Fest am Tag der Legenden

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Wieso hatte sie sich nur breitschlagen lassen? Cyriana stand am Rand des Festplatzes, sah dem fröhlichen Treiben der Dorfbewohner zu und fühlte sich vollkommen fehl am Platze.

Nun gut, es war ihre eigene Idee gewesen. Sie hatte solange auf Aratica eingeredet, endlich mal unter junge Menschen zu gehen, sich zu amüsieren, bis diese widerwillig zugestimmt hatte.

Die Nichte des Königs hatte von ihrem achten Lebensjahr an, bis vor einem Jahr nur die Ausbildung zu einer Meistermeuchlerin gekannt, sowie, Cyriana schauderte, als sie daran dachte, die Erfahrungen aus unzähligen ausgeführten Mordaufträgen.

Es war Zeit, das wahre Leben, das unbeschwerte Zusammensein mit anderen Menschen, kennenzulernen. Als zurückgezogener Lehrling einer Kräuterkundigen würde sie versauern und ... so werden wie sie.

Zum Glück war alles so abgelaufen, wie sie es sich vorgestellt hatte. Zumindest bis zum Abend, kurz bevor Aratica in Richtung Goldshöfe aufbrach, da fiel ihr ausgerechnet Zurolon in den Rücken.

»Du warst schon lange nicht mehr auf einem Fest unter Leuten und hast dich vergnügt, Cyriana.« Die kleine Drachenschlange setzte sich auf ihre Hinterbeine, wandte ihren Blick von ihr ab und starrte nun die Assassine an. »Eigentlich habe ich unsere Kräuterkundige noch nie ausgelassen unter Menschen gesehen.«

Daraufhin war Aratica stocksteif stehen geblieben. In ihren Augen hatte der Schalk geirrlichtert. Da ahnte Cyriana bereits, dass sie verloren hatte. Sie setzte die Tasse Tee, die sie sich gerade aufgebrüht hatte auf den Tisch ab und versuchte abzuwenden, was nicht mehr abzuwenden war.

»Ich bin achthundert Jahre alt. Das könnten allesamt meine Urenkel sein.«
Die Assassine legte ihren Kopf schief. »Und? Möglich?«
Cyriana brauste auf. »Nein, natürlich nicht.«
»Ausgezeichnet, dann ist alles geklärt.«
»Nichts ist geklärt. Ich bin zu alt für diese Art der Zerstreuung.«
»Du siehst deutlich jünger aus, Kräuterfräulein. Im Dorf halten sie dich ohnehin schon für meine ältere Schwester.«
»Ich würde doch nur stören.«

Aratica verschränkte bockig ihre Arme vor dem Oberkörper. »Abwarten. Ohne dich setze ich keinen Fuß vor die Tür.«

Alle ihre Einwände hatte ihre junge Schülerin zur Seite gewischt und nicht gelten lassen.

Cyriana hatte Angst davor, auf das Fest zu gehen. Derartige Feierlichkeiten hatte sie schon jahrhundertelang gemieden. Es fühlte sich falsch an. Einst hatte sie den Tod gebracht. Mit welchem Recht sollte sie sich also vergnügen? Buße und Demut standen ihr viel besser zu Gesicht. Und darüber hinaus gab es genügend Kranke und Hilfsbedürftige, um die sie sich zu kümmern hatte. Ihre Zeit sollte anderen Menschen gehören, jenen, die es nötig hatten.

Ein Frösteln lief ihr über den Rücken. Ausgerechnet heute war zudem der Tag der Geschichtenerzähler, ein Ereignis, auf welches das ganze Land hinfieberte.

Was tue ich nur, wenn sie die Legende der Bluthexe erzählen?

»Sei nicht so spießig, Hexenomi. Stürzen wir uns ins bunte Treiben.«

Buntes Treiben? Nein, das war ein schrecklicher Krieg, dem sie sich nicht einmal ansatzweise gewachsen fühlte. Junge ausgelassene Menschen sprachen miteinander, scherzten, lachten und ... kamen sich näher.

Was sollte sie denn erzählen? Wie man einen Augentrank braute? Wie sie mit Bluthexerei Basilisken auseinandergerissen hatte ... oder wie sie einst ganze Bauernhöfe niederbrannte.

Zwar hatte auch Aratica niemals Feste aufgesucht, um sich zu vergnügen, sondern eben nur, um eine Beute auszuspähen oder sich Informationen zu verschaffen, doch letztlich kannte sie sich auf diesem gnadenlosen Schlachtfeld weit besser aus als sie. Der einzige Unterschied war nur der, dass sie nun keinen Auftrag mehr verfolgte und sich vom Trubel mitreißen lassen konnte.

Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe  (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt