl IV winkte eine seiner Wachen heran und flüsterte ihr etwas zu. Daraufhin straffte diese gehorsam ihren Rücken und verließ mit grimmiger Entschlossenheit das Zelt. Stirnrunzelnd sah Kendar dem Soldaten hinterher. Was hätte er nur gegeben, das Gehör des Meerelfen zu besitzen. Er war sich sicher, dass die Ohren des blauhäutigen Mannes jedes Wort genauestens verstanden hatten.

Sein Vater gab ihm den ersehnten Wink sich zu setzen. Aufatmend ließ er sich in die Kissen plumpsen. Garl IV rückte bedrohlich an ihn heran und fletschte die Zähne. »Nun gut, Kendar. Jahrelang warst du ein kuschendes Hündchen. Was versprichst du dir also davon, dich mir entgegenzustellen.«

»Vater, ihr wisst, dass ich vor einem Jahr zusammen mit Cyriana, Aratica und dem Ordensritter Dairos am Hexenstein war. Sie warf den Dolch des Ordens, der Yenraven tötete. Ohne sie wären alle tot. Wir schulden es ihr, für sie einzutreten.«

Der Regent blieb schlagartig stehen. Sein Körper bog sich vor Lachen.
»Das ist es? Dich treibt sentimentale Verbundenheit? Kind, werde erwachsen!«

Kendar verharrte regungslos und biss sich auf die Lippen. Er spürte, dass jetzt jedes Wort gefährlich für ihn war. Er wäre nicht der erste Sohn Garls gewesen, der für einige Zeit den Kerker kennengelernt hätte. Aus den Augen des Regenten sprühte Unverständnis und Verachtung.

»Was vor einem Jahr geschehen ist, ist längst vorbei. Es war nett, dass Aratica uns gerettet hat. Aber soll ich dir etwas sagen? Niemand hier in Dryadengrün bringt ihren Namen oder den dieser Druidin, Cyriana, oder gar deinen in Verbindung mit den damaligen Vorgängen. Der Orden hat Dairos von Ordon als den verheißenen Retter ausgerufen und ihn danach für vogelfrei erklärt ...«

Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe  (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt