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Tw! Erwähnung von suizidalem Verhalten!

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Medicine
- DAUGHTER

Luce's Pov:

Die Tage waren alle gleich strukturiert und zogen einfach so an mir vorbei. Es passierte nicht wirklich viel und ich hätte mir einen Tagesplan anlegen können, von dem nichts abwich. Jeden Tag spürte ich nichts als Schmerz und Leere. »Sie werden vermutlich nie wieder ohne Unterstützung laufen können.« Es waren Worte, die einem das ganze Leben zerstören konnten. Ich hatte aufgegeben, schon vor langer Zeit. Früher wäre ich irgendwo hin gefahren oder zu Nate gegangen. Ich hätte alles getan, um mir meine Stimmung nicht anmerken zu lassen, doch heute war es anders. Es war mir egal, dass die anderen sahen, wie scheiße es mir ging. Ebenfalls war es mir egal, dass mein Selbstmitleid im Moment alles andere runterdrückte.

Es war ein Dienstag. Ein ganz normaler Dienstag. Dies bedeutete so viel wie aufwachen, Schmerztabletten nehmen, Kaffee trinken, alleine sein, lernen, von Blaine abgeholt werden, Physiotherapie, bei den anderen sein, zu Abend essen, lernen, Schmerztabletten nehmen, schlafen gehen. Ein einfacher Ablauf, den ich immer einhielt. Eigentlich wollte ich mich nicht so wegschmeißen. Normalerweise würde ich besonders darauf achten, dass ich alles versuchte, um alleine Motivation zu haben, weiter zu machen, doch nichts war mehr normal. Ich vermisste Nate, vermisste mein altes Leben und dachte jeden Tag über die Worte meines Vaters nach. »Du bist nichts wert und das weißt du. Du wirst immer alleine bleiben, niemand wird dich lieben oder aufnehmen. Niemals könnte dich jemand lieben, du wirst immer verlieren in deinem Leben, wenn du uns so behandelst.« Heute schienen die Worte wahrer und echter zu sein, als sonst. Es tat weh, doch er hatte in einem Punkt recht; man konnte mich nicht lieben. Dies war praktisch unmöglich. Und daran etwas zu ändern, wäre für mich praktisch unmöglich - zumindest im Moment.

»Du darfst niemals aufgeben. Wenn du aufgibst, dann ist es vorbei. Schmeiß dich nicht weg, mach weiter.« Obwohl mein Physiotherapeut immer versuchte, mich zumindest ein bisschen aufzumuntern, mir mehr Mühe zu geben, brachte es mir nichts. Ich kannte meine Diagnose, er kannte meine Diagnose. Es war fast unmöglich für mich, jemals mein Knie wieder belasten zu können. Mein Vater hatte ganze Arbeit geleistet.

»Menschen haben schwierige, nahezu unmögliche Dinge geleistet, also warum solltest du nicht auch einer von ihnen werden? Nichts hält dich auf, nur dein Kopf, also schalte ihn ab«, war sein Motto, welches er mir jede beschissene Stunde, die ich bei ihm war, sagte. Doch es brachte mir nichts. Immer hatte ich mich wieder aufgerafft und einfach weiter gemacht, aber inzwischen wollte ich mich nur noch fallen lassen. Ich war nur noch eine Silhouette, ein Körper ohne Seele, ein lebender Toter. Mehr war nicht mehr von mir übrig.

Die Kälte kroch unter meine Jacke, als ich hinaus aus dem Gebäude humpelte, in dem ich jedes Mal bemerkte, wie schwach ich war. Fuck, dieses beschissene Selbstmitleid machte mich kaputt, und doch konnte ich es nicht abschalten. Wieso war es nur so weit gekommen? Wie konnte es sein, dass mein Leben wieder bergab ging, nachdem es besser geworden war? Hätte nicht einfach alles so gut bleiben können, wie es mit Nate war?

»Na, wie geht's?«, fragte Blaine ruhig, als ich mich auf den Beifahrersitz fallen ließ und die Autotür schloss. Es war angenehm warm in seinem Wagen, und nachdem ich mich angeschnallt hatte, fuhr er los. Meine Antwort auf seine Frage blieb aus. Ich wusste nicht, wie es mir ging. Wie immer fühlte ich mich leer. Würde ich jemals wieder etwas fühlen? Jemals wieder mehr, als diesen stechenden Schmerz und die öde Leere? Und wenn ja, was würde ich fühlen? Freude, Liebe, Trauer, Erleichterung, Aufregung, Glück?

»Wie wars auf der Arbeit?«, fragte ich ihn, um mich abzulenken. Er sah mich kurz kopfschüttelnd an, dann sah Blaine wieder auf die Straße. Manchmal ähnelte er Nate in seinem Verhalten. Beide konnte ich zum Lachen bringen, auch wenn sie noch so griesgrämig drauf waren. Und ihr Lachen ähnelte sich, genauso wie ihre Haarfarbe und ihr Aussehen. Obwohl alle Aundries mit Selbstwertproblemen zu kämpfen hatten - Melli ausgeschlossen, da sie hoffentlich noch zu jung dafür war -, hatte ich sie alle lieb - auf unterschiedliche Weisen. Nate liebte ich von ganzem Herzen. Blaine war wie ein Bruder für mich, womit er mir inzwischen sehr ans Herz gewachsen war, und Melli und Cynthia schienen eine Mischung aus Freunden und Geschwistern für mich darzustellen. Ich war Einzelkind, hatte allerdings in dieser Familie eine Ersatzfamilie wie eine Art Geschwister gefunden. Es war verrückt, dass Blaine mich nicht raus schmiss, wenn ich kaum anwesend war.

»Wieso schmeißt du mich nicht einfach raus? Dann hättest du wenigstens ein Problem weniger.« Es blieb kurz still, nachdem ich meine Frage gestellt hatte, dann sah ich ihn an. Sein Blick lag auf der Straße, bis er an den Straßenrand fuhr und den Motor abstellte. Er lehnte sich in seinen Sitz zurück und schließlich kreuzte sein Blick meinen. Nate hatte sich immer in den Sitz zurück gelehnt, solange er nachdenken musste oder die Welt ihn übermannte.

»Hat Nate von unserem Vater erzählt?« Ich nickte leicht, wandte den Blick wieder ab und sah auf die Straße. Obwohl ich Blaine immer zuhörte, sah es vermutlich nie so aus. Ich beobachtete Dinge, die nicht beobachtet werden mussten, doch solange ich mich auf sie konzentrierte, konnte ich Gefühle und Emotionen ausblenden. Also hatte es einen Sinn, dass ich irgendwo durch die Gegend starrte und hoffte, dass ich irgendwann vergessen würde, was passiert war oder wenigstens darüber lachen konnte, wie weit ich heruntergezogen wurde. Ich lag auf dem Boden, nachdem ich viel zu lange in den Abgrund geschaut hatte. Wie als hätte ich mir alle Knochen gebrochen, lag ich dort unten und sah in den Himmel, in der Hoffnung, dass ich jemals wieder hineinschauen könnte, bevor ich mich umdrehen und gehen würde.

»Wir waren alle komplett unten, durch diesen Mann. Er hat unser Leben zerstört. Und hätten wir uns nicht gegenseitig gehabt, wären mindestens Nate und ich tot. Wir haben beide versucht, uns umzubringen, bis uns klar geworden ist, dass niemand unserer Geschwister damit klar kommen würde, würden wir sterben. Und wir haben es hinbekommen, uns zurück ins Leben zu kämpfen, mit der Unterstützung anderer. Ich möchte dir das gleiche geben. Ein Leben, egal wie hart es wird. Das Leben kann super schön sein, Luce. Und es wird wieder schön, wenn du dich jetzt nicht aufgibst, ja? Deswegen möchte ich, dass du wenigstens versuchst, alles zu verarbeiten. Das du versuchst, Geschehenes zu verarbeiten und das du versuchst - auch wenn es noch so unmöglich scheint - wieder zu laufen, ohne Krücke oder menschliche Hilfe.« Ich schien durch seine Worte aufzuwachen, wie als würde ich aus einem Koma hochschrecken. Ich könnte leben. Wenn ich weitermachen würde, könnte ich leben.

»Du bist der Einzige, der daran glaubt, dass es wieder gut wird«, gab ich zu bedenken und Blaine begann zu lachen, weshalb ich ihn ganz leicht verwirrt ansah. Er lächelte mich warm an, als er sich wieder einbekommen hatte und ich wusste, dass ich früher in diesem Moment gelächelt hätte. Blaine lachte. Es war eine Art Erfolg.

»Nein, definitiv nicht. Wir unterstützen dich alle, sogar meine Mutter. Und wenn du zurück willst, dann helfen wir dir. Das mit den Treppen wird zwar witzig werden, aber du kannst alles schaffen, wenn du selbst daran glaubst und dich nicht mehr wegwirfst.« Und dies war das erste Mal, dass ich wieder ein Schmunzeln über die Lippen brachte. Blaine glaubte an mich. Und damit machte er mir Mut, weiterzumachen und nicht aufzugeben.

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Here we go. Another Chapter, everything could be good but I guess it won't be.
Einen schönen Tag euch🫶👋

You'll Lose In Love | Boy×BoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt