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Trauma
- NF

Luce's Pov:

Es gab Tage, an denen waren die Schmerzen schlimmer, als an anderen. Obwohl sich mein Ibuprofen Gebrauch langsam eingestellt hatte, musste ich an diesen Tagen eine Tablette mehr nehmen. Und als wieder so ein Tag kam, war ich auch noch unmotivierter denn je. Ich hatte den ganzen Stoff fürs Abi bekommen, den ich brauchen würde. Die Lehrer hatten mir sogar angeboten, es digital zu schreiben, was allerdings nicht gehen würde, da ich spicken könnte und die Schule vermutlich nichts bekommen würde, mit dem schlechten Internet, was sie immer hatten. Dadurch, dass ich nichtmal mehr im Unterricht war und - laut dem Plan, der sich jeden Tag zu ändern schien - nächste Woche Vor-Abi-Prüfungen geschrieben wurden, wurde ich nur zusätzlich unter Druck gesetzt. Eigentlich musste ich lernen, doch mir tat alles weh und ich hatte absolut keine Lust. Es war einer der Tage, an denen ein depressives, herunterziehendes Gefühl mich einnehmen und im Bett behalten wollte. Und niemand war da, um mich aufzumuntern.

Gegen 11 Uhr musste ich aufstehen, da ich nicht mehr liegen konnte und mein Knie mich umbrachte. Ich wollte laufen, also hatte ich jede Tablette, die ich einnehmen könnte, nicht mehr in diesem Zimmer - übrigens war es weiterhin nicht mein sondern Nate's Zimmer, doch von dem Mobiliar und ein paar wenigen Einrichtungsstücken wie einem T-Shirt und zwei Hosen, war von diesem ja nichts mehr übrig. Somit fungierte es quasi als Gäste- beziehungsweise mein Zimmer. Er hatte Pech gehabt. Ob Nate sich jemals wieder blicken lassen würde, war für mich ebenfalls fraglich, doch eigentlich war es mir relativ egal. Er könnte ruhig auch am Arsch der Welt verotten. Ich mochte ihn viel zu sehr, doch er hatte nicht ein einziges Mal seine Familie angerufen, ihnen geschrieben, einen Anruf angenommen oder eben zurück gerufen. Und irgendwas daran machte mich wütend. Ich fühlte mich, als hätte er mich betrogen, was nicht zutraf, da wir nie zusammen waren und er selbst gesagt hatte, dass wir unser eigenes Leben leben würden. Und trotzdem war da noch mehr, begleitet von diesem hässlichen Gefühl in meiner Brust, was ich jedes verdammte mal mit ihm verband.

Ich setzte mich auf, hiefte mich aus dem Bett und stützte mich am Nachttisch hoch. Ich erinnerte mich noch daran, wie auf diesem Nachttisch eines seiner Bücher gelegen hatte, in dem er genau einen Satz markiert hatte, der dieses Gefühl beim Küssen genau beschrieb. Und dann waren meine Gedanken zurück bei ihm - Nate - und wie schön es mit ihm war. Fast schon wie in einem Märchen, nur dass ich das Happyend aufgegeben hatte, seitdem er weg war und ... all das passierte.

Humpeld ging ich durch das Zimmer, wobei ich immer darauf achtete, mich irgendwo abstützen zu können, dann trat ich auf den Flur hinaus. Diese Stille war irgendwie bedrückend und bedrohlich. Vermutlich würde ich später Musik hören oder sowas, einfach nur, um mich abzulenken. Denn Ablenkung war gut. Ablenkung war schön. Und sie tat meistens genau das, was sie tun sollte. Also hatte ich so gut wie nie etwas gegen Ablenkung. Was war meine Ablenkung vor Nate? Waren es die Mädchen? Die Partys? Meine Freunde? Der Alkohol? Vielleicht ja eine Mischung aus allem? Ich wusste es nicht. Früher stellte alles eine gute Ablenkung dar, heute war es schwieriger. Wieso hatte ich so lange eigentlich nichts mehr mit einem Mädchen? Irgendwas an Mädchen hielt mich zurück. Irgendwas an ihnen interessierte mich nicht mehr. Und dafür interessierte mich irgendwas an Jungs wiederum mehr. Ergab das überhaupt Sinn?

Während ich mich ein wenig an der Wand abstützte und entlang tastete, humpelte ich ins Wohnzimmer. Der Schmerz schien in mein Bein auszustrahlen, was eigentlich nichts Neues mehr war, jedoch immer unangenehm sein würde, wie ich vermutete. Vielleicht würde ich mich ja dran gewöhnen? Vielleicht könnte ich irgendwann damit leben oder einfach keine Schmerzen mehr haben?

Nate's Pov:

Meine Hand nestelte an dem Knoten meiner Krawatte - welche leider zu der Schuluniform dazu gehörte - und lockerte ihn weiter auf. Ich fühlte mich, als seien Seile um meine Kehle geschlungen und würden mir die Luft aus meiner Lunge drücken. Mein Luftmangel war groß und das hinzukommende Zittern war ein weiteres Anzeichen für eine Panikattacke. Normalerweise wäre ich nun gegangen. Früher wäre ich mit Luce gegangen. Früher hätte er mich in den Arm genommen und mich beruhigt. Früher hätte er mich weinen, stumm bleiben oder reden lassen. Doch er war nicht hier. Es war nicht die Vergangenheit. Ich lebte in der Gegenwart. Und in der Gegenwart hatte ich eine Panikattacke, weil ich sah, wie wenig ich mal wieder schulisch leistete.

Mit zitternden Fingern ertastete ich das kühle Metall um meinen Hals, zog es etwas weiter hervor und drückte den kühlen Anhänger in meine Handfläche. Irgendwas beruhigendes hatte dieses Schmuckstück an sich, doch es war nicht beruhigend genug. Ich holte tief Luft, schloss kurz meine Augen und versuchte mich nur auf meine Atemzüge und das Metall zu konzentrieren, doch es klappte nicht. Es wurde immer schlimmer. Mir schossen Tränen in die Augen, meine Knie begannen auf und ab zu wippen und mir fiel der Stift aus der Hand. Ich würde abgeben, wenn das so weiter ging. Fuck, fuck, fuck. Ich musste hier raus. Ich musste an die frische Luft.

Kurz angebunden stand ich auf, nahm mein Blatt mit und ging mit wackeligen Knien zum Lehrerpult. Der in die Jahre gekommene Mann sah mich mit schiefgelegten Kopf an, als ich das Blatt vor ihn legte und ich sah ihm direkt in die Augen, meine Lippen waren zu einer dünnen Linie zusammen gepresst, um kein Räuspern oder irgendeinen erstickten Ton von mir zu geben.

»Sind Sie sicher, dass Sie schon abgeben möchten?«, fragte er. Ich nickte nur, er machte eine Handbewegung, welche mir erlaubte, den Raum zu verlassen. Und genau dies tat ich. Ich ging, ohne überhaupt ansatzweise den kompletten Prüfungsbogen ausgefüllt zu haben. Zur Not würde ich eine Nachprüfung schreiben, wenn mir diese angeboten werden würde. Die Hauptsache war, dass ich raus gehen konnte, dass ich wieder atmen konnte und dieses beschissene Gefühl, welches meine Brust und Lungen zusammen zog, aufhörte.

Als ich endlich nach draußen trat, blieb ich stehen, sah gen Himmel und ließ die Sonne mein Gesicht wärmen. Ich schwitzte kalten Schweiß, das Zittern hatte weiterhin nicht aufgehört und meine Beine fühlten sich so an, als würden sie gleich unter mir nachgeben. Trotzdem ging ich weiter, ließ mich auf die erste Bank in meiner Nähe fallen, schob die Ärmel meines Hemdes hoch und scherte mich einen Dreck darüber, wie meine Arme aussahen. Die Narben waren verblasster, doch sie würden niemals ganz weg sein. Mir war dies mehr als nur bewusst, und genauso egal. Es war egal, wie mein Körper aussah. Vielleicht würde ich andere, die an mir interessiert waren, damit abschrecken, doch es war mir egal. Mein Herz war vergeben an eine Person, die mich auch mit Narben akzeptiert hatte. Er hatte mich am Boden gesehen, und doch hatte er sich auf dieses ... Etwas, was wir führten, eingelassen. Fuck, ich musste zurück zu ihm. Luce, oh Luce, wo bist du nur? Wieso kannst du nicht bei mir sein? Wieso ignoriere ich dich überhaupt? Ich hab meinen Verstand doch sowieso an dich verloren, also wieso sollte ich nun so tun, als wäre da nichts? Wieso war ich so unglaublich dumm?

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Nate hat eine Panikattacke und denkt an Luce, Luce denkt an Nate und hat Schmerzen und mehr kann ich zu diesem Kapitel auch nicht sagen. Über Votes, Kommis und Reader würde ich mich sehr freuen, sonst wünsche ich noch einen wunderschönen Tag🫶👋

You'll Lose In Love | Boy×BoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt