Aus einer Vogelperspektive heraus, verfolgte Cyriana mit schreckgeweiteten Augen, wie hundegroße Krabben sich auf die Segler hangelten und die Besatzungen angriffen.
Sie konnte niemanden der Kämpfenden erkennen, denn dazu war sie zu weit entfernt, aber dass die Menschen auf den Schiffen um ihr nacktes Leben kämpften, war unübersehbar. Matrose um Matrose erlag den giftigen Stacheln der Skorpionkrabben oder fiel im Bolzenhagel. Es war offensichtlich, dass die Karavellen dem Ansturm der Nebelsirenen nicht standhielten.
Einer der Dreimaster feuerte eine Salve auf ein seltsames, einer gewaltigen, blätterumrankten Muschel ähnelndes Gebilde. Die meisten der Geschosse verfehlten das Ziel, platschten ohne Schaden anzurichten, ins Meer, andere, die die Blätter trafen, wurden katapultartig zurückgeschleudert.
Sie gewahrte eine Bewegung neben sich. Linkerhand, aus der Luft schälte sich eine Gestalt mit hocherhobener Waffe. Unverhofft sah sie sich der Nebelsirene gegenüber, die ihr schon in Leishas Welt nachgefolgt war. Valaria holte aus, um ihr den Dolch ins Herz zu stoßen. Ihr Blick loderte wild, fanatisch und voller Hass.
»Für die Najadengöttin ...«
Im letzten Moment blockte Siquotan die zustoßende Hand ab und verhinderte den tödlichen Stich. Mit einer schnellen Bewegung verdrehte er ihr das Handgelenk. Der Dolch fiel klappernd zu Boden. Die Nebelsirene ging auf die Knie. Sie schien geschwächt und war sichtlich nicht in der Lage gegen den Meerelfen zu bestehen.
»Seht, Cyriana. Ich sagte es euch schon. Diese Kreaturen sind einfach nur bösartig. Schaut in ihr Gesicht. Erkennt die Verderbtheit.«
Er sah sie hilfesuchend an. »Bitte verwehrt uns nicht weiter eure Hilfe. Wir stehen am Abgrund.«
Cyriana schaute verwundert in die Augen Valarias, die sie feindselig anstarrten. »Warum nur?«, hauchte sie enttäuscht. Jedes Wort Siquotans hatte sie bis ins Mark getroffen. Wie konnte sich jemand, der bei klarem Verstand war nur gegen die Nocturnen stellen, deren noble Motive anzweifeln?
Der blauhäutige Mann bückte sich nach dem Dolch, hielt ihn nachdenklich in der Hand. Aus den Augenwinkeln erhaschte sie einen kurzen Blick in seine entschlossenen Augen, erkannte seine Absicht, die Nebelsirene zu töten.
»Nein, Siquotan, bei eurer Ehre, sie ist wehrlos.«
Der Multiplex schrak zusammen und rang mit sich. Doch entwaffnet und geschwächt stellte sie trotz ihrer Schnelligkeit keine ernstzunehmende Gefahr mehr dar. Es konnte ihm unmöglich entgangen sein.
»Es tut mir leid, aber diese Kreatur hier verdient kein Erbarmen.«, stieß er wutentbrannt hervor. »Erinnert ihr euch, wie sie den Dryadenturm zum Einsturz brachte? Dort starben hunderte Unschuldiger.«
Gerade als er zustechen wollte, schob sie sich vor Valaria. Seitdem der Nocturne seinem Hass auf die Nebelsirene freien Lauf ließ, klärte sich ihr Blick zusehends. Eine leise Stimme ermahnte sie, wachsam zu sein. Ihr fiel auf, wie schnell der Meerelf den Dolch abgeblockt hatte ... so als hätte er den Angriff vorausgesehen. Hatte er etwa das Nahen Valarias bemerkt und einfach nur abgewartet, bis sie zuschlug? Um ihr zu beweisen, wie heimtückisch das Volk Nuark-Qols war? Verwirrt rieb sie sich die Augen. Das hatte Siquotan doch nicht nötig. Sein Edelmut und seine Rechtschaffenheit waren ebenso unverrückbar, wie ein Fels in der Brandung ... oder ... etwa ... nicht?
Der Magierchoral wurde lauter. Principal Xarop leitete ihn an. Ihre Blicke wandten sich wieder nach oben zu den Bildern, welche die Magiergruppe erschufen, um ihr die Niedertracht der Nebelsirenen zu zeigen.
Sie entdeckte mehrere dunkle Kreaturen in der Luft kreisen. Waren das nicht jene Seelensauger, von denen Lajetan berichtet hatte und hatte Xarop diese finsteren Geschöpfe nicht auch schon gegen die Bewohner Perlhafens ausgeschickt?
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Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe (Band 2)
FantasyBand 2 Nach den Ereignissen im Schattenwald hat sich Cyriana, verborgen vor den Augen des Ordens, im Norden Dryadengrüns niedergelassen. Doch auch hier kommt sie nicht zur Ruhe. Mysteriöse Träume suchen die Hexen heim und als Aratica entführt wir...