Ribhar sah missgelaunt auf das knabenhafte Mädchen, welches sich ihm dreist in den Weg stellte, es wagte, ihn von seiner Beute abzuschneiden. Sie wirkte fast noch wie ein unschuldiges Kind, auch wenn die Art wie sie wippend eine Holzlatte in der rechten Hand hielt, durchaus zu Vorsicht mahnte. Sie warf ihm aus unergründlich tiefen Augen, in denen sich Schmerz und Wahnsinn spiegelten, einen herausfordernden Blick zu. Ihre Füße suchten einen festen Stand. Unzweifelhaft war sie eine ausgebildete Kämpferin, die er nicht zu leicht nehmen durfte.
Und jugendlich oder nicht, hier am Dryadenturm gab es keine Unschuldigen. Keinesfalls würde er sich zurücknehmen. Vielleicht gelang es ihm, sie mit einer schnellen Attacke auszuschalten, um sich dann seinem eigentlichen Ziel zuzuwenden.
Noch während er aus den Augenwinkeln heraus beobachtete, wie Cyriana und der Meerelf die Treppe erreichten, sprang er nach vorne, wollte die junge Frau zur Seite stoßen, so dass sie über das Geländer in die Tiefe fiel.
Sie duckte sich mit einer ihm unerklärlichen Geschmeidigkeit weg, ließ ihn ins Leere laufen, rammte ihm stattdessen ihr Knie in den Bauch und stach mit dem spitzen Ende der Holzlatte zu.
Den Schmerz in der Magengrube ignorierend sprang er gedankenschnell zur Seite und entging somit ihrem Stich nur um Haaresbreite.
»Fixer Knabe! Ein Tänzchen?«, trällerte die rastalockige Frau vergnügt und zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »Ich heiße übrigens Aratica.«
Verhöhnte sie ihn? Ribhar musste sich erst um dieses Problem kümmern, ehe er der Bluthexe und dem Nocturnen folgen konnte. Auch wenn die knabenhafte Gestalt fast noch ein Kind war, würde sie dafür büßen müssen, sich ihm in den Weg gestellt zu haben. Er seufzte. Anders als Valaria, die alle Landbewohner hasste, hatte er viele gute Seelen im vergangenen Jahr kennengelernt.
Der Mut der jungen Kriegerin imponierte ihm. Er entschied sich, ihr eine Chance zu geben. »Wenn ihr jetzt den Weg freigebt lasse ich euch ziehen. Verschwindet, ehe die Kobolde euch holen.«
Statt einer Antwort schlug Aratica mit dem Holzpfahl erneut zu. Elegant tauchte er unter dem Streich durch, drehte ihre Hand zur Seite und entriss die Waffe. Danach stach er, ohne zu zögern sofort zu.
Das spitze Ende des Pfahls hätte die knabenhafte Frau in der Brust treffen sollen, verfehlte sie aber knapp, da sie sich blitzschnell fallen ließ. Den Schwung des Hiebs ausnutzend, rollte er über die fallende Assassine hinweg und trat mit seinem Fuß zu.
Das rastalockige Mädchen schrie kurz auf, als der Tritt sie schmerzhaft im Rücken erwischte und nach vorne schleuderte. Ribhar sprang behände in den Stand, wirbelte herum und deckte die junge Kämpferin, die ihren Sturz nutzte, um sich zwei am Boden herumliegende Holzlatten zu greifen, mit wilden Schlägen ein. Jeder Hieb mit der Latte zielte auf ihren Kopf und die Wucht hätte diesen gespalten.
Gekonnt parierte die junge Frau mit den beiden aufgegriffenen Hölzern Angriff um Angriff oder wich einfach aus. Allerdings verlor sie mit jeder Parade ihren Stand und war gezwungen, zurückzuweichen.
»Ihr steckt voller Überraschungen«, murmelte er. »Aber letztlich werdet auch ihr fallen.«
Wuchtig prallte Aratica gegen die Balustrade, welche daraufhin verdächtig knirschte und erste Risse zeigte.
Dann eben so. Entschlossen setzte er nach, stieß mit dem Stiefel kraftvoll zu und traf sie frontal im Bauch. Berstend zersplitterte die Brüstung. Der jungen Frau gelang es nicht mehr, einen der übriggebliebenen Holzpfosten zu greifen und so stürzte sie mit dem Geländer in die Tiefe.
Sofort drehte sich Ribhar um. Ein Sturz aus dieser Höhe sollte für die Assassine tödlich enden und selbst wenn nicht, würde sie direkt neben Valaria aufschlagen, deren Schattenkobolde sich um sie kümmern würden.
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Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe (Band 2)
FantasyBand 2 Nach den Ereignissen im Schattenwald hat sich Cyriana, verborgen vor den Augen des Ordens, im Norden Dryadengrüns niedergelassen. Doch auch hier kommt sie nicht zur Ruhe. Mysteriöse Träume suchen die Hexen heim und als Aratica entführt wir...