Vorbereitungen

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Der Palast des Regenten stand auf dem höchsten Hügel Moorhafens und überragte alle anderen Gebäude. Als Kendar an der Seite Siquotans und Fablos in die große Eingangshalle schritt, kamen sogleich einige Ordonanzen auf ihn zu, bekundeten ihr Beileid, brachten sich aber im Grunde nur in Erinnerung.

Neue Herrscher fanden stets neues Personal.

Jedenfalls war ihm die Nachricht vom Tod seines Vaters und des Erstgeborenen bereits vorausgeeilt und hatte alle aufgeschreckt. Da der Zweitälteste außer Landes war, fiel die Kommandogewalt zunächst ihm zu. Der Streit um die Nachfolge würde aber erst jetzt entbrennen. Kaum vorstellbar, dass die Adeligen ihn als möglichen Regenten ernst nahmen. Zumindest nicht ohne entsprechende Verhandlungen und Zugeständnissen.

»Der Stadtrat hat sich gemeldet und will mit euch sprechen.«
»Was wollen sie?«
»Sie wollen die von eurem Vater ausgesetzten Handelsbeziehungen mit den Möweninseln wieder aufnehmen.«

Kendar erinnerte sich. Garl IV hatte geplant, den kleinen Inselstaat so unter Druck zu setzen, dass er das Recht bekam auf einer vorgelagerten Insel einen Wachturm zu bauen. Vermutlich, um einen Brückenkopf für eine spätere Invasion zu haben. Er machte ein Handzeichen.

»Der Handelsboykott ist aufgehoben.« Es war ihm einerlei.

Der kommandierende Offizier der in der Stadt stationierten Elitegarde trat ihm in den Weg. »Auf ein kurzes Wort.« Hinter ihm standen zwei weitere Soldaten und eskortierten ihn.

Kendar blieb genervt stehen. Niemand wäre es je in den Sinn gekommen, sich seinem Vater so respektlos zu nähern. Aber die Garde war die wichtigste militärische Einheit in Moorhafen. Wollte er die nächsten Tage überleben, war er auf sie angewiesen.

»Der Garnisonskommandant entrichtet euch seine Grüße und versichert euch seiner uneingeschränkten Loyalität.«

Das klang gut. Er wollte bereits weitergehen, als der Offizier sich erneut vor ihn stellte. »Er bat mich, euch zu fragen, ob das leerstehende Anwesen eurer Familie in Raubstegs für einen ... angemessenen ... Preis zu erwerben sei.«

Seufzend nickte Kendar. »Sagt eurem Kommandanten, ich werde ihm ... angemessen ... entgegenkommen. Ihr habt mein Wort.« Wie er die Politik hasste. Zufrieden salutierte der Offizier und trat zur Seite.

Weitere Männer umringten ihn, machten ein Weitergehen schier unmöglich. Aus den Augenwinkeln heraus gewahrte er das spöttische Grinsen Erzherzog Fablos und die irritierten Blicke Siquotans. Aus dieser Bedrängnis musste er sich allein herauswinden. Er schloss kurz die Augen, sammelte seinen Mut.

»Geht mir sofort aus dem Weg«, rief er und übertönte das Stimmgewirr um sich herum. Einige der Anwesenden verharrten tatsächlich, andere bedrängten ihn weiter, als hätte er gar nichts gesagt.

»Wachen.«

Vom Eingang stürmten mehrere Soldaten heran und lösten die Ansammlung von Ordonanzen, Bittsteller und Abgesandten auf. Kendar wartete ab, bis sich der Aufruhr gelegt hatte, und betrat die Treppe. Nach einigen Stufen wandte er sich um. »Solange ein neuer Regent vom Rat nicht bestätigt wurde, liegen die Amtsgeschäfte in meinen Händen.«

Sein Blick streifte die Anwesenden. »Lasst euch Termine geben. Jeder der noch einmal unangemeldet dieses Haus betritt, wird ans Ende der Liste gesetzt. Und ich schwöre bei den Göttern, keineswegs davor zurückzuschrecken, allzu penetrante Besucher auf eine gemütliche Pritsche im Verlies zu setzen.«

Er wandte sich ab, um die Treppe nach oben zu steigen, als hinter ihm lautes Stimmengewirr anhub. Viele der Männer dachten gar nicht daran, sich zu fügen. Sie waren es gewohnt, sich wie Zecken ins Fleisch ihrer Opfer zu bohren.

Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe  (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt