Schlechte Kunde

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Ein heftiges Klopfen an der Tür riss Cyriana aus ihrem Bett. Sie wälzte sich schlaftrunken herum. In der Kammer war es dunkel. Keinesfalls dämmerte bereits der Morgen.

»Bitte öffnet.«
»Es ist Trastian ... und er sorgt sich ...«, zischelte die kleine Drachenschlange. Sie war wohl in der Nacht unter ihr Bett gekrochen, um ihren Schlaf zu überwachen.

Cyriana strich sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht, warf sich einen Umhang über und eilte zum Ausgang. An der Tür angelangt zögerte sie kurz, überlegte, ob sie nach ihrer Steinschlosspistole suchen sollte. Doch es war nur dieser junge Bauernbursche, der mit Aratica getanzt hatte. Seufzend schob sie den Riegel zurück. Der braungelockte Sohn der Dorfvorsteherin stand schweratmend und schweißnass im Türrahmen. Er musste den ganzen Weg vom Dorf bis zu ihrer Hütte gelaufen sein.

Ein eisiger Schrecken durchzuckte sie. »Aratica?«

»Sie haben sie festgesetzt und mitgenommen«, keuchte Trastian, während er nach Luft schnappte.

Dies ließ Cyriana erleichtert aufatmen. Wer immer die Assassine entführt hatte, würde keine Freude daran haben, riskierte letztlich sein Leben. Nun war sie sich nicht einmal mehr sicher, um wen sie sich mehr Sorgen machen sollte. Um Aratica oder jenen, die sie wohl gegen ihren Willen fortgebracht hatten.

Sie gab die Tür frei. »Kommt doch herein Trastian, beruhigt euch und berichtet mir.«

Der junge Bauernbursche betrat die Hütte, die Cyriana seit knapp einem Jahr bewohnte. Den vorherigen Besitzer, einen zurückgezogen lebenden Jäger, hatte Aratica mit einigen Goldmünzen, die allesamt aus ihrem früheren Leben stammten, ausgezahlt. Die Assassine selbst hatte es sich in einem kleineren Anbau gemütlich eingerichtet.

Wie gewöhnlich hielt sich Zurolon versteckt. Zwar suchte der Orden sie weiterhin im goldenen Reich und nicht hier in Dryadengrün, doch die kleine Drachenschlange war einfach zu auffällig. Gerüchte verbreiteten sich viel zu schnell. Auf eine Konfrontation mit den Schergen des Ordens verspürte sie wenig Lust.

Sie ging zu einer Laterne und drehte den Docht auf. »Setzt euch und erzählt. Aber bitte von vorne.«

Verstohlen musterte sie den jungen Burschen, dem es gelungen war, Aratica für sich einzunehmen. Stockend berichtete Trastian von der Ankunft des Lords und der Anklage gegen ihre Schülerin. Als sie bemerkte, wie er in seinem Bericht innehielt und etwas auslassen wollte, hob sie nur kurz eine ihrer Augenbrauen.

»Meine Mutter hat mir verboten, hierherzukommen, meinte, sie sei gefährlich.«
»Wieso denn das?«
»Ich weiß einfach nicht, wer sie ist«, brach es aus ihm hervor. »Aber sie hätte die Männer spielend überwältigen, nein, töten können.«

Gut, Cyriana war zufrieden. Das hatte ihr an Trastians Bericht gefehlt. Eine Aratica, die sich kampflos aufgab, war unvorstellbar. Es bedurfte mehr als ein paar einfache Söldner, um ihrer habhaft zu werden. Sie deutete dem Bauernburschen an, fortzufahren.

»... dann haben sie sie niedergeschlagen und mitgenommen«, schloss Trastian schließlich seine Erzählung ab.

»Wisst ihr denn wohin?«
»Dieser Lord wollte zum Dryadenturm.«

Im Reich Dryadengrün gab es viele bedeutende Städte, kleine Stadtstaaten, die nahezu autark regiert wurden. Zwar gab es eine herrschende Dynastie und einen Regenten, doch war dessen Einfluss durch die Stadtherren begrenzt. Daher hatte die Aristokratie vor Jahrhunderten einen neutralen Ort gesucht, um Recht zu sprechen. In der Folge einigten sich die mächtigen Fürsten des Landes darauf den aus einer archaischen Zeit stammenden Dryadenturm als Gerichtshof zu nutzen.

In diesem Gebäude tagte immerfort ein Tribunal, welches von den Stadtherren, sowie vom Regenten selbst angerufen werden konnte, in dem aber auch regelmäßig wichtige Angelegenheiten des Reichs besprochen wurden.

Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe  (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt