Kokon

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Maritobi schlug schwer im Sand auf. Taquaia und der Kokon mit Leisha entglitt seinen Händen und sie rollten über den ebenen Grund, blieben regungslos liegen. Er sah hinüber zu der schwarzen Felsformation. Der Liberatus wurde von Dutzenden quallenartigen Kreaturen umschwärmt. Sie umschlangen mit ihren Nesselfäden einen länglichen, mandelförmigen Gesteinsbrocken und hoben ihn an.

Einer Prozession nicht unähnlich marschierten sie auf das flimmernde Tor zu. Dort wurden sie aber bereits erwartet. Er entdeckte vier Gestalten, wovon eine davon seine Aufmerksamkeit erregte. Handelte es sich bei der zierlichen Frau mit den langen schwarzen Haaren um die Bluthexe? Woher war sie gekommen?

Taquaia rappelte sich ächzend auf. Sie torkelte hinüber zu dem Kokon, den die quallenartigen Kreaturen um sie herum gewoben hatten. Die Eiselfe kniete sich neben Leishas eingehülltem Körper in den Sand, zerrte mit bloßen Händen an den Nesselfäden.

Maritobi zog seinen Säbel und glitt an ihre Seite. Ein Beben rollte durch den Kokon. Verblüfft zuckte Taquaia zurück, sah auf ihre Hände, deren Haut sich vor ihren Augen zu schälen begann und Blasen schlug.

»Es saugt das Leben in sich auf«, entfuhr es der Eiselfe entgeistert, die ihre Hände anhob und fixierte. Sekundenbruchteile später umhüllte eine dünne Eisschicht die schmerzenden Glieder und stoppte ihren Verfall.

Als Maritobi seinen Säbel ansetzte, fuhr eine Welle des Schmerzes durch seinen Arm bis in den Oberkörper. Sein Herzschlag setzte einen Augenblick lang aus. Aufschreiend ließ er die Waffe fallen. »Unmöglich, sie daraus zu befreien.«, entschlüpfte es ihm.

Taquaias Augen waren noch auf ihre Finger gerichtet, deren Haut nach und nach heilte und einen wächsernen Glanz annahm. »Der Kokon wandelt sie. Wir müssen eingreifen, ehe es zu spät ist.«

Maritobi schüttelte den Kopf. Ihnen standen nicht die Möglichkeiten zur Verfügung, die Nesselfäden zu beseitigen, ohne dabei selbst zu sterben. Die Göttin war verloren. Doch die Eiselfe schien nicht gewillt aufzugeben. Mit ihrer gesundeten Hand folgte sie den Wölbungen des Kokons und verhielt schließlich dort, wo Leishas Kopf weilte.

»Sie kämpft dagegen an, ihre Existenz zu verlieren. Ich nehme nur noch einen verlöschenden Funken wahr.« Entschlossen griff Taquaia erneut nach den Nesselfäden, umfasste sie und wob einen Zauber. Glitzernder Reif entstand auf den Nesselsträngen, breitete sich nach und nach über den ganzen Kokon aus.

Die wachsweiße Haut der Elfe verdunkelte sich, wurde porös. Ein beiger Schleier legte sich um ihre Hand und kroch den Arm hinauf. Taquaias Blick wurde starr. Sie ließ aber nicht los.

»Ihr bringt euch um!« Ein Zittern durchschüttelte die Eiselfe und aus den Mundwinkeln floss Blut.

»Zer ... Zersprengt es.« Taquaia verdrehte die Augen und kippte wie in Zeitlupe um, blieb regungslos im Sand liegen. War sie tot? Er wusste es nicht, hatte aber keine Zeit, darüber nachzudenken.

Erneut setzte er die Spitze des Säbels an einem der eisüberzogenen Nesselfäden an. Mit einem Ruck riss er es entzwei. Das Gespinst zerriss, Striemen, um Striemen rollte sich zusammen. Maritobi zerschnitt noch mehrfach die feinen Fäden. Langsam fiel der Kokon auseinander, entblößte die regungslose Gestalt der Leisha. Er schluckte, wischte mit seiner Waffe die Überreste zur Seite und lauschte, hörte das leise Atmen der Göttin.

Und dann schlug sie die Augen auf.

»Bei den Göttern, ihr lebt. Wir ...« Er stockte.
Ihr kalter, lebloser Blick traf ihn. »Wo ist mein Herr, wo ist der Liberatus?«

Sie erhob sich und sah sich um, entdeckte in der Ferne das Portal, den Buchmagier und Dutzende von Quallenwesen. Ohne sich noch einmal umzuwenden, stakste sie hocherhobenen Hauptes darauf zu.

Taquaias Rettungstat war zu spät gekommen. Die Göttin stand unter dem Bann des schwarzen Herzens. Maritobi umfasste den Griff seines Säbels fester. Er fühlte sich hilflos, verloren. Alles woran er geglaubt hatte, war eine Illusion gewesen. Schlimmer noch, anstatt sein Volk zu retten, hatte er das Verderben unter die Menschen gebracht. Sein Blick fiel auf die regungslose Gestalt zu seinen Füßen. Er kniete neben ihr nieder und fühlte nach dem Puls, nahm ihn schwach und unregelmäßig wahr. Aber mochte die Eiselfe auch am Leben sein, sie war noch weniger, wie er selbst, imstande einzugreifen.

Ein Schatten fiel auf ihn und er sah auf. Über ihm stand eine junge schwarzhaarige Frau. Ihr Gesicht war vor Schmerz verzerrt und sie schwankte, sackte vor ihm zu Boden.

»Wer seid ihr?«
»Valaria. Ich sah euch vor dem Liberatus fliehen. Seid ihr befreit von seinem Einfluss?«

Er nickte. »Taquaia gab mir das Buch aus dem Mausoleum. Ich zerstörte es.« Sein Blick fiel auf die Eiselfe. »Sie stirbt. Könnt ihr sie heilen?«

»Oh, mir geht es ebenso nicht sonderlich gut. Beim Durchqueren des Sandkreisels habe ich einige Kristallsplitter abbekommen. Die meisten stecken in meinem Rücken. Manch einer ausgesprochen tief.« Um ihre Worte zu unterstreichen, öffnete sie ihre Hand und offenbarte einen länglichen, pfeilartigen Gegenstand.

Maritobi hob überrascht die Augenbrauen. »Ihr seid eine Nebelsirene. Nur als solche konntet ihr den Wall durchdringen. Doch ...« Er nahm den Kristall in seine Hand. »... warum wurdet ihr nicht zerfetzt?«

Sein Gegenüber zuckte die Schultern. »Vielleicht, weil ihr den Kreisel schon fast zum Erlöschen gebracht habt? Oder weil mich jemand begleitete, der geschützt war?«

Vollkommen in Gedanken versunken, nickte Maritobi. Er nahm den Kristallsplitter zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt ihn gegen das Licht der Sonnen. Eine seltsame, bläuliche Substanz wogte darin.

»Bei den Göttern, das ist es!« Das zapfenförmige Fragment entglitt seinen Fingern und landete im Sand. »Bitte dreht euch um.«

Er entfernte Splitter um Splitter aus ihrem Rücken, legte diese in einer langen Reihe auf den Boden und versuchte sogar, die tieferliegenden Kristalle zu erreichen.

»Ich danke euch, glaube aber, dass ihr das nicht tut, um mir zu helfen.«

Beschämt schloss er kurz die Augen. »Auch wenn ich mir gern andere Motive andichten würde, so muss ich euch zustimmen. Diese Splitter enthalten Teile der Leisha. Vielleicht kann ich sie retten.«

Er nahm eine seiner Gürteltaschen, leerte den Inhalt und stopfte die Kristalle hinein. »Es ist nicht hoffnungslos.« Entschlossen breitete er seine Flügel aus.

»Ich komme mit, Wolkenelf.«
Er schüttelte den Kopf. »Ihr seid mir keine Hilfe, Nebelsirene, könnt kaumstehen.«
»Wartet! Wollt ihr ungesehen an sie herankommen?«
Er nickte.
Valaria grinste mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Dann vertraut mir.«

Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe  (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt