Die Nebelsirenen stimmten einen kreischenden Gesang an.
Guus schrie auf und umschlang seinen Kopf mit den Armen, fiel auf die Knie und wimmerte. Lajetan ächzte, stieß sich von der Reling ab und presste seine Hände gegen die Ohren. Ein Matrose torkelte wie schlaftrunken an ihm vorbei, am Geländer entlang, bis er das Gleichgewicht verlor und in die Tiefe stürzte.
Cyriana spürte, wie ihre Füße nachgaben und sie fast zu Boden gefallen wäre, hätte sie nicht instinktiv einen Stillezauber gewoben, der sie schützend einhüllte.
Aus den Ohren Guus floss Blut. Als der Steuermann wankte, dehnte sie die Glocke über die gesamte Drachenkrähe aus. Der Gesang der Sirenen kam zwar noch gedämpft durch, doch schlug er keine Wunden mehr.
Ächzend kamen Lajetan und die Besatzung wieder auf die Beine. Verwirrt und orientierungslos blickten sie um sich.
»Nehmt eure Armbrüste«, befahl der Großmeister und deutete auf die See hinaus. »Geht hinter der Reling in Deckung.«
Direkt vor dem Segler tauchten einige Nebelsirenen mit Blasrohren auf, schnellten förmlich in die Höhe, während sie gleichsam die Besatzung anvisierten.
»Nein.« Cyriana wäre zu langsam gewesen, doch Lajetan stieß sie Boden. Die vergifteten Pfeile landeten sirrend im Holz des Brückendecks. Einer der Matrosen schrie kurz auf und sackte mit glasigen Augen in sich zusammen. Noch ehe er aufschlug, war das Leben bereits aus ihm gewichen.
Am Rumpf erklangen schabende Geräusche. Etwas arbeitete sich die Außenwand hinauf. Bald darauf sah Cyriana die Scheren der Skorpionkrabben am oberen Rand der Reling. Die Krustentiere hievten sich an Bord, fielen auf die Planken. Noch ehe sie zum Angriff übergingen, packten zwei Matrosen ein Segeltuch und breiteten es über die klackernden Tiere aus. Guus eilte, bewaffnet mit einem schweren Knüppel heran und schlug solange auf die Decke ein, bis sie sich rot färbte und sich nichts mehr darunter regte.
»Seid ihr verrückt?« Cyriana zog Lajetan nach unten, hinter den Schutz der Bordreling. Sie deutete auf mehrere gefiederte Pfeile, die überall um sie herum in das Holz der Aufbauten schlugen.
»Mir kann nichts passieren, ...«, zischte er leise, »... bedenkt, ich sterbe von eurer Hand.« Ein fast schon sympathisches Grinsen zuckte über sein Gesicht. »Immerhin ein Vorteil dieser Prophezeiung.« Er sah zum Riff. »Ich wäre sicher problemlos drüben angekommen.«
Dieser Narr provozierte sein Schicksal und forderte die Vorsehung heraus. »Auch ein Seelenopal kann irren.«, knirschte sie verärgert.
Erneut ging ein Pfeilregen auf sie herunter. Diesmal schossen die Nebelsirenen in den Himmel, so dass die Bolzen hinter der schützenden Reling auf den Boden prasselten.
Dicht neben ihrer Hand schlug ein Pfeil in die Planke. Sogleich verfärbte sich um die Eintrittsstelle herum das Holz in einen bläulich Ton, verästelte sich. Bevor sie Zeit hatte, darüber nachzudenken, um was für eine seltsame Tinktur es sich handeln konnte, huben wieder schabende Geräusche an. Eine neue Welle der Skorpionkrabben hangelte sich an der Außenwand der Drachenkrähe auf das Oberdeck. Einer der Matrosen lag, getroffen von zwei Bolzen am Boden und rührte sich nicht. Der andere zog das Segeltuch von den zerschmetterten Körpern der Krustentiere der ersten Welle herunter.
Guus kam zurück an ihre Seite. »Seid ihr nicht diejenige, die alle fürchten?«
Er hatte Recht, die Zeit des Zauderns war vorbei. »Es reicht.« Sie stand auf, wob mit Hexenkraft eine schützende Aura um sich und beugte sich über die Reling. Sofort konzentrierten sich die Nebelsirenen mit den Blasrohren auf sie. Ein Pfeil nach dem anderen schlug in das flirrende Feld, welches sie eng umschlang, ein. Projektile prallten ab, fielen zu Boden, noch ehe sie ihre Haut auch nur ritzen konnten.
DU LIEST GERADE
Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe (Band 2)
FantasiaBand 2 Nach den Ereignissen im Schattenwald hat sich Cyriana, verborgen vor den Augen des Ordens, im Norden Dryadengrüns niedergelassen. Doch auch hier kommt sie nicht zur Ruhe. Mysteriöse Träume suchen die Hexen heim und als Aratica entführt wir...