Karan war gerade dabei, seine Decken nach Bettwanzen zu durchforsten, als die Tür in ihre Kammer aufging und ein mittelgroßer Mann mit schwarzen Haaren und graumelierten Schläfen hereintrat.
Sogleich verzog der Neuankömmling angewidert das Gesicht und hielt sich ein Seidentuch vor die Nase. »Bringt mich zu ihm!«, donnerte er laut. Dicht hinter dem Adeligen traten vier Männer in blankpolierten Kettenhemden ein. Ihre regungslosen Mienen ließen Karan schlucken. Nein, mit denen wollte er sich nicht anlegen.
Wurzan ruckte von seinem Stuhl hoch, auf dem er dösend mehr gelegen, denn geschlafen hatte. Verwundert blickte er um sich, während er in aller Seelenruhe seine zerknitterte Uniform in den Gürtel schob. »Ihr seid?«
Der Ankömmling war es nicht gewohnt, nicht erkannt zu werden, denn für einen kurzen Augenblick kniff er verärgert seine Augen zusammen. Nahezu im Gleichklang griff seine Eskorte nach den Schwertern.
»Erzherzog Fablo ...«, stellte er sich vor und fuhr nach einem angewiderten Blick auf seinen Gegenüber fort: » ... und ich teile mir derzeit mit Prinz Kendar die Befehlsgewalt in Moorhafen.«
»Selbstverständlich, mein Herr.« Wurzan richtete sich auf und versuchte, Haltung anzunehmen.
Fablo wartete einige Sekunden ab, bis der kommandierende Offizier Haltung angenommen hatte. »Wo ist der Häftling aus der Einzelhaft?«
»Welcher, wir haben momentan ein halbes Dutzend ...«
Statt einer Antwort reichte Fablo ihm ein Papier. Wurzan warf einen kurzen Blick darauf.
»Der? Da müssen wir noch tiefer hinab.«
»Dann führt uns.«Wurzans Blick glitt über seine Leute und blieb an Karan hängen. »Mitkommen.«, befahl er knapp.
Aus einer der großen Kisten förderte er einen schweren Hammer ans Tageslicht hervor. »Den brauchen wir.« Er legte sich den Stil über die Schulter und setzte ein zufriedenes Grinsen auf. »Sollte reichen.«
Karan beeilte sich, an die Seite seines Offiziers zu kommen. Wurzan drückte ihm eine Laterne in die Hand. »Leuchtet den Weg aus.«
Über mehrere enge Gänge kamen sie zu einer schweren Eichentür. Wurzan schloss die Tür auf und beorderte Karan nach vorne. Den Abschluss bildeten der Erzherzog und seine vierköpfige Eskorte. Sie schritten eine gewundene Wendeltreppe aus schroffem Gestein hinab in die Tiefe.
»Wollt ihr nur mit ihm sprechen oder die Zelle betreten?«
»Ich gehe hinein«, knurrte Fablo verstimmt. Er hielt sich mit verkniffener Miene am Seil fest, welches eine Art Handlauf bildete. »Lebt er überhaupt noch?«»Keine Ahnung. Die Zellen werden über ein Rohrsystem mit Wasser und Nahrung versorgt. Uns ist es normalerweise untersagt diese Häftlinge, aufzusuchen. Es sind besondere Gefangene des Regenten. Zu wichtig, um hingerichtet zu werden, aber zu bedeutsam, als dass sie jemand hören darf. Wenn einer von ihnen den Löffel abgibt, merken wir das zumeist nicht sofort. Sie vergammeln dann einfach still und leise.«
Fablo schnaubte. »Ich hoffe für euch, dass er noch lebt.«
Karan schlug ein furchtbarer Geruch nach Tod und Verwesung entgegen. Zum Glück war er schon daran gewöhnt. Hinter ihm würgte einer aus der Eskorte und ein anderer erbrach sich. Augenblicklich blieb der Erzherzog stehen und beorderte die zwei Soldaten zurück nach oben. »Wartet dort.«
Sie erreichten den Absatz, von dem aus ein gekrümmter Gang leicht abfallend weiter in die Tiefe führte. Alle paar Meter hatte man Schimmersteine minderer Qualität in die Wand eingesetzt. Ein Leuchtkäfer strahlte heller.
»Löscht das Licht, Rekrut. Hier unten ist Luft kostbar.«
Karan drehte den Docht der Lampe herunter, bis auch das letzte Glimmen erlosch. Sie standen in fast vollständiger Dunkelheit.
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Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe (Band 2)
FantasíaBand 2 Nach den Ereignissen im Schattenwald hat sich Cyriana, verborgen vor den Augen des Ordens, im Norden Dryadengrüns niedergelassen. Doch auch hier kommt sie nicht zur Ruhe. Mysteriöse Träume suchen die Hexen heim und als Aratica entführt wir...