Drohung

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Roi

In dem Moment, als ich langsam aus dem Schlaf glitt und meine Augen öffnete, um das sanfte Morgenlicht zu sehen, das ihr Gesicht zärtlich berührte, fühlte es sich an, als ob ein Segen über mich gekommen wäre. Sie strahlte eine unbeschreibliche Schönheit aus. Ihr ruhiger Atem und das friedliche Lächeln, das sich auf ihren Lippen abzeichnete, erfüllten mich mit einer tiefen Glückseligkeit. Jeder Augenblick in ihrer Nähe fühlte sich an wie ein Stückchen vom Himmel auf Erden. Als ich mein Handy vom Nachttisch griff, dachte ich daran, wie besorgt meine Mutter wahrscheinlich war und wie sehr es mich interessierte, wie sie den Sturm überstanden hatten. Während der angebissene Apfel auf meinem Display erschien, kam mir die Idee, meine Mutter um Erlaubnis zu bitten, noch eine weitere Nacht mit Keyla hier zu verbringen.

Remi [20:36]: Es wäre ratsam, sich von Keyla fernzuhalten, wenn du nicht möchtest, dass die Wahrheit darüber, wie du dir die Reise tatsächlich leisten konntest, bekannt wird.

Die Nachricht traf mich von gestern Abend, kurz nachdem wir zu Léon aufgebrochen waren, mit einem Schock. Gleichzeitig nagte die Angst an mir, dass mein Geheimnis entdeckt werden könnte. Mein Herz raste, während ich mich fragte, wie mein Bruder davon erfahren konnte. Ich mied jeden Blickkontakt mit Keyla, denn die Vorstellung, sie zu verlieren, war unerträglich. Zusätzlich belastete mich die Aussicht darauf, dass meine Mutter mir nie vergeben könnte, ohne ständig enttäuscht zu sein. Ich konnte kaum stillsitzen und lief im Zimmer auf und ab. Jeder Moment fühlte sich an wie eine tickende Zeitbombe, bereit, mein Leben zu zerstören. Trotzdem wollte ich mich nicht von Keyla fernhalten, besonders nachdem wir uns so nahe gekommen waren. Doch welche Wahl hatte ich?

"Können wir nicht einfach vereinbaren, dass das, was dort passiert ist, auch dort bleibt? Eine bedeutungslose Nacht?", die Worte fielen mir unglaublich schwer und eine Feuchtigkeit bildete sich in meinen Augen. Es war schwer zu glauben, dass ich mich jemandem, den ich eigentlich hasste, so nahe fühlte. Doch jetzt war es so gekommen und ich erkannte, dass Keyla mir mehr bedeutete als alles bisherige in meinem unschlüssigen Leben. Deshalb fühlte ich mich verpflichtet, sie vor meiner turbulenten Vergangenheit zu schützen, genauso wie meine Mutter. Also tat ich vorerst, was mein Bruder von mir verlangte.

Nachdem wir zu Hause angekommen waren, stieg Keyla ohne eine Reaktion auf meine Worte aus. Trotzdem lief ich ihr direkt hinterher, entgegen meiner vorher gefassten Entschlüsse. Als ich gerade versuchte, ihren Arm zu ergreifen, drehte sie sich elegant um und gab mir eine Ohrfeige.

„Halt dich endlich von mir fern, Roi!", sagte sie bestimmt. Ich konnte die vielen Tränen sehen, die einsam und von Schmerz erfüllt ihre Wange benetzten. Die Ohrfeige hatte ich verdient, und dennoch machte sie mich unglaublich wütend, besonders auf mich selbst. Ich hatte meine Zukunft, die endlich besser aussah als je zuvor, zerstört. Ich kehrte um, setzte mich in mein Auto und fuhr davon.

Stunden später fand ich mich auf einer abgenutzten Couch wieder, wo das Überbleibsel von letzter Nacht noch trocknete. Einige Frauen hatten versucht, meine Aufmerksamkeit zu erregen, aber ich lehnte sie alle ab. Mein Ziel war es, mich bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken, ohne eine von ihnen mitzunehmen. Wenn eine Brünette auftauchte, erinnerte sie mich an Keyla, was die Situation noch unmöglicher erscheinen ließ. Ich verabscheute meinen Bruder dafür, dass er in meiner Vergangenheit geschnüffelt und mir damit gedroht hatte. Während ich den Wodka pur trank, überlegte ich weiterhin, wie ich diesen Konflikt umgehen könnte, um bei meiner Kröte zu sein. Aber je mehr ich trank, desto stärker wurde mein Verlangen, sie zu sehen. Mühsam erhob ich mich von der Couch, als die ersten Sterne vor meinen Augen aufblitzten. Die Dunkelheit des Alkohols versuchte, mich zu überwältigen, aber ich kämpfte mit jedem Schritt dagegen an.

Ich taumelte durch die Nacht, meine Gedanken wirbelten wild durcheinander. Zwischen den funkelnden Lichtern der Stadt versuchte ich, Klarheit zu finden. Doch je weiter ich ging, desto mehr verschwamm alles um mich herum. Jeder Schritt fühlte sich an wie ein Kampf gegen die Dunkelheit, die mich umgab. Aber trotz allem hielt mich ein unbezwingbares Verlangen aufrecht: das Verlangen, bei ihr zu sein. Mit jedem Schritt wurde dieses Verlangen stärker, trieb mich vorwärts, selbst wenn mein Verstand dagegen ankämpfte. Und so taumelte ich weiter durch die Nacht, auf der Suche nach einem Weg, um bei ihr zu sein, egal welche Hindernisse sich mir in den Weg stellten. Und dieses Hindernis war mein Bruder, der mit seinem Wissen über meine Vergangenheit eine Bedrohung darstellte. Sein Eingriff in mein Leben zwang mich dazu, zwischen meiner Vergangenheit und meiner Zukunft zu balancieren.

"Sie hat mich verlassen", sagte Remi, der plötzlich meinen Weg blockierte. "Deinetwegen." Seine Worte trafen mich wie ein Schlag und für einen Moment erstarrte ich, unfähig zu reagieren. Die Last seiner Anschuldigung drückte schwer auf meinen Schultern, während die Erinnerungen an vergangene Fehler schmerzhaft in mir hochstiegen. Doch selbst in diesem Moment der Verzweiflung blieb mein Verlangen nach Keyla unerschütterlich. Mit einem festen Blick in Remis Augen nahm ich einen tiefen Atemzug und entschied mich, unbeirrt weiterzugehen, dem Licht meiner Zukunft entgegen. Jedoch, bevor ich reagieren konnte, riss er mich zu Boden. Der plötzliche Angriff ließ mich benommen zurück, während Schmerz durch meinen Körper pulsierte. Doch selbst in dieser Dunkelheit, die mich umgab, fühlte ich den Funken meiner Entschlossenheit weiterhin in mir brennen. Mit letzter Kraft kämpfte ich mich auf die Beine.

„Ich - kämpfe - nicht - gegen - dich", brachte ich mühsam hervor, meine Stimme brüchig vor Anstrengung. Trotz der Schmerzen, die meinen Körper durchzuckten, versuchte ich, meine Gedanken zu sammeln und die Situation zu verstehen.

„Du hast gewonnen, Roi. Sie will mich nicht", brach mein Bruder in Tränen aus, seine Stimme von Verzweiflung durchdrungen. Ich spürte einen Stich des Mitgefühls, aber auch eine Welle der Erleichterung. Trotzdem blieb ich stumm.

„Aber, wenn ich sie nicht haben kann, dann du auch nicht", drohte er mir erneut, doch seine Worte drangen nur noch nebenbei zu mir durch, während die Dunkelheit sich langsam über mich legte.

𝗲𝗶𝗻𝗲𝗻 𝗟𝘂𝗳𝘁𝘀𝗽𝗿𝘂𝗻𝗴 𝗲𝗻𝘁𝗳𝗲𝗿𝗻𝘁Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt