Angst

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Roi

Ich finde mich auf dem Sofa wieder, eine Tüte gefrorener Erbsen an meiner Wange. Ich atme tief ein und versuche, Ruhe zu finden, während ich darüber nachdenke, wie ich meinen eigenen Bruder schlagen konnte. Die Handlung erscheint mir völlig surreal und ich frage mich, wie es dazu kommen konnte.
Während sich der Schmerz in meiner Wange allmählich legte, kämpfte ich mit einem Gefühl von Schock und Schuld.

Ein schwerer Seufzer entweicht mir, während ich verzweifelt nach einer Erklärung suche. Die Szene spielt sich immer wieder in meinem Kopf ab, aber die Erinnerung bleibt verschwommen, wie dichter Nebel. Einzig Keyla taucht wie ein Sturm in meinen Gedanken auf. Ich erinnere mich an ihre enttäuschten Augen und das Gefühl der Ohnmacht, als mich ihr Schlag traf. Ich versuchte weiterhin verzweifelt, tiefer in meine Gedanken einzutauchen, um zu verstehen. Langsam formen sich Bruchstücke meiner Erinnerung. Am stärksten war da die Spannung zwischen Keyla und mir, die im Laufe der Zeit immer stärker geworden war und nicht mehr nachließ.

"Hey, brauchst du neues Eis?", fragte mich das Mädchen, das sich kurz nach meiner Ankunft um meinen Hals geworfen hatte. Wie schon zuvor nahm ich die willkommene Ablenkung an und folgte ihr nach oben. Wir hatten einseitig befriedigenden Sex, der mich von der Misere meines Lebens abgelenkt hatte.
Kurz danach verließ ich die Party und kehrte zu meinem eigenen Zuhause zurück. Askan begrüßte mich mit Freude, gähnte müde und begleitete mich dann ins Bett.

Die Frauen­schuhe am Eingang deuteten darauf hin, dass Keyla bei uns, genauer gesagt bei Remi, war. Wieder einmal durchzuckte mich dieser schmerzhafte Stich im Herzen, der mir zu verstehen gab, dass ich von Eifersucht ergriffen war. Mit einem gedämpften Bewusstsein passierte ich das Zimmer meines Bruders und bemerkte das schwache Licht. Für einen Moment verharrte ich, bevor ich tief einatmete und mich dann in meine eigenen vier Wände zurückzog. Ich warf mich auf mein Bett, samt meiner versifften Kleidung kuschelte mich an meinen Wegbegleiter, während ich meine Gedanken abschaltete, was durch den Alkohol erleichtert wurde.

Nach einer Weile spürte ich ein weniger sanftes Stupsen an meiner Hand, gefolgt von feuchtem Schnüffeln in meinem Gesicht, das mich weckte. Als ich meine Augen öffnete und mich orientieren wollte, hörte ich plötzlich schmerzerfüllte Schreie. Es war Keyla.

Ich sprang sofort aus dem Bett, eilte zum Zimmer meines Bruders und riss die Tür auf, ohne Rücksicht auf seine Reaktion. Im Türrahmen blieb ich stehen, um die Situation zu erfassen. Remi kniete vor der panischen Keyla, die wild um sich schlug und immer wieder darauf bestand, nicht berührt zu werden.
Er versuchte weiterhin verzweifelt Keyla zu beruhigen, doch sie schien in einem Zustand großer Angst zu sein.  Mit nervöser Stimme sprach Remi beruhigende Worte, während er versuchte sich ihr zu nähern, aber es geschah dasselbe wie vorher. Keyla reagierte panisch und wies ihn energisch zurück.
„Fass mich nicht an"

Ich trat näher, um zu helfen und fragte besorgt:
„Was ist passiert?", alle möglichen Szenarien gingen mir durch den Kopf.

„Keyla ist von ihrem Albtraum aufgewacht, scheint aber noch darin gefangen zu sein" Ich hörte in seiner Stimme, wie sehr er sich sorgte, doch nahm ich nicht weiter Rücksicht darauf, sondern ging auf Keyla zu.

„Geh weg", befahl ich meinen Bruder, der auf meine Worte hörte. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob es das Richtige war, packte ich Keyla und hob sie hoch. Sie wirkte erschrocken, aber anders als bei Remi reagierte sie nicht panisch, was mein Herz erleichtert aufschlagen ließ. Mit ihr auf dem Arm betrat ich das Badezimmer im Flur, drehte die Dusche auf die niedrigste Stufe und stellte mich mit ihr darunter. Schockiert über die Kälte atmete ich tief ein, doch das eisige Gefühl an meinem Körper ignorierte ich, denn hier ging es nicht um mich. Sie zitterte zwar, aber schien sich zu beruhigen und ihren Albtraum hinter sich zu lassen.

„Bitte halt dich von mir fern, Roi", ihre Atmung ging stoßweise.

„Du weißt nicht, was du da sagst", zumindest hoffte ich das, denn der Schmerz, der diese Worte auslöste, war unerträglich.

„Roi, ich kann einfach nicht mehr. Du hinderst mich daran, glücklich zu sein, deshalb bitte ich dich, halt dich in Zukunft von mir fern" Keyla hatte ihre Augen geschlossen und lehnte ihren Kopf an meine Brust, vermutlich vor Erschöpfung, oder aber, um sich von mir zu verabschieden. Ich konnte es nicht sicher wissen, aber ich wollte es auch nicht wahrhaben. Ein Gefühl der Leere durchströmte mich, eine Last, die ich kaum beschreiben konnte.

Nachdem sich Keyla etwas erholt hatte, setzte ich sie vorsichtig ab, drehte das Wasser auf warm und ließ sie zurück. Es war unglaublich schwer, denn ich sehnte mich danach, sie in meinen Armen zu halten, sie zu küssen und noch so vieles mehr, doch sie hatte mich von sich gestoßen. Ich konnte niemanden außer mich selbst dafür verantwortlich machen.

In triefend nasser Kleidung torkelte ich durch den Flur, immer noch unter Schock, als Remi mir entgegenkam. Als sich unsere Blicke trafen, empfand ich plötzlich keine Scham mehr darüber, dass ich ihn geschlagen hatte. Stattdessen überkam mich erneut das Bedürfnis. Trauer verwandelte sich in Zorn.

„Du bist nicht gut genug", meinte ich mit fester und ernster Stimme.

„Aber du?", wollte er schockiert von mir wissen und verschränkte seine Arme vor der Brust. Innerlich wusste ich, dass ich nicht gut genug für sie war, aber ich wünschte es mir, doch meine Antwort fiel anders aus.

„Niemand wird je gut genug sein für ihre besondere Seele, Remi", er trat einen Schritt an mich heran und musterte mich eindringlich.

„Du hast Gefühle für sie", mutmaßte er. Doch er lag vollkommen falsch, daher dementierte ich seine Aussage.

"Gut, denn ich bin es und ich möchte, dass du dich aus ihrem Leben fernhältst. Du und dein unentschlossenes Leben braucht hier niemand", seine Worte waren mir egal und hatten somit nicht den gewünschten Effekt.

„Das hier ist kein Spiel, Remi. Es geht hier um Keyla, um ein Mädchen mit Gefühlen, also was denkst du dir?"

„Du hast doch nur Angst zu verlieren", forderte er mich heraus, jedoch lehnte ich ab. Ich spiele nicht, niemals um Gefühle. Entweder würde ihr Herz meins werden, ohne dabei eine Herausforderung zu sein oder eben nicht.

A/n: ich würde mich über kleine Anmerkungen, ob ihr noch zufrieden mit der Story seit, freuen❤️

𝗲𝗶𝗻𝗲𝗻 𝗟𝘂𝗳𝘁𝘀𝗽𝗿𝘂𝗻𝗴 𝗲𝗻𝘁𝗳𝗲𝗿𝗻𝘁Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt