Cyriana beobachtete die schwarzhaarige Frau aufmerksam. Sie hatte ihr den Rücken zugewandt, brachte damit ihre ganze Verachtung zum Ausdruck. Von Dankbarkeit, dass sie sie mitgenommen hatten, war nichts zu spüren.
Ihre Geschichte, wonach sie vom Pferd gefallen war, glaubte die Druidin keinen Augenblick. Auch Jutan wirkte alles andere als glücklich. Er saß neben ihrem Gefährten, Ribhar, auf dem Kutschbock und steuerte den Karren über die kurvenreiche Wargonerstraße gen Süden.
Gedankenverloren griff sie sich an den Hals und war einen Moment lang verwirrt, als sie nur eine Kette, die mit dem Lebensfunkenstein ihrer Schwester ertastete. Doch dann erinnerte sie sich, dass sie das zweite Schmuckstück Aratica mitgegeben hatte.
Der Fremde, der sich als Ribhar vorgestellt hatte und einen umgänglichen Eindruck machte, wandte sich um, wohl um nach seiner Begleiterin zu schauen.
»Nehmt es Valaria nicht übel. Sie kann nicht gut mit anderen Menschen. Wir danken euch, dass ihr uns mitgenommen habt.«
Als Ribhars Gefährtin nicht reagierte, weiterhin einfach nur verträumt, hinaus in die aufsteigenden Dunstschwaden des Nebelfjords starrte, als ob sie darin etwas erkennen könnte, wandte sich Cyriana ab.
»Ich komme auch nicht sonderlich gut mit Menschen aus. Sie sind mir ein Mysterium.«
Ribhar lachte. »In der Tat.«
»Sie sind abgrundtief böse«, erklang Valarias Stimme, die sich aber dennoch nicht die Mühe machte, sich umzuwenden.»Wohin seid ihr unterwegs?«, erkundigte sich nun Jutan, fast schon beiläufig. Doch in seiner Stimme schwang Misstrauen mit. Cyriana fragte sich, was den Schmied aus Hanfkoven beunruhigte. War es die deutliche Verachtung Valarias, oder gab es andere Zeichen, die ihn irritierten?
»Nun, wir wollen zum Dryadenturm.« Ribhar runzelte die Stirn. »Ich denke, dies ist auch euer Ziel.«
Jutan nickte zustimmend. »Ihr habt Recht. Seid ihr im Besitz eines Passierscheins? Ohne ihn werden euch die Wachen nicht vorbeilassen.«
»Ja, hat uns einiges gekostet. Aber Valaria und ich wollen, dass unsere Stimme gehört wird.«
Der Schmied aus Hanfkoven wiegte seinen Kopf nachdenklich zur Seite. »Ich wünsche euch Erfolg. Zwar erhalten wir Gemeinen Gelegenheit am Fürstentag zu sprechen, doch die adeligen Fürsten hören zumeist gar nicht hin.«
»Wir wollen das Ohr des Regenten, Jutan, seine Antwort spielt keine Rolle.«
»Der Regent ist selten zugegen, wenn wir unsere Stimme erheben dürfen.«
»Er weilt zum Fürstentag am Dryadenturm. Glaubt mir, er ... wird zuhören.«Cyriana runzelte die Stirn. Das waren keine leichtfertigen Worte, vielmehr klang es bedrohlich. Jutan ging es wohl ähnlich, denn er rückte etwas von seinem Nachbarn auf dem Bock ab.
»Was wollt ihr vom Regenten?«, erkundigte sie sich. »Es klingt, als wolltet ihr ihn anklagen?«
Valaria wirbelte herum. Sie war unfassbar schnell. Schon im nächsten Augenblick starrte Cyriana aus unmittelbarer Nähe in die tiefblauen Augen der schwarzhaarigen Frau.
»Das geht euch nichts an.«, fauchte sie und in ihrer Miene spiegelte sich grenzenloser Hass. Die Druidin erstarrte und blickte auf geballte Fäuste, deren Fingerknöchel weiß hervortraten. Die Fremde stand kurz davor, auf sie einzuschlagen. Jutan riss an der Bremse, stoppte das Gefährt.
»Was ist in euch gefahren? Lasst sie in Ruhe«, fauchte er.
Ribhar sprang mit einem Satz auf die Ladefläche und legte seine Hand auf die Schulter seiner Begleiterin. »Ruhig Schwester. Diese Leute haben uns nichts Böses getan. Im Gegenteil, sie haben uns geholfen.«
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Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe (Band 2)
FantasyBand 2 Nach den Ereignissen im Schattenwald hat sich Cyriana, verborgen vor den Augen des Ordens, im Norden Dryadengrüns niedergelassen. Doch auch hier kommt sie nicht zur Ruhe. Mysteriöse Träume suchen die Hexen heim und als Aratica entführt wir...