Halikarnosas Rat

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Cyriana setzte sich auf den Boden, zog ihre Knie bis zur Brust und verbarg ihren Kopf darin. Von weit her drangen unablässig Rufe, drängend und doch dunkel und gefährlich. Sie lockten, versprachen inneren Frieden, lauerten auf eine Reaktion. Darauf konnten sie lange warten.

Mit ihren SInnen horchte sie in sich hinein, spürte die schwärende Wunde, die in ihrem Körper und Geist wütete, ertastete den Abgrund, an dem sie stand. Ein einziger Schritt und sie würde in die gähnende, schwarze Leere fallen ... und niemals wieder zurückkehren.

Sie hatte ihre Hexenkräfte zum wiederholten Male in einem Maße genutzt, das für sie lebensgefährlich war. Und warum? Zum einen, um ihre Feindin zu retten, die sie fast getötet hätte, an deren Händen das Blut vieler Menschen klebte, aber zuvorderst um diesem Bluthexer Xarop zu entkommen.

Mit jeder Faser ihres Körpers ahnte Cyriana, nein, wusste sie, dass es richtig gewesen war, Valaria zu heilen und sich dem Nocturnen zu erwehren. Auch wenn sie die Zusammenhänge nicht durchschaute, so vertraute sie dem Hexer nicht. Ihm würde sie sich keinesfalls ausliefern.

Die Träume, die sie wie in einem Gefängnis umschlossen, waren von einer arkanen Macht erschaffen, die außergewöhnlich war. Kaum möglich, dass der Hexer dafür verantwortlich war. Er nutzte sie, um sich darin einen Weg zu ihr zu bahnen. Sie musste unbemerkt bleiben, um Kräfte zu sparen, denn nur dann fand die schwärende Wunde Zeit zur Heilung.

»Es geht nicht nur um dich, Cyriana«, hauchte eine Stimme aus dem Nichts.

»Halikarnosa, du bist zurück?«
»Ich war nie weg.«
»Ich habe deinen Stein zerstört.«
»Dachtest du, ich würde nicht wieder zu mir zurückfinden?«

Cyriana erinnerte sich des Tags, als sie auf der Lichtung den Feuerelementar auf den Hexenstein geschleudert hatte. Wie eine Schockwelle hatte die verglimmende Magie der Kreatur die Steinplatte erschüttert, sie zerbrochen und damit auch Halikarnosa in Stücke gerissen. Der Stein war ihr Zuhause gewesen, hatte ihr Halt und Struktur gegeben. Seine Zerstörung hatte die Göttin in Agonie versetzt.

Natürlich hatte sie darauf gehofft, das Kapitel endgültig schließen zu können, aber letztlich hatte sie gewusst, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sich dieses Monster aus archaischen Tagen erholt hatte? Was zerbrochen war, konnte auch wieder zusammengefügt werden.

»Was willst du?«
»Das ist nicht die Frage, Tochter.«

Cyriana nahm die Stimmen um sich herum wahr. Sie starrte in den Nebel, fürchtete sich davor, dass Xarop, der Bluthexer daraus hervortrat und sie zwang, sich mit ihren Hexenkräften zu wehren.

»Alles was du tust, Halikarnosa, dient Halikarnosa. Du wirst dich nicht geändert haben.«

Ein leises Kichern antwortete ihr. »Du warst schon immer sehr klug, kleine Druidin.«

Cyriana war genervt. Mehr als jemals zuvor, hoffte sie aufzuwachen. Ihr Körper brauchte den Schlaf dringend zur Erholung, stand sie doch am Rande des Todes. Eine erneute Begegnung mit Xarop würde ihr aber alles abverlangen.

Halikarnosas Stimme fehlte die Frivolität vergangener Tage. Sie wirkte müde, ausgelaugt. Keinesfalls war die Göttin wieder dieselbe wie früher.

»Der Magierzirkel in Perlhafen hat sich zu einem arkanen Block zusammengeschlossen, dessen Macht die Traumwelt erschaffen hat.«, erklärte die Göttin.

»Zu welchem Zweck?«, hakte Cyriana nach, obgleich sie die Antwort schon längst kannte.

»Viele Gründe. Einer ist der, nach dir zu suchen.«
»Wegen des Blutritus?«
»Du wärst ihnen als Bluthexerin eine immense Hilfe, aber zur Not kommen sie ohne deine Künste zurecht. Wichtiger sind die Formeln.«

Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe  (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt