Messerkunde

43 9 0
                                    

Aratica wog die stilettartige Waffe abschätzig in ihrer Hand. Danach warf sie sie achtlos auf einen großen Haufen weiterer Messer.

»Seid doch vorsichtig«, jammerte der Händler verzweifelt und betrachtete entsetzt die Unordnung, die sie anrichtete. Es war überdeutlich, dass er mit der Situation überfordert war und keine Ahnung hatte, wie er ihr Herr werden sollte.

»Ihr hättet auf bessere Ware achten sollen. Die Klingen sind nicht ausreichend ausbalanciert«, schob sie nach und erlaubte sich ein feines Lächeln.

»Nicht ausbalanciert?« Der Händler, ein spitzbärtiger Südländer verschränkte empört seine Hände vor der Brust. »Ihr seid fertig hier, junge Dame.«

Sie klimperte kokett mit ihren Augen. Nachdem sie stundenlang in Mondhafen herumgestreunert war, um genau diese Art von Laden zu finden, würde sie natürlich keinesfalls so schnell gehen. Nicht ehe sie zusammengesammelt hatte, was sie benötigte.

»Ich muss mich bewaffnen, edler Händler«, Aratica senkte die Stimme unheilvoll, »damit ich in den dunklen Gassen dieser Stadt nicht von bösen Räubern überfallen werde.«

»Nun, junges Fräulein, ich fühle mich ebenso überfallen.«
»Diese Klingen hier sind nach meinem Geschmack.« Sie deutete auf einen sehr kleinen Haufen achtsam aufeinandergestapelter Messer und Dolche. Liebevoll strich sie über einen perlmuttfarbenen Griff.

»Ich verkaufe euch nichts mehr.«
»Verkaufen? Sagte ich irgendwann, ich wolle etwas erwerben?«

Der dickbäuchige Südländer schnappte nach Luft. Hinter ihm näherte sich ein grobschlächtiger Geselle, der wohl darauf achtgeben sollte, dass Kunden genau das nicht in die Tat umsetzten, was Aratica andeutete, nämlich sich mit unbezahlten Waren davonzustehlen.

Ohne den Neuankömmling weiter zu beachten, schritt sie gutgelaunt auf die andere Seite der Theke und öffnete keck die Schublade, aus der der Kaufmann bislang die Klingen hervorgeholt hatte. Ihre Augen weiteten sich erfreut, als sie die Auswahl erblickte. Ihr Herz hüpfte vor Freude.

»Lasst mich mal sehen, das geht schneller.« Sie schob ihn sanft zur Seite. Japsend suchte der Händler nach Worten des Protests, fand keine und brach gurgelnd ab.

»Wieso benötigt eine Dame wie ihr derart scharfes Mordwerkzeug?«
»Ich muss mich doch meiner vielen Verehrer erwehren.«
»Die Armen tut mir jetzt schon schrecklich leid.«

Mit einem freudigen, spitzen Schrei zog sie einen edlen Dolch mit juwelenbesetztem Griff hervor.

»Der ist garantiert nicht ausgewogen, nur ausgesprochen teuer, junge Dame.«
»Wie? Er ist doch hübsch. Passen seine türkis funkelnden Juwelensplitter nicht perfekt zu meinen azurblauen Augen?«

»Die eurigen sind grün.«
»Oh, stimmt ja.« Sie hauchte ihm einen Kuss zu und ließ die Waffe achtlos fallen. »Habt ihr die Steine smaragdfarben?«

»Natürlich nicht.«

»Nein ... nein ... vielleicht, Moment, ähmm nein, ... nein ... ahh, der ist niedlich.« Sie legte freudestrahlend einen weiteren, eher unscheinbaren Dolch zu den anderen ausgewählten Klingen.

»Ihr habt bestimmt auch Schnapphalfter für Unterarm und Oberschenkel?«
»Ich habe was?«
»Na, ihr wisst schon. So etwas, bei dem ich mein Handgelenk einknicken kann, damit mir ein Messerchen in die Hand schnellt ...«
»Derartiges führen wir nicht. Die Straße runter ist ein Laden für ... nun ja ... gewisse Utensilien, die manche Damen gerne tragen ...«

Aratica schlug sich gegen den Kopf. »Ihr meint das Etablissement mit der Reizwäsche? Ja da war ich drin.« Sie bückte sich und rollte das Hosenbein etwas nach oben. Der Händler sah auf einen ledernen Ring, der um ihre Fessel geschlungen war. In vier Schlaufen steckte jeweils eine spitze fingerlange Nadel.

»War überrascht, dass sie so etwas hatten ... hab auch das mitgenommen.«
Sie zeigte dem Verkäufer eine metallische Armfessel. »Wisst ihr, wofür dieses Utensil von den leichten Damen benötigt wird?«

Dem Südländer wurde jetzt sichtlich unwohl. »Mir wird übel. Ich glaube nicht, dass ich euch weiter bedienen will.«
»Oh nein, wir sind doch schon auf der Ziellinie.«

Sie schob den Händler zur Seite und drängte sich an dem grobschlächtigen Kerl vorbei in einen der hinteren Räume.

»Dorthin dürft ihr nicht!«, protestierte er.

Aratica blieb stehen, stemmte ihre Fäuste in ihre Hüfte und legte den Kopf schief. »Ich habe einen ganzen Dukaten ausgegeben, damit man mir den Weg zu einem Laden mit der Ausrüstung für einen Meuchelmörder weist. Wenn ihr mir jetzt sagt, ich hätte das Geldstück an einen Lügner verschwendet, werde ich mir den Knaben vorknöpfen müssen.«

»Meuchelmörder?«, echote der Händler entsetzt und schluckte.

Sie ignorierte ihn und betrat den Raum, musterte erfreut die überbordenden Regale.

»Uiih, Wurfsterne.«
»Solche Waffen sind nichts für eine junge Dame wie euch.«

Aratica gegenüber hingen an einem Haken mehrere Halfter mit Schnappmechanismen. Kaum entdeckt, stolzierte sie dorthin und nahm einen der ledernen Schäfte von der Wand. »Könntet ihr mir behilflich sein?«

Ungeniert entledigte sie sich ihrer dunkelblauen Bluse. Betreten starrte der Händler zur Seite.

»Ihr seid ja süß«, frohlockte Aratica und drückte ihm einen der Halfter in die Hand. »Anlegen bitte, aber nicht grabschen.«

Sie sah sich nach dem großen Kerl um, der weiterhin nervös im Türrahmen stand. War der Händler schon überfordert, so benötigte dieser tumbe Geselle sicherlich Betreuung, sobald sie gegangen war. Sie musste ihm eine Aufgabe geben.

»Herr Grobschlacht. Könnt ihr mir bitte meine Messer bringen, die ich auf der Theke zur Seite gelegt habe?«

Der klobige Bursche an der Tür starrte sie entgeistert an und wechselte einen kurzen Blick mit dem Händler. Der zuckte nur kapitulierend die Schultern.

»Aber bitte nur die Griffe anfassen, nicht die Klingen ...«

Der Tölpel furchte die Stirn, versuchte wohl den Sinn ihrer Worte zu ergründen. Sie seufzte. »Ich will saubere Schnitte, keine Entzündungen.«

Während der Händler ihr dabei half, die ledernen Bänder um die Unterarme zu legen, brachte sein Gehilfe gehorsam die Klingen, die sie zuvor ausgewählt hatte. Obwohl die Funktionsweise des Gurts nicht so ausgefeilt war wie bei ihrer alten Ausrüstung, zeigte sie sich zufrieden. Sie steckte einige Messer in die Halfter und übte etwas am Mechanismus, der dafür sorgte, dass die Klinge in ihre Hand glitt.

»Nicht gut, aber ausreichend. Ich hätte hier mehr Spitzenklasse erwartet.«

Der Händler bekam große Augen, als sie mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung das Messer aus der Arretierung in ihre Hand schnellen ließ und die Klinge danach in das Holz eines Stuhlbeins versenkte.

»Ausgezeichnet.« Sie warf sich ihre Bluse wieder über und zwinkerte dem Südländer zu.

»Ihr könntet ja fast mein Papa sein. Ich glaube, ich mag euch.«
»Ich mag euch, wenn ihr all das bezahlt und für immer geht«, grummelte der Händler.
»Aber für eure Tochter macht ihr bestimmt einen guten Preis.«

Er starrte sie entgeistert an. »Ihr ... seid ... nicht ... meine ... Tochter!«
»Aber ich könnte es sein.« Sie kniff ihn liebevoll in die Schulter. »Papa.«

Der Händler sagte einen Preis, der tatsächlich sehr günstig war. Aratica verzog ihre Lippen zu einem Schmollmund.

»Wollt ihr mich beleidigen?«

Sie legte ihm das Doppelte auf die Theke, steckte sich einige Wurfsterne in die Tasche und verließ den Laden. Kurz darauf kam sie zurück, nahm die Hälfte der Dukaten wieder auf, ehe der vollkommen perplexe Händler reagieren konnte und ging.

»Beim nächsten Mal bekommt ihr das Doppelte.«

Zurolon huschte aus dem Dunkel, in dem die kleine Drachenschlange ungeduldig auf die Rückkehr der Assassine gewartet hatte.

»So etwas macht dir Spaß?«
»Gibt es schöneres, als seinem Papa zu begegnen, Eidechslein?«
»Cyriana hätte das nicht gefallen.«

Sie blieb abrupt stehen und verdrehte ihre Augen. »Na gut, ich geb ihm sein Geld. Aber ich werde mich nicht entschuldigen.«

Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe  (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt