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Blaine's Pov:

»Blaine? Dein Handy hat gerade geklingelt. Ist doch deins in dem Spind 009, oder?« Ich drehte mich zu Max - einer meiner Kollegen und Freunde - um und sah ihn seufzend an, bevor ich ihm mein Tablett in die Hand drückte. »Kannst du kurz für mich Tisch zwei, drei und sechs übernehmen, damit ich nachgucken kann, wer anruft?« Er grinste mich an, murmelte ein »klar, dumme Frage« und ließ mich an ihm vorbei in den Mitarbeiterbereich und die dazugehörigen Umkleiden gehen.

Bei meinem Spind angekommen, schloss ich diesen auf und zog mein Handy heraus. Tatsächlich hatte mich jemand angerufen. Die Nummer war nicht in meiner Kontaktliste abgespeichert, doch irgendwie kam sie mir bekannt vor. Wann und wo hatte ich sie gesehen? Wer würde mich jetzt anrufen? So gut wie jeder wusste, dass ich jetzt arbeiten musste. Obwohl ... war es ... nein. Nein, das konnte nicht sein. Er hatte sich ewig nicht mehr gemeldet, wieso also jetzt? Unbedingt jetzt? Hatte er Heimweh bekommen oder was? Doch ich brachte es nicht übers Herz, den Anruf zu ignorieren und die eventuelle Chance zu verpassen, mit meinem Bruder zu reden. Ebenfalls brachte ich es nicht übers Herz, ihn dafür zu verurteilen, dass er sich nie gemeldet hatte. Also rief ich zurück.

Angespannt presste ich mein Handy ans Ohr, wartete, bis es klingelte und wartete dann weiter. Eins, zwei, drei- und dann wurde abgenommen. »Hi, Blaine«, hörte ich vom anderen Ende der Leitung und erleichtert fuhr ich mir durch die Haare. Die Anspannung fiel ab und ich seufzte erfreut. Um ehrlich zu sein, hatte ich Angst gehabt, dass Nate sich etwas angetan hatte, und ich es nicht mitbekommen konnte, weil wir nicht mehr im selben Land unsere Leben führten.

»Nate! Wie geht es dir?« »Bist du nicht sauer?« Erst jetzt merkte ich, wie leise und gebrochen seine Stimme war. Ich zog die Stirn kraus, schluckte einmal und ließ mich an der Wand hinuntergleiten und auf den Boden fallen. Er glaubte, dass ich sauer auf ihn war. Ich. Und ... was hatte sich geändert, dass er sich so anhörte? Was war los mit ihm? Musste ich mir noch mehr Sorgen machen? Manchmal wünschte ich mir echt die Zeiten zurück, in denen er und Luce sich Blicke zugeworfen, unter Tischen an den Händen gehalten und immer zusammen gelacht hatten. Nate hatte gelacht, wegen Luce. Und er war glücklich, wegen ihm gewesen. Weiterhin konnte ich sein Handeln nicht wirklich nachvollziehen, während ich es auf der anderen Seite irgendwie doch nachvollziehen konnte. Ergab das überhaupt Sinn?

»Nein. Nein, mein kleiner. Ich bin nicht sauer auf dich, vielleicht etwas frustriert und enttäuscht. Was ist los? Was ist passiert, dass du anrufst und dich so anhörst? Muss ich mir Sorgen machen?« Er hasste es, wenn ich mir Sorgen um ihn machte, weshalb er meistens das Beste aus seiner Situation machte, damit ich genau dies nicht tat. Und gleichzeitig wusste er, dass er vor mir stehen könnte, mit einem Lächeln auf den Lippen, und ich mir Sorgen um ihn machen könnte.

»Ich ... ich ... wollte mich einfach nur mal ... melden. Weil ... ich vermisse euch. Euch ... alle.« Das langsame, stotternde Reden war nicht normal bei ihm. »Jeder von uns vermisst dich. Aber es ist schön, dass du dich meldest. Ich freue mich, dass ich deine Stimme höre. Und, was ist so ohne uns passiert? Hast du irgendwen getroffen oder wiedergesehen?« Er grummelte amüsiert, bevor man leises, unverständliches Murmeln hörte und er sich räusperte. »Also ... ist nicht viel passiert. Ich ... Liam hab ich wiedergetroffen, und Jax.« Bei der Erwähnung seines Namens lächelte ich, ohne, dass ich es wollte. Jax. Der hübscheste Junge aus meinem alten Freundeskreis. In Frankreich hatten wir eine Zeit lang etwas miteinander, doch als ich ihm gebeichtet habe, dass ich mehr für ihn empfand als anfänglich erwartet, hatte er sich von mir abgewandt und alles zwischen uns beendet. Er hatte einen guten Grund, ich war ihm nicht böse und inzwischen verstanden wir uns auch wieder ganz gut. Wir hatten lange nicht mehr geredet, doch manchmal schrieben wir noch. Er war Junkie, weshalb das Thema häufiger seine Gesundheit war.

»Gut, sehr gut. Und, wie läuft's mit den Beiden? Versteht ihr euch noch?« »Bin mit Liam in dieses Freundschaft+ -Ding zurück gefallen. Mit Jax, ich weiß nicht. Er ist gerade hier und ich würde jetzt nicht sagen, dass wir uns nicht verstehen.« »Ey, werd nicht frech. Nur weil ich ein Suchti bin, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht gerade die letzten zwei Stunden hier für dich da war und dir gefühlt meine Seele verkauft habe!«, murmelte er in seinem wunderschönen Französisch. Fuck, seine Stimme scheinbar nun noch heißer, als sonst schon.

»Danke, Jax. Und sorry, dass ich nicht da sein kann, um dir wenigstens Geld zurück zu geben.« Dadurch, dass unser gesamtes Gespräch bisher auf französisch abgelaufen war, hatte er vermutlich jedes Wort verstanden. Obwohl ... Jax durfte man nicht unterschätzen. Er konnte mehr Sprachen, als man denken mochte, da er in der Grundschule eine Zeit lang jede mögliche Sprache gelernt hatte. Wir waren in einer Klasse gewesen, bis wir weggezogen waren. Damit war auch Jax älter als Nate, verhielt sich jedoch häufig jünger. Für mich war dies kein Problem, da er einfach sympathisch war und man gut mit ihm auskommen konnte. 

»Ach, kein Problem. Ich mach das gerne und außerdem muss ich mich sowieso irgendwie ablenken. Also nicht der Rede wert.« Ich lächelte, fragte mich, wie sehr er sich wohl verändert hatte und schlug mir diesen Gedanken direkt aus dem Kopf. Vermutlich würde ich ihn sowieso niemals wiedersehen, also war es relativ unrelevant.

»Danke« »Übrigens rufe ich auch wegen ihm an. Er hat mich gezwungen, mit dir endlich wieder zu reden.« »Ja, weil du mir die Ohren damit vollgeheult hast, dass du sie alle so sehr vermisst und vorallem diesen ... wie hieß er noch gleich? Lic? Lars? Lasse? Lu ... Luce, richtig. Dieser Luce hat es deinem Bruder echt extrem angetan, weißt du das, Blaine?« Ich lachte laut, tief, befreit. Oh ja, das hatte er. »Tatsächlich ist's mir aufgefallen, seitdem er bei uns wohnt.« »Oh Gott, ich halt mich aus eurer Wohnsituation raus. War gut mit dir gesprochen zu haben, Blaine, ich geh auf Klo und hoffe, dass ich dann wieder meine Ruhe habe.« »Ey, du wohnst hier mit mir. Da kriegst du keine Ruhe, Jax.« »Jaja, fick dich Nate und geh deinem Bruder nicht zu sehr auf die Nerven.« Jax verschwand, ich grinste, auch wenn es niemand sah.

»Wie geht es dir? Und den anderen?« Er konnte scheinbar doch noch eine ander Sprache als Französisch, was mich irgendwie beruhigte. Keine Ahnung, wieso genau, aber dieses Gespräch mit ihm und Jax hatte eine entspannende und gute Wirkung auf mich. Ich vermisste meinen Bruder und irgendwie auch Jax, mit seiner verdrehten Art.

»Mir geht's super. Und den anderen - aka Luce - geht's okay. Melli ist wie immer hyperaktiv, auch wenn sie dich vermisst. Cynthia ist halt Cynthia und Luce ... Luce hat sich verändert.« Es blieb kurz still bei Nate, dann hörte ich ihn schlucken und wie er sich räusperte. »Ich kann nicht mehr, Blaine. Alles ist so ... schwer. Ohne euch. Ohne Luce. Luce. Immer Luce. Er geht nicht aus meinem Kopf.« Ich lächelte, wenn auch traurig. »Du kannst immer zurück kommen, Nate. Oder ich komme zu dir. Kann von mir aus auch Luce, Melli, Maman und Cynthia mitbringen. Lässt sich alles einrichten.« »Dein Humor ist komisch.« Ich hörte das Grinsen aus seiner Stimme heraus, und mir fiel deutlicher auf, dass Luce eine Variante von Nate geworden war. Immer kühl. Nie sonderlich emotional. Fast schon gefühlskalt. Nur das Luce es da deutlich schneller raus schaffte, als Nate es geschafft hatte.

»Darf ich zurück kommen? Wird Luce mich nicht hassen?« Ich seufzte, fuhr mir übers Gesicht und dachte nach. Luce redete selten über Nate, aber wenn er es tat, dann vermisste er ihn. Es wäre unwahrscheinlich, aber möglich. »Möglich ist es. Wenn du nicht gegangen wärst, wäre bei ihm mehr als alles gut.« »Was ist mit ihm passiert, Blaine?«



You'll Lose In Love | Boy×BoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt