Eine schreckliche Forderung

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Lajetan vom ewigen Quell stand am Balkon seines Domizils und starrte hinüber zur Kaiserfeste. Seit einigen Stunden trug der Wind einen choralartigen Gesang zum Hafen.

Der Canto der Magier ließ dem Großmeister des Ordens die Nackenhaare aufstellen. Die sanften Klänge, lockend und verheißungsvoll, verkündeten sowohl Erlösung als auch Heilung und besaßen zudem eine majestätische Erhabenheit. Es beunruhigte ihn ungemein, dass die Gesänge nun erstmalig hörbar über die Bucht bis in den Hafen drangen. Mittlerweile mied die Stadtbevölkerung das Hafengebiet weiträumig. Sämtliche Händler hatten sich zu den kleineren Anlegestellen außerhalb der Stadt zurückgezogen.

»Es ist soweit, Großmeister.«

Lajetan gab Gremerius, dem Offizier seiner Leibwache, ein Zeichen, woraufhin dieser seine Männer im Raum gleichmäßig verteilte.

Das wird kaum reichen, wenn die Situation außer Kontrolle gerät.

Wenig führte eine Eskorte eine schlaksige Gestalt in seine Gemächer und bezog Stellung am Ausgang. Lajetan musterte den Ankömmling.

Der Mann trug eine indigofarbene Gewandung und einen purpurfarbenen Umhang, den eine perlmuttfarbene Fibel in Form einer Feder zusammenhielt. Aus dem dunkelschwarzen Gesicht des Fremden ragte eine gewaltige Hakennase, ließ ihn zudem mit den schwarzgrauen, stoppeligen Haaren, den ungewohnt weißen Koteletten und den stechenden Augen wie einen Raubvogel erscheinen.

Ihn fröstelte. Die offen zur Schau getragene Sorglosigkeit erschütterte ihn bis ins Mark. Wie mächtig konnte der Fremde sein? »Seid willkommen, Principal Xarop«, log er ungeniert.

Der Blick des Besuchers schweifte durch sein Empfangszimmer, blieb gelangweilt mehrfach auf seine im Raum verteilten Wachen hängen, bis sie ihn fokussierten. Er schlenderte zu ihm und betrat den Balkon.

Lajetans erwartete ihn schweigend.

»Lasst ab von allen Plänen, die euch umtreiben«, flüsterte Xarop heiser. In seiner Stimme schwang ein warnender Unterton mit.

Ahnte der Besucher aus der Kaiserfeste etwas von seiner Unternehmung? Er musste auf der Hut sein, setzte ein unverbindliches Lächeln auf. »Ist das alles? Ihr habt um diese Unterredung ersucht, Principal.«

Die braunen Augen des hakennasigen Mannes fixierten ihn. »Das ist richtig. Nachdem in den vergangenen Wochen mehrmals Söldner versucht haben, uns die Feste wieder abzuringen, will ich euch, wohlweislich im Guten, davon abraten, weiterhin gegen uns vorzugehen.«

Lajetan nickte verstehend. Insgesamt fünfmal hatten verschiedene Adelshäuser versucht im Schutze der Dunkelheit, die Kaiserfeste, das Machtzentrum des goldenen Reichs einzunehmen. Alle Versuche scheiterten und die ausgesandten Söldner blieben verschollen.

Bis auf das letzte Mal. Da kehrten tatsächlich einige hartgesottene Veteranen zurück und Teile der Burg hatten gebrannt. Zwar hatte man das Feuer auf der Feste löschen können, doch erstmals hatte es eine Reaktion gegeben.

Zwei Dienstboten aus dem persönlichen Umfeld des Königs waren am darauffolgenden Morgen auf einer kleinen Schaluppe im Hafen angelandet. Sie hatten, mit leere Augen und ausdruckslosem Gesicht, ihren Herrn, den Principal Xarop für den heutigen Tag zur Unterredung mit ihm, dem Großmeister angekündigt.

»Ich habe die Angriffe nicht angeordnet, Principal.«
»Aber ihr könntet sie unterbinden.«
»Ohne mein Eingreifen wäre die Kaiserfeste wohl schon von Karavellen beschossen worden.«

Der hakennasige Mann schnaubte kurz. »Glaubt ihr wirklich, das wäre eine gute Idee?«
»Sagt ihr es mir.«

Xarop reckte seine Hand in die Höhe. Ein Buch mit einer herzförmigen Muschel auf der Vorderseite kam zum Vorschein. Augenblicklich schien es im Raum kalt zu werden. »Ist es nicht schön?«

Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe  (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt