Es war weit nach Mitternacht. Dairos löschte das Licht, öffnete die Tür und wollte gerade hinaus huschen, als sich im Dunkel vor ihm etwas regte.
»Das macht keinen Sinn.«
Überrascht hielt er inne. Die Stimme war ihm wohlvertraut. »Was macht ihr hier, Favulkos?«»Ich habe euch erwartet.«
Jutan trat neben Dairos in den Türrahmen und brummte etwas Unverständliches. In seiner rechten Hand hielt er bedrohlich den monströsen Kriegshammer, der sich vage gegen das Sternenlicht eines nahegelegenen Fensters abzeichnete.
»Er kann uns nicht aufhalten«, flüsterte ihm der Schmied leise zu.
»Ich glaube nicht, dass er das will, Jutan«, antwortete Dairos trocken. »Und wir sind nicht auf Gewalt aus.«
Favulkos hob eine kleine Laterne und entzündete sie. Der zuckende Schein des Lichts huschte über das wettergegerbte Gesicht des grauhaarigen Ordensritters. »Sie wird gut bewacht. Ignatus rechnet damit, dass ihr mit ihr fliehen wollt.«
Dairos sah sich wachsam um. »Hat der Ordensabt euch geschickt?«Favulkos drehte den Docht der Laterne wieder herunter. Es wurde dunkler. »Nein. Er weiß nicht, dass ich zu euch und eurem Begleiter gegangen bin.«
»Ihr wisst, was er plant. Diese Nebelsirene hat ihm die Druidin gestern auf dem Silbertablett serviert und dieser intrigante Wicht ist sofort darauf angesprungen.«
»Ignatus will Cyriana dem Großmeister übergeben. Sie ist ein wertvolles Faustpfand, mit dem gegebenenfalls ein Übereinkommen mit jener Macht getroffen werden kann, welche die Kaiserfeste in Gewalt hält, mit den Nocturnen.«
»Er hat es euch erzählt?«, wollte Dairos wissen.
Obwohl es nahezu dunkel im Gang war, der Docht der Lampe nur ein wenig glomm, war das Nicken des grauhaarigen Ordensritters auszumachen. »Morgen früh bricht er nach Perlhafen auf und nimmt beide mit. Sie sollen als Tauschware dienen.«
»Ihr habt die Gefangene gehört. Die Nocturnen wollen, dass Cyriana den Blutritus spricht.«
»Ignatus ist sich sicher, dass sich dieser nur gegen das Volk der Nebelsirenen, vielleicht auch gegen Dryadengrün richtet. Wir sind nicht in Gefahr. Sie haben die Kaiserfeste nur eingenommen, um mithilfe des Magierzirkels die Druidin zu finden.«
»Das ist reine Spekulation. Um Cyriana habhaft zu werden, hätte es auch weniger spektakuläre Wege gegeben. Die Nocturnen brauchen die Gemeinschaft der Zauberkundigen noch für etwas ganz anderem.«
»Das mag sein. Aber Ignatus hat sich entschieden.«
»Ich lasse nicht zu, dass er sie Lajetan ausliefert.«
»Wenn mich nicht alles täuscht, entspricht das auch eurem Auftrag, Dairos von Ordon. Ihr solltet Cyriana nach Perlhafen zum Großmeister bringen.«Er lachte humorlos auf. »Aber nicht als Gefangene, sondern als Verbündete.«
Über Favulkos Gesicht huschte ein Schatten. Dem grauhaarigen Ordensritter war anzusehen, dass er mit der Entwicklung haderte. »Letztlich geht es nur darum, die Gefahr für das Reich zu bannen.«
Unbeirrt fuhr Dairos fort. »Ich sollte Cyriana bitten, dabei zu helfen, die Ordnung in der Kaiserfeste wieder herzustellen. Da wussten wir aber nicht, dass das Ziel jener Nocturnen ist, ihrer habhaft zu werden. Es ist der Magierzirkel, der die Träume schickt.«
Favulkos hob die Laterne etwas an und spähte in beide Richtungen des Gangs. »Dennoch, Dairos, war das der Auftrag, dem ihr euch verpflichtet habt.«
»Ja, solange dieser den Werten des Ordens entspricht. Verrat gehört nicht dazu. Geht mir aus dem Weg. Ich werde Cyriana aus dieser Burg schaffen.«
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Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe (Band 2)
FantasyBand 2 Nach den Ereignissen im Schattenwald hat sich Cyriana, verborgen vor den Augen des Ordens, im Norden Dryadengrüns niedergelassen. Doch auch hier kommt sie nicht zur Ruhe. Mysteriöse Träume suchen die Hexen heim und als Aratica entführt wir...