Über einen bekiesten Weg, der hinunter zum Fjord führte kamen mehrere Menschen heraufgehetzt. Panisch stoben sie in alle Richtungen davon. Einige rannten direkt auf sie und ihren Karren zu.
Jutan ergriff seinen Streithammer und küsste liebevoll den eisernen, dornenübersäten Kopf. Dann richtete er sich drohend auf.
»Wohin führt diese Abzweigung?«, fragte Cyriana.
»Weiter unten liegt ein Fährhafen. Hier am Fjord gibt es derer viele. Dieser hier ist aber nur noch gelegentlich in Betrieb. Man hat ihn ...«Eine der Gestalten umkurvte den Karren, sah das angebundene Pferd und griff danach. Ribhar sprang von der Ladefläche und gab dem Mann einen groben Tritt. »Verschwinde.«
Angesichts des Hammers in Jutans Händen machten die Menschen einen großen Bogen um den Karren und rannten den Weg weiter. Wenig später lag die Straße wieder wie ausgestorben vor ihnen.
Cyriana wurde blass. »Hört ihr das?« Dumpfe Schreie drangen aus der Tiefe verzerrt an ihre Ohren.
»Was bei allen Göttern ...«
Sie konzentrierte sich und wirkte einen druidischen Zauber, der ihr Gehör einer Fledermaus gab. Sie hielt den Atem an. »Kinder«, hauchte sie. In ihrem Geist sah sie wieder die brennenden Höfe und die zerschmetterten Körper der Menschen ... und das Wimmern derer, denen sie Mutter und Vater genommen hatte. Ehe irgendjemand reagieren konnte, sprang sie aus dem Karren und rannte den Pfad entlang in den Nebelfjord hinunter. Aus den Augenwinkeln sah sie den alten Schmied zögern.
Cyriana sah nicht mehr zurück. Es war ihr egal, was Jutan und die Geschwister taten. Diese Schreie! Wer auch immer dort unten war, war in Lebensgefahr. Die Kieselsteine unter ihren Schuhen waren nass und glitschig. Mehrfach gelang es ihr gerade noch, ihr Gleichgewicht zu halten. Aratica wäre hier wohl problemlos vorwärtsgekommen, vermutlich hätte sie den rutschigen Untergrund genutzt, um sogar schneller ans Ziel zu gelangen. Sie verwünschte ihr Ungeschick, rannte weiter, stolperte, fiel zu Boden. Mühsam stemmte sie sich auf. Niemand kam ihr mehr entgegen, aber die Schreie wurden lauter und deutlicher.
Der Nebel wallte immer dichter um sie herum. Irgendwo, verborgen im Dunst, brach ein langgezogener Schrei jäh ab. Ihre Füße trampelten über Holz. Sie sah sich um. Einige kleinere Holzhütten wurden schemenhaft sichtbar. Kaum wahrnehmbare Gestalten stoben durch die wogenden Schwaden, stießen mit langen Stäben irgendetwas zurück ins Wasser.
Sie erreichte das erste Haus. Ein Mann lag verkrümmt am Boden, seine gebrochenen Augen starrten überrascht auf den Fjord hinaus.
Etwas huschte über die Planken der Anlegestelle. Ehe Cyriana genauer erkennen konnte, um was es sich handelt, wurde sie von jemandem zurückgerissen.
»Geht zurück, sonst werdet ihr gestochen.« Ein Fährmann trat aus dem Dunst und stach mit seiner langen Stange nach einer nur vage erkennbaren Kreatur im Nebel. Etwas wuselte über den Steg und stieß ein knatterndes Geräusch aus. Zwei hasengroße Krabben schälten sich aus den Nebelschwaden und klackerten mit ihren Scheren. Ein skorpionartiger Schwanz zuckte nach vorne und verfehlte den Fährmann an Cyrianas Seite nur knapp.
Dieser stieß erneut mit seiner Stange zu, trieb die Krabbe zurück ins Wasser des Fjords. Dort blieb sie aber nicht lange. Mit einer unglaublichen Behändigkeit hangelte sich das Krustentier an einer Leiter wieder auf die Planken des Stegs.
Etwas Großes brach sich schäumend einen Weg durch die Fluten. Riesige Tentakel umklammerten die Fähre, zerfetzten sie und zogen die Überreste unter Wasser. Ein Krake? Hier im flachen Nebelfjord?
Zwischen den Häusern brach klackernd eine weitere Skorpionkrabbe hervor. Einer der Männer reagierte zu langsam. Der Stachel am Schwanz des Krustentiers hieb ins Bein des Fährmanns. Der klappte augenblicklich zusammen und blieb regungslos liegen.
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Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe (Band 2)
Viễn tưởngBand 2 Nach den Ereignissen im Schattenwald hat sich Cyriana, verborgen vor den Augen des Ordens, im Norden Dryadengrüns niedergelassen. Doch auch hier kommt sie nicht zur Ruhe. Mysteriöse Träume suchen die Hexen heim und als Aratica entführt wir...