Bekanntmachung eines Regenten

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Aratica hatte ihre Kapuze wieder tief über ihren Kopf gezogen und achtete darauf, dass ihre Rastalocken nicht zu sehen waren. Sie trat hinter den breiten Rücken Siquotans und sog jedes gesprochene Wort in sich auf.

»Was wollt ihr nur mit diesem Weib?«, ätzte Garl IV, doch der Meerelf hob beruhigend seine Hände.

»Lady Cyriana ist ein Geschenk der Götter, edler Regent. Sie ist das fehlende Puzzlestück, der Schlüssel zur Freiheit.«

Erst jetzt ging Garl IV auf, wen Siquotan noch in die Loge gebracht hatte. Sein Blick verweilte ungläubig auf ihr. Nun denn. Als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, ließ sie sich neben dem Regenten auf die seidenen Kissen gleiten. Der Vater Kendars wurde blass. Natürlich kannte er ihren Ruf und auch wenn sie unbewaffnet war, so wusste er das nicht. Er zögerte, ging wohl seine Optionen durch, wagte es schließlich jedoch nicht, nach seinen Wachen zu rufen.

Aratica schenkte ihm ihr süßestes Lächeln. »Keine Angst, ich verzeihe euch, dass ihr mich hinrichten wolltet.«

»Ihr habt mir eine Natter ins Nest gesetzt, Multiplex. Das werde ich euch nicht vergessen«, presste Garl zwischen zusammengekniffenen Lippen hervor. Der Regent warf sich brüsk herum und verließ seinen Balkon. Er musste ohnehin auf den Grund des Kleeblatts gehen, denn nur dort war es ihm gestattet, seine Rede zu halten. Sie winkte ihm nach.

»Ihr solltet von hier verschwinden, Lady Aratica, solange ihr es noch könnt. Er wird seine Wache rufen und euch verhaften lassen«, raunte Siquotan ihr zu.

»Nein, wird er nicht. Schon gestern hat er alles daran gesetzt, die Lage ruhig zu halten. Bleibe ich unauffällig, wird er also nichts unternehmen.«

Der Multiplex verzog zweifelnd seine Miene. »Verzeiht mir, aber die Tugend der Zurückhaltung gehört nicht zu euren Stärken.«

Grinsend unterzog sie die Loge einer genauen Prüfung. Es entging ihr nicht, als Siquotan besitzergreifend seine Hand auf die Schulter Cyrianas legte und ihr etwas ins Ohr flüsterte, woraufhin sie selig lächelte. Allein schon die Tatsache, dass die Druidin ihn nicht verschreckt wegstieß, war außergewöhnlich. Aber dieses entrückte Grinsen war geradezu gruselig.

Seufzend nahm sie die Begutachtung der Loge wieder auf, prüfte, ob sich ein Gegenstand fand, den sie als Waffe nutzen konnte. Zur Not konnte sie Siquotan auch im richtigen Moment einen winzigen Stoß geben, der ihn über das Geländer ...

»Hört mich an, Herzöge und Fürsten Dryadengrüns.«

Garl der IV stand mitten im Raum und seine laute Stimme hallte durch das Kleeblatt. Siquotan schob Cyriana bis vor an die Brüstung. Er umfasste ihre Taille und war ihr ganz nahe. Näher als es die Druidin jemals zugelassen hätte.

Im Rund kehrte Stille ein. Alle warteten auf die Rede des Regenten, die er am gestrigen Tag bereits angekündigt hatte.

»Ich bekam vor einigen Wochen die Aufforderung aus dem Fürstenrat mich zu erklären. Ich will es heute tun.«

Wie auf ein geheimes Kommando hin trat der Turmrufer nach vorne und klopfte mit seinem Stab mehrfach auf den Boden. Wie Donnerschläge hallten die Schläge durch das Atrium.

»Der Fürstenrat hat Garl IV ersucht, darüber Rechenschaft abzulegen, weshalb am Tage der Najaden acht Karavellen und vier Transporter mit unbekanntem Ziel aus Moorhafen ablegten und bis heute nicht zurückkehrten. Nur drei der Schiffe unterstanden direkt dem Regenten, die anderen gehörten den Fürstenhäusern Fablo aus Dachsburg und Craudia von Qarantius, sowie den Diadochen aus den Waldstädten im Westen. Die vier Handelsschiffe entstammten dem Kontor der Handelsgilde.«

Der Turmrufer schlug erneut seinen Stab auf den Boden, ließ seinen Blick über die gespannt lauschenden Fürsten schweifen. »Die Eigentümer verlangen Aufklärung und eine Entschädigung sowie den Verlust jeglicher Rechte des Regenten auf den Oberbefehl über die Flotte.« Inmitten des einsetzenden Raunens trat der Turmrufer zurück und überließ dem Herrscher Dryadengrüns die Bühne.

Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe  (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt