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Mystery Of Love
- Sufjan Stevens

Luce's Pov:

Auch wenn ich schon viel Alkohol intuss hatte, konnte ich noch relativ klar denken und mein Herz zog sich bei dem Gedanken daran, was in der nächsten Stunde passieren würde, unangenehm zusammen. Ich konnte und wollte ihn nicht verlieren. Wobei dieses Mal bei 'konnte' und 'wollte' tatsächlich ein Unterschied lag. Doch ich wollte, dass Nate glücklich war und es ihm besser ging. Ich wünschte ihm, dass seine Albträume und die depressiven Episoden ein Ende nehmen, oder zumindest besser werden würden.

Nate bestand schließlich darauf, dass er fuhr, nachdem ich mit der Schulter gegen die Kante einer Mauer lief - was ich auch im nicht betrunkenen Zustand hinbekam, da geradeaus laufen irgendwie immer ein Problem für mich darstellte - und deswegen ließ ich mich nach der Verabschiedung von unseren Freunden auf den Beifahrersitz fallen. Er startete unter meinem kritischen Blick langsam den Motor, parkte fast schon vorsichtig aus und fuhr die Straße entlang. Erst als wir auf der Hauptstraße waren, fuhr er weniger pflichtbewusst und als wir schließlich bei ihm ankamen, konnte ich verstehen, dass er den Führerschein nicht geschafft hatte. Sein Fahrstyle war immer waghalsig, doch auf der Straße mit nem Pkw war bei ihm scheinbar noch schlimmer, als mit einem Motorrad. Mein Magen drehte sich, genauso wie mein Kopf, als ich ausstieg und die Wagenschlüssel zurück bekam.

»Luce, du solltest echt aufhören, so viel zu trinken.« Den Rat, den er mir gab, würde ich mir nicht zu Herzen nehmen, und das wusste er. Also gingen wir nach drinnen - wobei Nate seine Hand an meine Schulter legte, als wir um eine Ecke gingen, und ich schüttelte grinsend den Kopf. Er hatte schon einen kleinen Knall, aber irgendwie war es auch süß, wie er sich darum sorgte, dass ich mich nicht verletzte, wenn ich getrunken hatte.

Blaine war jetzt schon gestresst, da er scheinbar nichts mehr wiederfand, Cynthia beobachtete ihren großen Bruder belustigt, wie er durch die Wohnung rannte und Melli konnte scheinbar nicht schlafen. Ob sie das Chaos im Moment verstand oder dafür bereits zu müde war, wusste vermutlich nur sie selbst. Selbst als Nate schließlich mit seinem Bruder suchte, fanden sie den Rest nicht und auch das Fluchen Nate's lenkte den Älteren nicht ab. Und Maria beobachtete ihre Söhne mit Tränen in den Augen und murmelte irgendwas vor sich her. Ich ging zu ihr, da ich sowieso niemandem helfen könnte und meine Therapiefähigkeiten durchaus vorhanden war - dabei machte der Alkohol mich nur etwas entspannter und lockerer.

»Meine beiden Babys, bald weg. Nate wird nicht wiederkommen«, wiederholte die Frau, welche am Küchentisch in sich zusammen gesackt war. Sanft legte ich meine Hand auf ihre Schulter, setzte mich auf einen Stuhl neben sie und beobachtete, wie sie langsam ihren Blick hob und mich fokussierte. Auf meinen Lippen bildete sich ein kleines, aufmunterndes Lächeln und ich bemerkte, dass ihr Kinn und damit auch ihre Unterlippe zitterte. Sie würde ihre Kinder vermutlich auch noch in dieser Wohnung ein Zuhause geben, wenn diese vierzig und depressiv wären. Damit war sie so ziemlich das Gegenteil meiner Mutter, die zwar früher immer gesagt hatte, ich könnte immer hier wohnen, aber gleichzeitig auch der Meinung war, dass ich mit 16 alt genug war, um das Weite zu suchen und mein eigenes Leben mit eigener Wohnung aufzubauen.

»Alles wird gut. Blaine kommt zurück und du kannst Nate besuchen oder er kommt her.« »Ich verliere ihn. Ich verliere ihn.« Der neue Singsang von ihr machte mich nervös, da er Erinnerungen hervorrief, die ich besser vergessen hätte. »Nein, du verlierst ihn nicht. Nate kommt wieder, ihr könnt euch immer schreiben und telefonieren. Es wird alles gut. Du wirst sehen, wie gut es ihm gehen wird, und wenn es ihm nicht gefällt, dann kommt er zurück.« Meine Stimme war ruhig, auch wenn die Worte weh taten. Nate wäre weg. Ich könnte ihn nicht mehr sehen. Er würde glücklich werden. Vielleicht würde er Liam wieder treffen, merken, dass er ihn liebte und die beiden würden eine Familie gründen und glücklich werden? Er würde mich vergessen, oder nicht? Er würde ohne mich glücklich werden, richtig?

»Maman, je t'aime, tu le sais au moins?« Nate setzte sich auf den anderen Stuhl neben seine Mutter, schaute seine Mutter lächelnd an und sie zog ihn in ihre Arme. Ich zog mich zurück und beobachtete die beiden, wobei mir völlig bewusst war, dass ich niemals eine solche Beziehung zu einem meiner Elternteile haben würde. Vielleicht sollte ich einfach nochmal meinen Großeltern einen Besuch abstatten und hoffen, dass sie mich für kurze Zeit nochmal aufnehmen würden?

Als die Brüder ihre Sachen gegen 1 Uhr in Blaine's Wagen gehieft hatten, war es endgültig Zeit um Abschied zu nehmen. Maria hatte inzwischen aufgehört zu weinen, doch man sah ihr an, wie sie leidete. Meine Brust tat weh und meine Luft wurde knapp, als Blaine mich umarmte, nachdem er mir aufmunternd auf die Schulter geklopft hatte. »Wir sehen uns, Luce. Du kannst sehr gerne bleiben und Mama und Cynthia unterstützen. Mach's gut, bau keinen Scheiß und pass auf die anderen auf, ja?«, sagte er, als wir uns lösten. Ich nickte nur und zwang mich zu einem höflichen Lächeln, bevor ich sah, wie Nate seine Mutter umarmte. Mein Herz wurde schwerer und ich spürte, wie Blaine sich zu mir vorlehnte. »Du verlierst ihn nicht, Luce. Er wird wiederkommen, und die Wahrscheinlichkeit liegt bei 98%, dass er dies wegen dir tun wird.« Und damit hatte Blaine sich endgültig von mir verabschiedet.

Melli war nahezu eingeschlafen, als Nate sie sanft an sich zog, hochhob und einmal herum wirbelte. Die Kleine lachte und umarmte ihren Bruder. Als er sie absetzte, strich er über die dunkelblonden Haare und grinste sie aufmunternd an, während irgendwelche unverständlichen Worte seine Lippen verließen. Sie nickte, er erhob sich und ging direkt auf mich zu. Unsere Blicke trafen sich - wie am ersten Tag - und ich fuhr mir durch meine Haare - wie am ersten Tag -, bevor ich ein paar Schritte auf ihn zu ging - wie am ersten Tag. Der Unterschied zu damals war nur, dass es kein Anfang war. Es war das Ende. Ob unser Ende, oder das vorläufige Ende unserer Geschichte, das konnte ich nicht sagen, doch es war auch egal.

Vorsichtig zogen mich seine starken Arme in eine letzte Umarmung, welche ich mehr genoss, als jede vorherige. Wir hielten uns lange, und als wir uns schließlich lösten, glänzten sogar in seinen Augen Tränen, doch er lächelte. Zaghaft hob er mein Kinn und küsste mich sanft. Ein letzter Kuss. Ein allerletzter. Mein Gehirn wollte es nicht begreifen. Hatte es nicht gerade erst angefangen, gut zu laufen?

Also krallte ich mich ein letztes Mal in seinen Pulli und in seine Haare, ließ ein letztes Mal alle Gefühle in diesen Kuss und löste mich schließlich wieder von ihm. Von uns beiden ging ein trauriges Lächeln aus, er küsste meine Stirn sanft und verharrte kurz. Es war mir egal, dass uns vier Personen vermutlich anstarrten, für mich zählte dieser Abschied.

»Ich werde dich niemals vergessen, mein Kleiner. Unsere Wege trennen sich, wir werden beide weiter machen und schauen, wie das Leben ohne den jeweils anderen sein kann. Du bedeutest mir mehr, als jede andere Person, die ich jemals getroffen habe, also stell keinen Unsinn an.« Seine Worte prallten auf meine Stirn, brannten sich in mein Gehirn und er ging, langsam aber sicher. Ob er wiederkommen würde? Das war mehr als nur fraglich. Und ich schien zu zerbrechen, an seinen Worten, an seinem Aussehen, daran, dass er weg ging. Weg von mir, weg von allen. Niemand hielt ihn mehr auf, alle sahen die Brüder traurig an, welche sich nun ins Auto und auf das Motorrad setzten, sich zunickten und fuhren, ohne uns einen einzigen weiteren Blick zu gönnen. Wir war vorbei. Du bist mir wichtig, war vorbei. Sei vorsichtig, war vorbei. Ich bin da, war vorbei. Und nichts blieb mehr übrig, außer seine Worte.

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Ein späteres und trauriges Kapitel, auf welches ich sehr stolz bin. Leider beginnt jetzt der traurige Teil dieser Story, doch sie wird auch nicht mehr so lange gehen. Ich versuche, sie möglichst kurz zu halten - was mir absolut nicht gelingen wird - und hoffe sehr, dass euch dieses wie folgende Kapitel gefallen. Wie immer würde ich mir sehr über einen Kommentar oder Vote freuen, und wünsche euch noch einen schönen restlichen Tag👋

You'll Lose In Love | Boy×BoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt