Das verdammte Türschloss hatte ihm einfach zu viel Zeit gekostet. Seine Verfolger waren schon fast heran. Jutan hörte ihr schweres Schnaufen, an den Wänden widerhallen. Unmöglich einzuschätzen, wie weit sie noch entfernt waren. Es mochten nur wenige Gangbiegungen sein, oder derer viele. Immerhin verloren sie immer wieder damit Zeit, einen kurzen Blick in die Nebenräume zu werfen.
Der Korridor war eng. Ab und zu zweigten Türe von ihm ab, führten in staubige, zumeist leerstehende Kellerräume. Doch er wagte nicht, sich in ihnen zu verbergen, da sie keinen Schutz versprachen. Entdeckten sie ihn dort, war es um ihn geschehen. Er hetzte den Gang weiter, verwünschte dabei seine morschen Knochen. Knie und Hüfte summten ihr klagendes Lied.
Seitdem er die Tür im Hauptkorridor mit seinem Kurzschwert aufgebrochen hatte, führte der Weg steil bergab. Die Luft wurde zunehmend muffiger und ein furchtbarer Gestank aus Moder, Blut und Schweiß umwehte ihn. Kein Zweifel, er befand sich auf einem der Zugänge zu den tiefergelegten Kerkern. Vor vielen Jahren hatte er aufrührerische Adelige vom Dryadenturm hierhergebracht und sie dem Regenten übergeben. Voller Stolz hatte einer der Söhne Garls ihm den ganzen Kerkerbereich gezeigt. Doch damals hatte es bei weitem nicht so gestunken, wie heute.
Als er den flackernden Lichtschein entdeckte, der sich ihm näherte, blieb er erstaunt stehen. Irgendjemand kam ihm entgegen. Mit einem schnellen Blick in den dunklen Korridor hinter sich, vergewisserte er sich, dass die Verfolger noch weit genug entfernt waren.
Er atmete tief durch, steckte sein Kurzschwert in den breiten Gürtel und hob die Laterne an.
Und da waren sie auch schon heran. Sechs Soldaten mit den Insignien des Herzogs aus Dachsburg flankierten zwei verängstigte junge Frauen, fast noch Kinder. In einer von ihnen glaubte er sogar eine Schwester Kendars zu erkennen, war sich aber nicht sicher. Es war schon viele Jahre her und damals hatte der Alkohol seine Sinne zunehmend vernebelt.
Der Mann an der Spitze, ein junger Leutnant hob die Hand und der Trupp hielt an. »Wer seid denn ihr?«
Jutan runzelte die Stirn. »Erzherzog Fablo sagte mir, hier wäre niemand unterwegs. Also stellt sich mir die Frage, was ihr hier zu suchen habt?«
Der Offizier kniff seine Augen zusammen, hob seine Lampe über den Kopf und musterte ihn nachdenklich. Jutan trug immer noch die Kleidung eines Schmieds, keinesfalls eine Uniform. Unschlüssig starrte der Mann zurück, in das Dunkel, aus dem er gekommen war.
»Lasst mich einfach vorbei und meinen Auftrag verrichten.«, drängte Jutan. Er durfte sich nicht so lange hier aufhalten. Sobald seine Verfolger auftauchten, war es um ihn geschehen.
Der Offizier nickte. »So sei es. Niemand wäre so närrisch ohne Grund gerade jetzt in die unterirdischen Kavernen hinabzusteigen.«
Er stellte sich an die Wand und machte den Weg frei.
»Bitte helft uns, mein Name ist Yakrina, Tochter des Regenten. Diese Männer hier wollen uns töten.«, begehrte eine der Schwestern auf.
Jutan hatte es geahnt, der Jüngeren der beiden war er einst vorgestellt worden. Damals hatte sie ihm aber nur bis zum Bauchnabel gereicht. Der Offizier versteifte sich sichtlich. Seine Hand näherte sich dem Kurzschwert am Gürtel. Vermutlich hielt er es für möglich, dass sich Jutan für die Mädchen einsetzen würde. Doch er dachte nur an seinen Sohn. Adelige lebten nun einmal in ständiger Gefahr, hatten selbst genug Blut an den Händen, oder würden es einst haben.
»Euer Schicksal ist mir einerlei«, brummte er und drängte sich grob an den Mädchen und der Eskorte vorbei. Er hatte genug eigene Probleme, denn seine Verfolger würden bald auftauchen und der Tod würde sie alle holen, unabhängig davon, ob er eingriff oder nicht. Der Blutritus würde reichlich Ernte einfahren.
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Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe (Band 2)
FantasyBand 2 Nach den Ereignissen im Schattenwald hat sich Cyriana, verborgen vor den Augen des Ordens, im Norden Dryadengrüns niedergelassen. Doch auch hier kommt sie nicht zur Ruhe. Mysteriöse Träume suchen die Hexen heim und als Aratica entführt wir...