Dieses Buch hätte vorbei sein können.
Ohne Vorwarnung, außer vielleicht der einer vorherigen Schreibpause, die aber im Endeffekt niemandem aufgefallen wär, außer mir selbst.Und so war unser Gespräch: ohne Vorwarnung, aber mit einer vorherigen Zueinander-Ehrlich-Sein-Pause, die auch niemandem aufgefallen ist, außer uns selbst. Zumindest habe ich nicht spürbar gewusst, dass du gerade genauso viel in dich hineinschweigst, wie ich. Aber als du es mir dann alles sagtest, alles auf einmal, da spürte ich, dass es mir eigentlich die ganze Zeit bewusst gewesen war. Halt eben nur: unterbewusst.
Ich bin die, die den ganzen Tag redet und schreibt und sich mitteilt, aber wenn es wirklich drauf ankommt, dann manchmal nicht. Du bist umgekehrt. In den wirklich wichtigen Momenten sagst du genau das Richtige. Und das ist wirklich toll an dir und nur eine weitere Sache, die du so gut machst. Ich hätte dieses Kapitel also auch wie die allen anderen beginnen können mit:
Dass dir Reden manchmal schwer fällt. Aber dass du es bist, der in den schweren Momenten dafür sorgt, dass uns die Stille nicht erdrückt. (Ich glaube, du kennst dich mit ihr etwas besser aus, als ich. Deshalb kannst du die so gut zähmen.)
Wir hatten drei Gespräche an drei Abenden. Sie waren unterschiedlich schwer. Du weißt es, ich auch. Zur Not steht es auch nochmal in meinem Tagebuch. Sonst muss es niemand mehr wissen. Aber diese drei Gespräche hatten wir. Dann haben wir uns ein paar Tage nicht gesehen. Als wir uns dann wieder sahen, wusste ich nicht so recht, was ich machen soll.
Du vielleicht auch nicht, also gingen wir in ein Café, weil das eine Sache ist, die wir immer mögen. Und dann redeten wir noch einmal. Auch als wir aufstanden und spazieren gingen, und dann auf der Bank am Fluss saßen, auch da redeten wir noch. Ein paar hundert Meter weiter auf einer anderen Bank hatten wir vorletzten Spätherbst ein anderes Gespräch gehabt. Da wärst du fast nach LA gegangen, zum studieren. Und als du das gesagt hast, hatte ich fast weinen müssen. Da kannten wir uns zwar erst wenige Wochen, aber in dem Moment ist mir aufgefallen, wie wichtig du mir schon geworden warst.
Und nun saßen wir gerade wieder dort, an diesem Fluss, nur auf einer anderen Bank, ein paar hundert Meter weiter, und du umarmtest mich auf einmal und fragtest: bist du glücklich?
Und in dem Moment musste ich ganz an den Anfang denken.
Es war ein Tag irgendwann im Spätsommer vor zwei Jahren gewesen, und ich fuhr frühmorgens Straßenbahn. An einem Samstag, was für Menschen mich eine komische und unnötige Zeit ist, umStraßenbahn zu fahren. Ich hatte gerade in einer anderen Stadt bei einer Freundin übernachtet und war nun auf dem Weg zurück nach Hause. Und ihr Kumpel, von dem ich mir gerade irgendetwas erhoffte, hatte mich an dem Abend zuvor versetzt. Mal wieder. Sein Art sich zu melden - bzw. nicht zu melden - war die verletzendste und verunsicherndste, die ich bisher kennenlernen musste. Nun war ich also frühmorgens auf dem Heimweg, starrte aus dem Fenster der Straßenbahn, war sehr wütend und verwirrt und mein Herz tat weh - und alles war ein bisschen diffus und scheiße. Aber ich fand einen richtigen Moment: fokussierte mit meinen Augen zuerst den Dreck auf der Straßenbahnfensterscheibe und dann die Bäume im Park. Und da beschloss ich auf einmal, diesem Typen einfach nicht mehr zu schrieben. Und alle meine Dating-Apps zu deinstallieren. Und keine Lust mehr auf so etwas zu haben. Und auf einmal fühlte sich alles klar und endlich mal wieder real und richtig an.
Ein paar Meter Fahrt schaute ich so aus dem Fenster, die Sonne beschien zwischen flackernden Schatten das Innere der Bahn und mein Herz klopfte, als würde ich gerade von Zuhause weglaufen, um endlich glücklich zu werden. Es fühlte sich wirklich kurz so an. Ich war extrem aufgeregt. Ich musste nicht einmal mein Handy nehmen und seine Nummer und die Apps löschen - allein der Beschluss reichte. Ich fühlte mich plötzlich, als würde ich ganz alleine aufbrechen und mit ganz wenig Gepäck. Und das war so gefährlich und leicht und hart und echt. Und mit diesem Gefühl schaute ich hinaus und bekam wieder richtig Lust auf das alles. Als die Bahn anhielt schaute ich zur Abwechslung, welche Leute so einsteigen.