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Tw! Beschreibung von Gewalt, Drogen und dem Wunsch zu sterben, sowie Anzeichen von Trauma!
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Nate's Pov:

»Du musst, Nathan! Es führt kein Weg dran vorbei!«, raunte seine tiefe, bassige Stimme und legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Ich will nicht!«, widersprach meine Stimme, als ich ungefähr elf war. Seine Finger bohrten sich langsam in meine Schulter, schienen den Knochen greifen und ihn herausreißen zu wollen. Es tat weh. Sehr sogar. Wieso tat er das? Wieso tat er mir schon wieder weh? Er hat gesagt, dass er aufhören würde, wenn ich mitkam. Und nun bohrten sich seine Nägel auch noch in durch den Stoff meines T-Shirts, in meine Haut hinein.

»Bitte! Ich will das nicht! Ich kann das nicht! Wieso wollen die das alle?« Meine kindliche Stimme bettelte. Sie bettelte darum, einfach gehen zu können, einfach aufzuhören und wieder nach Hause zurück gehen zu können. »Es gibt kein zurück!« Das laute Schnauben hallte von den weißen Wänden wieder, prägte sich in meinen Kopf ein und ließ mich erschaudern. Und dann schob sich sein eingefallenes, mit tiefen Furchen und Augenringen geziertes Gesicht in mein Blickfeld. Die dunkelbraunen, fast schon schwarzen Haare, glichen meinen, nur dass seine stumpf und durcheinander waren. Ebenfalls ähnelte seine Gesichtsform meiner, nur die Augen waren anders. Diese dunklen, düsteren Augen, schienen mich mit ihrem Blick zu durchbohren, schienen zu merken, wie mein Körper vor Angst und Kälte zitterte, und seine Finger gruben sich erneut um den Knochen meiner Schulter. Ich biss mir auf die Unterlippe, schloss kurz die Augen um dem Teufel zu entkommen und wurde sofort zurück in die Gegenwart geholt, als er mich ohrfeigte.

Mein Kopf war genau in dem Moment zur Seite gezogen, als sich eine Tür öffnete und Schritte auf den kalten Fliesen zu hören waren. Auch diese Schritte hallten von den Wänden wieder, während meine Wange brannte und meine Augen sich wieder öffneten, um in seine zu starren. Er machte mir Angst vor Blickkontakt. Er machte mir Angst vor dem Leben, welches ich noch vor mir hatte. Ich wollte im Erdboden versinken, einfach sterben und nicht mehr so weiter machen. Womit hatte ich diesen Mann verdient?

Ein weiterer Schlag folgte, welcher gefolgt von einem Schubsen kam, und mich damit zu Boden brachte. Meine Hände fingen mich ein wenig ab, doch das brachte mir nicht sonderlich viel. Der Teufel höchstpersönlich stand über mir. Und in seinem Blick lag keine Gnade.

»Nein, bitte nicht! Hör auf!«, hörte ich nun auch Blaine's Stimme, welche einen ganz anderen Klang, als meine hatte. Und dann plötzlich spürte ich einen Tritt in meine Rippen, gefolgt von noch einem und noch einem. Schmerzerfüllt rollte ich mich herum, wollte, dass es stoppte, ich nichts mehr fühlen musste und endlich alles gut wäre. Doch die Tritte prasselten weiter auf mich ein. Auf meine Rippen, in meinen Bauch, meinen Rücken, meine Arme, ein paar trafen meinen Kopf und als ich völlig fertig auf dem Rücken auf den Boden lag, meine Augen geschlossen hielt und dachte, dass ich sterben würde, beugte sich ein finsterer Schatten über mich und ich spürte kaltes Metal an meinem Bauch.

Ich schreckte hoch, spürte, wie ein Arm um mich lag, doch meine Panik zu groß war, um eine einzige Berührung zu dulden. Meine Hände zitterten, ich war nass geschwitzt und sprang von meinem Bett auf, nur um nahezu zum Bad zu rennen. Gerade als ich die Tür zugezogen hatte, spürte ich, wie meine Kehle leicht zu brennen begann und ich lehnte mich über das Waschbecken, als mein Abendessen sich einen Ausweg aus meinem Körper verschaffte.

Mein Magen zog sich zusammen, als mein Körper komplett leer war, und nichts mehr übrig war, was ich auskotzen könnte. Doch der Würgreiz ging noch ein paar Sekunden weiter, bis er abrupt aufhörte und ich müde, erschöpft und völlig am Arsch in mein Spiegelbild sah. Meine Augen waren müde, und mein Gesicht ähnelte so verdammt sehr seinem. Ich hasste mich dafür, dass ich wie er war.

Nachdem ich den Wasserhahn aufgedreht hatte, ließ ich mich erschöpft am Waschbecken hinunter auf den Boden sinken, und spürte, wie mich die Leere und Einsamkeit einnahm. An diesem Tag, von dem meine Erinnerung und der dazu gehörige Albtraum gehörte, hatte ich das erste Mal gehofft, dass mich all das Leid endlich verlassen, und ich endlich sterben würde. An diesem Tag, an dem ich fast gestorben wäre, hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass Schmerz eine gewisse innere Leere füllte, die ich mit elf vermutlich nicht fühlen sollte. Und genau an diesem Tag hatte ich erfahren, wie wichtig ich Blaine war, auch wenn ich es nicht verdient hatte. Er rettete mich, das hatte er schon immer getan. Denn auch ohne sonderlich viel Geld, brachte er mich ins Krankenhaus und pflegte mich mit der Unterstützung meiner Mutter später Zuhause wieder komplett gesund.

»Wir sind eine Familie, wir müssen zusammenhalten. Niemand von uns kann einfach gehen, es würde den anderen nur zu sehr weh tun. Also müssen wir aufeinander aufpassen, verstehst du?«, hatte er gesagt, als ich ihn fragte, wieso er mich nicht einfach liegen ließ, und mit unserem Vater ging, um diesen Stolz zu machen. Nun, die Wahrheit war eigentlich, dass er unseren Vater nicht stolz machen wollte und konnte. Das konnte niemand. Lag vermutlich daran, dass er es nicht zuließ und im Endeffekt immer die Schuld auf die anderen fiel.

Meine Gedanken fielen zurück auf den Traum. Vom verschwommenen Anfang bis zum Ende ging ich ihn nochmal durch. Um ehrlich zu sein wusste ich nichtmal, ob es genau so abgelaufen, ich wusste nur, dass er mich niedertrat. An den Rest konnte ich mich nicht wirklich erinnern und die Vermutung lag nahe, dass sich mein Kopf irgendwas zusammen gereimt hatte, um dem Geschehenen einen Sinn zu geben. Doch der Anfang ... der Anfang war wahr. Es ging darum, dass er mich damals zwingen wollte, ins Geschäft mit einzusteigen. Nur damit er mehr Geld bekommen würde, wollte er, dass Blaine und ich den Menschen auf der Straße - den Junkies, den Prostituierten, den Obdachlosen und den Fragenden -, egal in welchem Alter sie auch immer waren, Drogen verkauften. Dabei ging es meistens um Grass und Kokain, manchmal jedoch auch um härtere Drogen wie Crack und Methamphetamin.

Mit diesem Job machte ich die ersten Erfahrungen damit, was Drogen mit Menschen machten. Die zweiten Erfahrungen, machte ich mit dem high sein und dem Entzug, zu dem meine Mutter und meine Geschwister mich gezwungen hatten. Und heute war ich froh, dass ich aufgehört hatte, da ich nicht wirklich genau das Aussehen meines Vaters annehmen und auch nicht dauerhaft high sein wollte.

Langsam und schwankend richtete ich mich wieder auf, sah müde und verbittert auf die Reste auf dem weißen Keramik und wusch alles ab, bevor ich erneut in mein Spiegelbild sah und mit meinen Fingern durch meine verschwitzten, verknoteten und inzwischen auch spröden Haare fuhr. Manchmal war das Leben eine Bitch ... Moment, nicht nur manchmal. Eigentlich gab es bisher mehr schlechte, als gute Situationen und Momente, in meinem Leben. Doch vielleicht hatte ich es ja auch verdient ... irgendwie.

Langsam verließ ich wieder das Bad und machte mich angespannt wie frustriert auf den Weg zurück in mein Zimmer. Als ich die Türklinke herunterdrücken wollte, kamen auch noch die Schuldgefühle dazu. Ich hatte mich vorhin wie ein panisches Reh im Scheinwerferlicht verhalten, während Luce mir niemals etwas antun würde. Zumindest nichts, was schlimmer sein könnte, als eine Tat meines Vaters. Und doch war ich einfach gegangen, ohne auch nur ein erklärendes Wort heraus zu bekommen.

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Ein anderer Tag, an dem ich etwas neues veröffentliche. Dieses Kapitel mag ich tatsächlich auch ziemlich gerne, und so langsam aber sicher bringen wir Licht in die dunkle Vergangenheit von Nate🫣
Ich hoffe, dass es euch ebenfalls gefällt, und würde mich sehr über ein Vote oder einen Kommentar freuen🫶 Einen wunderschönen Tag noch👋

You'll Lose In Love | Boy×BoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt