Abendessen

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Keyla

Hattet ihr jemals das Gefühl, eure Träume fühlten sich Real an?
So echt, so lebendig?
So erging es mir das erste Mal vor wenigen Wochen, als ein Mann mich in meinen Träumen heimsuchte und ich morgens glaubte, es war die Wirklichkeit.
Schnell hatte ich das erlebte in meinem Gehirn verbannt und nicht weiter darüber nachgedacht, bis zu dem Moment, als ich von meinem Mittagsschlaf aufschreckte und dasselbe empfand. Die Berührungen, die Worte, alles, war mir so echt erschienen. Selbst als ich im Traum Schwierigkeiten mit der Luft bekam, durch ein enges Gefühl in der Brust, durch eine Wahrheit, die nicht in Worte zu fassen war, hatte ich in der Realität ein ähnliches beklemmendes Gefühl. Was war nur los mit mir? Und wer war der ältere Herr, Anfang 50, wenige Haare an den Seiten und eine krumme Nase. Warum hatte mich sein Tod in den Träumen mir den Atem geschnürt? Seine Schwester stand mitten auf einer Wiese, obwohl daneben der Weg zur Haustür führte und sah mich bemitleidend an, als würde sie wissen, was in mir vorginge. Ich wusste, woher auch immer, dass dieser Mann vor Jahren von dieser Welt gegangen war, sein Leben im Himmelreich weiterführte und doch stieg er im nächsten Augenblick aus. In diesem Moment wurde ich mit meiner schnapp Atmung wach und hunderte Fragen blieben zurück. Ich wurde verrückt.

„Mama sagt, du sollst aufstehen" hörte ich plötzlich die nervige Stimme meiner kleinen Schwester und wandte mich mit Schweißperlen auf der Stirn ihr zu. Noch immer war mein Körper steif, was sie zu bemerken schien.

„Und duschen solltest du vorher auch lieber", somit war sie verschwunden. Ich schüttelte meine Gedanken von mir und erhob mich aus dem Bett. In der Dusche sah ich, wie das Wasser mit meinem Traum dem Abfluss erreichte und somit für den Moment verschwand, bis er mich wieder heimsuchen würde. Schließlich verließ ich in einem schlichten blauen Sommerkleid mein Zimmer und suchte unsere Küche auf, wo ich meiner Mutter stützend zur Hand ging. Ich deckte fein säuberlich den Tisch, faltete die Servietten und stellte die guten Gläser aus der Vitrine dazu. Meine Schwester brachte in der Zwischenzeit den Wein, welcher unsere Mütter zum Schwatzen brachte und ich stellte für uns eine Flasche Cola bereit. Mit dem frisch gekochten essen in Porzellanschalen war der Tisch perfekt abgerundet und schon klingelte es an der Tür, mit dabei, dass Kind aus der Hölle.

„Hallo, meine Große", begrüßte mich Valentina und nahm mich herzlich in ihre Arme. Kurz schwankte sie mich hin und her und nahm mir die Luft zum Atmen durch den festen Griff. Nachdem sie mich losgelassen hatte, begrüßte sie ebenfalls meine Mutter, mein Vater und meine Schwester so liebevoll. Ihre Liebe zu uns war wie ein Segen und ich wusste, ich könnte mit meinen Problemen, abgesehen von Roi, zu ihr kommen.

„Na, meine Große", äffte Remi seiner Mutter nach und zog mich ebenso in eine innige Umarmung. Wir waren gleich, denn wir beiden genossen die Liebe unserer Mütter, dennoch entwich mir ein Kichern. Roi ließen wir links liegen, der immer noch im Eingangsbereich stand und gerade die Haustür schloss. Ich nahm meinem besten Freund die Jacke ab, hing sie ordentlich auf und manövrierte ihn ins Esszimmer, obwohl er sich hier blind auskannte. Immerhin war es sein zweites zu Hause. Schließlich fand jeder seinen Platz. Meine Mutter und Valentina nebeneinander, gegenüber von mir und Remi. Mein Vater am Kopfende des Tisches neben meiner Mutter und ihm gegenüber Roi, zwischen mir und ihm, meine Schwester Fleur. So konnten wir uns giftige Blicke zu werfen, die doch mehr als tausende Worte sagten.

„Du wirkst etwas neben der Spur, Große" Ich bemerkte seine Hand auf meinem Oberschenkel. Remi liebte schon seit er klein war Kosenamen, sodass jeder von uns einen hatte. Damals war ich Kleine, meine Schwester Zicke, Roi war, wie bereits erwähnt Riii, und die von unseren Eltern hatte ich vergessen. Das war aber nur halb so wild, denn er erfand beinahe jede Woche neue, weshalb es mich nicht überraschte, dass er heute den von seiner Mutter für mich übernahm. Vielleicht war es auch besser, als der, den er in letzter Zeit für mich verwendete.

„Mein Mittagsschlaf war nicht so erholsam wie erhofft", gestand ich ehrlich und war überrascht, als er mir anbot, heute Nacht bei mir zu bleiben, damit er die bösen Geister der Träume verjagen konnte. Ich nahm sein Angebot an, denn schon früher teilten wir uns ein Bett, sahen bis in die Nacht Horrorfilme und aßen dabei den halben Kühlschrank leer. Nebenbei, während Remi und ich uns unterhielten und die meisten zu essen begannen, bemerkte ich, wie mein Vater und Roi über seine Weltreise zu sprechen begannen. Niemand hatte ihn für seine neue Erscheinung, gar sein Wesen verurteilt. Sie unterhielten sich gerne über seine neu gewonnen Erfahrungen.

„Ich werde nie vergessen, wie ich auf dem Brocken oben stand, die frische Luft genoss und die Welt mir so Ewig erschien", einmal dieses Gefühl erleben. Ich sah ihn an, lauschte seinen Worten und dann plötzlich, vollkommen unverhofft, traf mich sein Blick. Ich wusste nicht, welche Art von Augenkontakt wir gerade hielten, dafür fehlten mir meine Worte, aber er war innig. Es war, wie ein unsichtbares Band zwischen uns, der so viel Hass, für den gegenüber borgte, doch fühlte es sich weniger danach an. Sie zog uns beide magisch an, sodass dieses knistern kaum zu übertönen war und die anderen um uns herum verschwanden. Das nicht vorhandene Meer rauschte in meinen Ohren, das Salz auf meinen trockenen Lippen und mein Herz am Poltern, als wäre ich Kilometer gejoggt. Es genügte ein Blick und es waren mehr als tausend Worte ausgesprochen zwischen uns. Das war der pure Hass für mich. Langsam dämmerte es mir, was da gerade passierte, weshalb ich blind, da meine Augen seine weiterhin gefangen hielten, eine Kartoffel aufpickte und zu meinem Mund führte. Ich grinste frech, erhob meine Hand und zeigte ihm den Mittelfinger. Gewonnen.

„Keyla", hörte ich meine Mutter mich ermahnen, weshalb nun alle Blicke auf mir ruhten. Für Roi hatte ich diese Runde verloren, denn ich wurde erwischt.

„Entschuldigung", murmelte ich verlegen und doch half es, denn jeder beschäftigte sich wieder mit sich selbst. Als Ablenkung sah ich zu Remi, der gerade dabei war eine Erbse mit seinen Fingern vom Teller zu klauben und im nächsten Augenblick seinen Bruder damit abwarf. Roi sah erschrocken hoch, dann beinahe zeitgleich zückten sein Bruder und ich den Mittelfinger, doch dieses Mal, ohne erwischt zu werden.

Gewonnen.

𝗲𝗶𝗻𝗲𝗻 𝗟𝘂𝗳𝘁𝘀𝗽𝗿𝘂𝗻𝗴 𝗲𝗻𝘁𝗳𝗲𝗿𝗻𝘁Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt