Am Sandkreisel

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Siquotan hob die Hand und der Trupp blieb stehen. Zuletzt waren sie etlichen sandigen Ebenen ausgewichen, unter denen wohl besonders gefährliche Kreaturen lauerten. Dazwischen hatte es zunehmend längere Pausen gegeben. Die Hitze forderte ihren Tribut. Einer der Soldaten war zusammengeklappt und nicht mehr zu sich gekommen. Sie hatten ihm den halbleeren Wasserschlauch abgenommen und ihn einfach zurückgelassen.

Schon längst hatte Aratica jegliches Gefühl für Zeit verloren. Waren Stunden oder Tage vergangen, seitdem sie das Portal in Leishas Reich durchschritten hatte? Sie wusste es nicht. Bedauerlicherweise waren auch keine Seelensauger ihrer ausgelegten Blutspur gefolgt. Nicht einmal auf die Kreaturen dieser Welt war mehr Verlass. Nun eröffnete sich vor ihnen eine endlos scheinende Ebene, welche sie keinesfalls umgehen konnten. Der Sand glitzerte im Licht der Sonnen und zwang sie dazu, die Augen abzuschirmen. In der Ferne zogen gelbliche Schlieren durch die Luft. Der Sandkreisel zog hinterhalb dieses Felds seine Bahnen. Sie waren am Ziel und doch so weit davon entfernt.

»Dort.« Einer der Männer deutete auf einige Schemen, die jenseits der Ebene oberhalb am Himmel ihre Kreise zogen. Da waren sie also, ihre Freunde, die Seelensauger.

Maritobi ließ den schweren Sack, den er die ganze Zeit mitgeschleppt hatte, von seinem Rücken gleiten und setzte sich in den Sand. Entschlossen stiefelte sie an den wartenden Männern vorbei. Die Soldaten wichen vor ihr zurück, hatten längst bemerkt, dass sie anders war, keine von Ihnen.

Maritobi deutete nach vorne. »Seht ihr den Sandkreisel?«

Aratica folgte dem ausgestreckten Arm des Wolkenelfs und musterte aufmerksam die wirbelnden Schlieren. »Worauf wartet ihr, fliegt rüber.«

»Anhalten!« Auf ein Zeichen Siquotans hin ließen sich die etwa ein Dutzend Überlebenden, darunter die vier Träger, in den heissen Sand niedersinken. Nachdenklich fuhr sich der Meerelf über das Kinn. »Seht ihr diese sandige Ebene? Das letzte Mal, als ich hier war, waren das noch weitläufige Dünenkämme.«

»Ihr fürchtet die flachen Sandfelder?«
»Ich fürchte das, was darunter lauert, Lady Aratica.«
Sie zuckte die Schultern. »Schön, dann gehts eben wieder nach Hause.«

»Nein. Wir werden es wagen müssen«, versetzte Siquotan leise. Seine Stimme klirrte vor Eis. Was ihm auch immer im Kopf umging, es würde ihr nicht gefallen.
»Schattenkraken?«, vermutete Maritobi.
»Möglich, aber es könnten auch Sandspinnen sein. Sehr ihr diese wellenförmigen Streifen im Sand. Kraken hinterlassen die nicht.«

Die Seelensauger zogen weiterhin unbeirrt ihre Kreise. Es wirkte, als würden sie die Glocke und das, was darunter liegt bewachen.

»Wird eine Ladung Seelenelixier reichen?«, wollte Siquotan wissen.

Maritobi zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Der Sandkreisel ist gigantisch. Vielleicht genügen nicht einmal alle Fässer zusammen.«

»Ihr hattet es doch berechnet?«
»Ich bin Alchemist und Mathematiker, aber nicht in göttlicher Magie bewandert. Und hätten die Nebelsirenen nicht die Beereninseln überflutet, besäßen wir mehr davon.«

Siquotan holte tief Luft. »Dann wäre die Eskorte kleiner ausgefallen. Nun gut, der Liberatus hat vorausgesehen, dass Leishas Wall zusammenbrechen wird. Er irrt nicht.«

»Wie soll dieses Seelenelixier denn helfen können? Das ist doch nur irgendein Säftlein«, hakte Aratica nach. Sie warf einen Blick auf die vier Fässer, die unweit von ihr abgestellt im Sand standen. Wenn sie schnell war, gelang es ihr vielleicht, zwei derart zu beschädigen, dass sie nicht mehr nutzbar waren.

Aber würde das reichen?

»Ihr seid wie ein kleines Kind, Lady Aratica. Maritobi hat das Seelenelixier aus den Früchten der Seerosen extrahiert. Und zwar genau die Substanz, die einst Qritonis geschaffen hat, damit die Magie des Walls die Nebelsirenen durchlässt.«

Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe  (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt