Räuberhöhle

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»Meidet Blickkontakt und wirkt nicht, wie ein Lamm auf einem Hochzeitsbankett, Trastian. Dieser Ort wird von etwas raubeinigeren Gesellen bewohnt.«

Sie hatten am frühen Abend Erzhöfe erreicht. Die Gebäude des Orts säumten weit verstreut in einem Talkessel die Berghänge. Cyriana musterte argwöhnisch die grimmigen Gesichter der Menschen.

Das Pferd, nicht gewohnt, lange Strecken einen Karren zu ziehen, hatte dringend eine Pause gebraucht, so dass sie keine Wahl gehabt hatte, wenngleich sie ein ungutes Gefühl beschlich. Viel zu viele der Gesellen saßen mit lauerndem Blick im Schatten der Felsen und ließen sie nicht aus den Augen.

Trastian schien es nicht zu bemerken. Er deutete die Berghänge hinauf, in denen sich unzählige Stolleneingänge in das Gestein gegraben hatten. Neugierig beobachtete er, wie einige Bergarbeiter mit Säcken voller Felsbrocken schmale Pfade herabkamen.

»Erzabbau«, erklärte Cyriana. Sie gab ihm ein Zeichen eine der besseren Herbergen im Talkessel anzusteuern. Die Wargonerstraße verlief am westlichen Ufer des Nebelfjords und zog sich an den Klippen entlang bis nach Dryadengrün. Sie hatte diese Route gewählt, weil sie, obgleich nicht ungefährlich, der schnellste Weg zum Dryadenturm war. Im Landesinneren hätten Moore und unzählige Bäche, die auf keiner Karte verzeichnet waren sie immer wieder dazu gezwungen, Umwege in Kauf zu nehmen.

Viele Händler, die mit Fähren den Nebelfjord überquerten, nutzen die Straße an den Klippen. Daher gab es auch entlang des gesamten Wegs reichlich Herbergen und Schenken. Vage erinnerte sie sich daran, dass Erzhöfe schon in früheren Zeiten keinen guten Ruf gehabt hatte und Reisende hier nur ungern eine Rast einlegten.

Am Abend saßen sie in der großen Schankstube. Trastian hatte sich ein wässriges Bier geben lassen, während Cyriana an einem Kräutertee nippte. Sie waren nicht allein im Gastraum. An fast allen Tischen brüteten bärtige, verschwitzte Lohnarbeiter und kippten sich den Alkohol, als wäre er Wasser hinter die Binde. Einige musterten sie verstohlen. Ein trister Ort.

Schon nach dem ersten Schluck hatte sie die Kräuter erkannt, die man dem Tee beigemischt hatte. Darunter war unverkennbar der gemahlene Samen der Traumrose, welcher einen tiefen Schlaf bescherte. Sie seufzte. Man hatte es also in der Nacht auf ihre prall gefüllte Geldkatze abgesehen. Ihr Blick schweifte hinüber zur Theke, an der ein rothaariger, untersetzter Mann lehnte und sie ungeniert anstarrte. In seinen Augen funkelte es erwartungsfroh. Sie wandte sich angewidert ab.

Das Abendessen bestand aus einem Kartoffelmais-Brei, der glücklicherweise kaum Geschmack hatte. Einige Gäste blickten immer wieder neugierig zu ihnen herüber, denn sie wirkten nicht gerade wie ein Pärchen. Da sie ohne Handelswaren unterwegs waren, erregten sie ungewollte Aufmerksamkeit.

Hatte Trastian auf der ganzen Kutschfahrt noch geschwiegen und die Landschaft bewundert, durch die sie reisten, so brach es jetzt aus ihm heraus. Dem braungelockten Bauernburschen brannten etliche Fragen auf den Nägeln.

»Wer ist Aratica? Dieser Lord hat sie eine Mörderin genannt und später eine Nichte des Königs. Das ist doch unmöglich.«

Cyriana nahm einen Schluck von ihrem lauwarmen Kräutertee. Auch wenn der Samen der Traumrose müde machte, so fügte es dem Tee eine angenehm aromatische Note hinzu. Sie genoss es.

»In eurer Hütte habt ihr schon nicht auf meine Fragen geantwortet. Bitte tut es jetzt.«

Seufzend beendete sie ihr Schweigen und sah Trastian in die Augen.

»Ihr seid etwa in Araticas Alter. Aber euch trennt sehr viel. Sie ist tatsächlich die Nichte des Königs. Mit acht Jahren zeigte sich ihr außergewöhnliches Talent, mit dem Messer umzugehen. Ihr Oheim hat sie daraufhin in der Kunst des Tötens unterweisen lassen.«

Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe  (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt