Realität

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Roi

Wir landeten am Pariser Flughafen, nahmen unser Gepäck entgegen und verließen das Gebäude. Als ich meinen Bruder entdeckte, ergriff ich sofort Keylas Hand und drückte sie fest. Ich wollte ihm klarmachen, dass sie zu mir gehörte. Enttäuscht blickte ich ihm entgegen. Statt meiner Mutter, der ich Keyla als meine Freundin vorstellen wollte, war Remi nun da.

In unangenehmer Stille verstauten wir unser Gepäck im Auto und fuhren los. Während der Fahrt erzählte Remi von den neuesten Ereignissen in der Familie, wobei ich deutlich spüren konnte, wie es in seinem Inneren wütete. Er sprach schnell und betonte beiläufige Details, als würde er versuchen, seine wahren Gefühle zu verbergen. Keyla bemerkte meine Anspannung und versuchte deshalb das Gespräch aufzulockern. „Es klingt, als wäre viel los gewesen, seit wir weg sind"

„Könnte ich genauso sagen" Remi lächelte gezwungen. „Glückwunsch an euch beide"

„Lass uns darüber reden, bevor endgültig alles zersplittert, Remi", hörte ich Keyla sagen, während meine Gedanken sich vernebelten. Die Vorstellung daran, was ich alles durchgemacht hatte, um endlich hier zu sein, machte mich wütend. Ich wollte Keyla nicht verlieren, nicht wegen der Realität hier zu Hause.

Remi hielt kurz inne, überrascht von Keylas Direktheit. Er sah zu mir und dann wieder zu ihr. „Es gibt nichts mehr zu reden. Ihr beide habt mich hintergangen", murmelte er schließlich und sah weg.

„Hintergangen?", wiederholte meine Kröte seine Worte fassungslos. Ich bekam das Gespräch nur nebenbei mit, denn mein Herz pochte wild in meiner Brust, als stetiger Begleiter der Angst, dass sie mich verlassen könnte. Niemals hätte ich gedacht, solche Gefühle zu empfinden und doch waren sie so real. Es war, als würde mir meine Brust aufgerissen und mein Herz lebendig entfernt werden, obwohl sie durchgehend meine Hand hielt.

„Was hast du erwartet, Keyla? Dass es mich nicht verletzen würde? Dass du erst bei mir im Bett liegst und dein erstes Mal genießt und dann bei meinem Bruder nach weiteren Erfahrungen suchst?" Remis Stimme war voller Bitterkeit und jeder seiner Worte traf mich wie ein Schlag. Unbändige Wut überkam mich, ließ meine Ohren rauschen und die Welt um mich herum verschwimmen. Alles, was ich sehen konnte, waren Keyla ihre Tränen und das Bedauern in ihren Augen. Mein Schmerz hing in der Luft und war unerträglich.

„Das ist nicht fair, Remi", versuchte Keyla die Situation zu schlichten, während ich mich bemühte, zwischen Traum und Realität Fuß zu fassen.

„Weißt du, was nicht fair ist?", fauchte Remi zurück. „Dass du mich und meinen Bruder ausnutzt, Keyla."

Seine Worte stachen wie Dolche in die angespannte Stille. Keyla's Gesicht verlor alle Farbe, ihre Augen weiteten sich vor Schock und Schmerz.

„Das stimmt nicht", flüsterte sie.

„Remi, das reicht! So hast du mit meiner Freundin nicht zu reden, nur weil sie deinen Stolz verletzt hat!", brüllte ich, bevor ich mich beherrschen konnte.

„Auf einmal der große Beschützer", gab er verachtend zurück. Seine Worte ließen meinen Zorn hochkochen. Ich packte ihn am Kragen, als er an der roten Ampel hielt und zog ihn nach hinten.

„Komm Keyla oder mir zu nahe und du lernst den großen Beschützer anders kennen. Haben wir uns verstanden?", drohte ich ihm, während Keyla scharf die Luft einzog. Remi nickte zögerlich, woraufhin ich seine Jacke losließ und mich wieder zu Keyla wandte. Ich nahm ihre Hand fest in meine und zog sie mit mir aus dem Auto.

„Roi, was tun wir?", fragte sie leise, ihre Stimme zitterte.

„Wir laufen", sagte ich entschlossen und noch eingenommen von der Wut. „Es sind nur noch knapp zwei Kilometer bis nach Hause. Entweder das oder wir rufen uns ein Taxi."

Keyla nickte und wir setzten uns in Bewegung, die kalte Luft füllte unsere Lungen, während wir schweigend nebeneinander hergingen. Der Weg schien endlos, doch in diesem Moment war es mir egal. Ich wollte einfach nur Abstand zwischen uns und Remi bringen, um die Ruhe und den Frieden wiederzufinden, die wir in London gehabt hatten. Außerdem fühlte ich mich ohne meinen Bruder in der Nähe sicherer, da er keine Bedrohung für meine Beziehung darstellte.

„Roi, ich...", begann Keyla, doch ich unterbrach sie sanft.

„Es ist okay, Kröte", sagte ich und drückte ihre Hand.

„Es ist nicht okay. Ich hätte es dir sagen sollen", sie lächelte schwach, in der Hoffnung ich würde nicht endgültig explodieren. Jedoch blieb ich stehen und zog sie dicht an mich heran, sodass ich in ihre wunderschönen Augen blicken konnte.

„Warum hast du Angst, es würde mich stören, dass du mit meinem Bruder geschlafen hast? Es geht mich nichts an, Keyla. Es gab ein Leben vor uns beiden, wichtig ist nur, was jetzt ist", sagte ich sanft.

„Es ist nicht so einfach, Roi. Ich fühle mich schuldig und..." Keyla sah mich mit Tränen in den Augen an. Ich legte einen Finger auf ihre Lippen und schüttelte den Kopf.

„Nein, Kröte. Wir alle haben eine Vergangenheit. Was zählt, ist, dass wir uns jetzt haben. Ich liebe dich und nichts wird das jemals ändern" Ihre Tränen flossen nun frei, weshalb ich sie fest umarmte.

„Ich liebe dich auch", flüsterte sie. Diese Worte waren das größte Geschenk für meine kaputte Seele.

Wir standen noch eine Weile so da, mitten in Paris. Der leuchtende Eiffelturm funkelte in der Ferne, über uns der klare Nachthimmel mit den ersten Sternen, die auftauchten. Die Stadt der Liebe umgab uns mit ihrer Magie, und für einen Moment schien die Welt stillzustehen. Ich zog Keyla noch enger an mich, spürte ihre Wärme und das vertraute Gefühl, das nur sie mir geben konnte.

„Hier und jetzt, unter diesem Himmel, verspreche ich dir, dass ich immer bei dir sein werde", flüsterte ich.

Sie hob den Kopf, ihre Augen glitzerten im schwachen Licht der Sterne.

„Und hiermit erkläre ich Sie zu Mann und Frau", ihr Lachen erfüllte die Straßen, als sie sich von mir löste und meinen schockierten Blick musterte.

„Was denn? Deine Worte klangen wie ein Eheversprechen. Ich musste es einfach sagen, Rii." Ich konnte nicht anders, als zu lachen. Ihr Humor, ihre Art, selbst die ernstesten Momente mit einem Lächeln zu füllen, war eine der vielen Dinge, die ich an ihr liebte.

„Na gut, Kröte. Dann möchte ich als dein Ehemann jeden Morgen ein Frühstück an mein Bett" Ich hatte meine Arme scherzhaft vor der Brust verschränkt, als sie den Kopf zu schütteln begann.

"Meine anderen Ehemänner wollten das auch, aber es lief so schlecht, dass sie gestorben sind. Also überleg es dir gut", sagte sie und löste die Spannung des Abends auf, indem eine entspannte Atmosphäre entstand. Ich hatte Lust, Keyla zu packen und sie über meine Schulter zu werfen, einfach weil sie behauptete, andere Ehemänner zu haben, aber sie eilte davon.

"Warte nur, bis ich dich erwische! Dann gibt's Ärger, Kröte!", wie damals, als wir Kinder waren, rannte ich ihr hinterher.

A/n: Seit ihr zufrieden mit dem Kapitel? Ich hab meine Bedenken🙈

𝗲𝗶𝗻𝗲𝗻 𝗟𝘂𝗳𝘁𝘀𝗽𝗿𝘂𝗻𝗴 𝗲𝗻𝘁𝗳𝗲𝗿𝗻𝘁Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt