Eruptionen

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Ilortus gab das Zeichen. Alle Nebelsirenen versammelten sich am nördlichsten Punkt des Nebelfjords. Rache war ein Gericht, das kalt serviert werden musste. Sie hatten lange geplant und sich zurückgehalten. Nun war es Zeit zurückzuschlagen. Die Nocturnen hatten sich an ihrem Laich gütlich getan. Niemals würde die Nuark-Qol dies unbestraft lassen.

Der Schamane schwamm hinüber zum ersten Floß mit dem schlafenden Magmastein. Sein verbliebener Schüler, einer aus dem Laich der Muschelhüter, folgte ihm. Noch vor einem Jahr hatte er drei weitere Lehrlinge auf ihrem Pfad begleitet. Sie waren vergangen, als Yenraven die Apokalypse entfesselte.

Der junge Adept war sichtlich nervös. Ilortus legte ihm die Hand beruhigend auf die Schulter. »Die Najadengöttin wird dich stets leiten, vertraue dich ihr an.«

Er nickte etwas unsicher und sah hinaus auf den Nebelfjord. »Ist die Zeit gekommen?«
»Ja, sobald der Magmastein den Boden erreicht, wird die Kettenreaktion ausgelöst.«

Ilortus schwamm zurück zum Ufer. Die Jahre hatten ihren Tribut gefordert und er war schon längst nicht mehr so schnell wie früher. Sein Schüler verstand, wartete ab, bis er das seichte Wasser erreichte. Dann umrundete er das Floß und löste die Seile, die es zusammenhielten. Langsam trieben die Holzstämme auseinander. Der grobe, hundegroße Felsklotz inmitten des Schwimmers wankte, suchte sich eine Lücke zwischen den auseinanderdriftenden Hölzern und verschwand in der Tiefe.

»Schnell zurück, möge unsere Mutter ihre Hände schützend über dich halten«, rief Ilortus ihm zu.

Der Adept beschleunigte in höchstem Tempo, wie es nur die Zügellosigkeit der Jugend vermochte. Die Nebelsirenen, Hunderte, robbten mühsam das flache, grasbewachsene Ufer hinauf. Es war erniedrigend, doch das Wasser barg den Tod. Kaum hatte sich sein Schüler neben ihm an Land geschoben, da hatte sich auch schon die Algenhülle des schlafenden Magmasteins durch das Wasser aufgelöst, entblößte das feurige Innere.

Wie eine Bombe schlug der glühende Fels auf dem Grund des Fjords ein, fraß sich tief in den Boden. Eine donnernde Eruption brachte das Wasser zum Brodeln. Die aufsteigende Hitze fegte den ewigen Dunst des Nebelfjords zur Seite.

Dann war es soweit. Eine gewaltige Wasserfontäne spritzte in die Höhe, bildete eine erste kleine Flutwelle, die sich Richtung offenes Meer fortpflanzte.

Die Woge erreichte das nächste Floß, überschwemmte es, schob den darauf platzierten Fels ins feuchte Nass, wodurch sich sein Mantel auflöste und den schlafenden Magmastein erweckte.

Eine erneute Detonation hallte unheilverkündend über den Fjord, formte eine zweite, mächtigere Welle, die die erste einholte und diese auftürmte.

Weitere Flöße wurden von den Wogen gepackt. Es war nicht perfekt, aber dennoch bildete sich nach und nach eine immer höher werdende Wand aus Gischt und Wasser.

Der Nebelfjord kanalisierte die Wellen, die schäumend auf das offene Meer zurasten, dabei alle Fährhäfen beiderseits des Ufers gnadenlos zermalmten. Eine Woge türmte sich mittlerweile schon meterhoch auf und wuchs weiter.

Ilortus sah um sich, hoffte, dass die Menschen nicht gerade in diesem Augenblick in den Fjord herabstiegen. Es war ihnen unmöglich, zurück ins feuchte Nass zu gleiten, denn die Hitze des Magmasteins brachte das Wasser weiterhin zum Kochen.

Sie lagen auf dem Präsentierteller, mussten hoffen, unentdeckt zu bleiben.

»Verhaltet euch ruhig«, rief er seinen Wogenkriegern zu.

In der Ferne hörte sie den Tsunami den Nebelfjord entlangrollen, auf die offene See zu.

Ilortus dachte kurz an die vielen Menschen, die nun von der Flutwelle gepackt wurden und ihr nasses Grab fanden, empfand aber kein Mitleid.

Auge um Auge, Gräte um Gräte.

Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe  (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt