Flucht

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Keyla

Als die Situation zu eskalierte schien, spürte ich einen Anflug von Panik in mir aufsteigen. Mein Herz raste, und meine Gedanken überschlugen sich in wilder Unordnung. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.
Sollte ich eingreifen?
Sollte ich wegrennen?
Ich wurde in den Strudel meiner Gefühle gezogen. Alles um mich herum schien außer Kontrolle zu geraten und ich fühlte mich hilflos und verloren in diesem Chaos. Ich versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, während ich beobachtete, wie Roi erneut ausholte und seinem Bruder am Kinn traf. Mein Instinkt sagte mir, dass ich handeln musste, aber meine Angst lähmte mich. Die Leute um uns herum hatten sich versammelt, jubelten und klatschten.
Ich sah, wie Remi sich tapfer verteidigte und plötzlich spürte ich eine Welle der Entschlossenheit. Mit zittrigen Händen griff ich nach den nächstbesten Gegenstand, einem Stiefel und warf ihn mit einem lauten Schrei in die Richtung des Kampfes. Durch die Ablenkung erschuf ich die gewünschte Chance für Remi, um sich zu befreien. Er drängte seinen Bruder zurück, nutzte die Gelegenheit und griff nach meiner Hand. Gemeinsam stürmten wir aus dem Haus.

Während wir schweigend die Straße entlang liefen, spürte ich die Schwere der Ereignisse auf meinen Schultern lasten. Die Konflikte, die Verwirrung und die ungewissen Gefühle drückten auf mich wie ein schweres Gewicht. Doch gleichzeitig fühlte ich auch eine Erleichterung und Entschlossenheit in mir aufsteigen. Der Kuss mit Remi hatte mir gezeigt, was ich wirklich wollte und ich war entschlossen, diesen Weg zu gehen, auch wenn es bedeutete, Roi aus meinem Leben zu verbannen. Es war Zeit für einen Neuanfang, Zeit, die Vergangenheit hinter mir zu lassen und mich auf das zu konzentrieren, was wirklich wichtig war: Meine beginnende Beziehung zu Remi und meine eigene innere Ruhe. Ab morgen würde alles anders sein. Es musste so sein.

„Hör mir zu Remi", begann ich, allerdings unterbrach er mich.

"Keyla, es ist nicht nötig, dass du dich rechtfertigst. Ich weiß, dass du seit letztem Sommer Gefühle für meinen Bruder hegst und dass er im Inneren auch etwas für dich empfindet. Aber ich möchte, dass du auch endlich mich siehst. Ich stehe hier vor dir und bin bereit, dir alles zu geben, was du möchtest. Mein Herz könnte dir gehören", die Worte von Remi durchdrangen die Stille und brachten meine Gedanken ins Wanken. Seine Offenheit und Bereitschaft, sich mir gegenüber zu öffnen, berührten mich tief. Doch in diesem Moment spürte ich eine zarte Hoffnung keimen, die Möglichkeit, dass es vielleicht doch ein Weg für mich gab, glücklich zu sein. Ich lächelte Remi an, dankbar für seine Worte und spürte, wie mein Herz zu klopfen begann.

„Es passt jetzt gar nicht zu deinen Worten, aber ich habe meinen Schlüssel wohl verloren. Wollen wir zu dir gehen?"

„Natürlich", wir gingen mit der Stille begleitet in das Haus seiner Familie, liefen die Treppe hinauf in sein Zimmer, wo Remi das Bett vorbereitete. Er bot mir an, unten auf dem Sofa zu schlafen, allerdings verneinte ich die Aussage und wollte stattdessen das er bei mir im Bett schlief. Mit Abstand lagen wir zueinander gerichtet, sahen uns tief in die Augen und legten uns die passenden Wörter zurecht.

"Meine Gefühle für Roi sind nicht von Liebe geprägt, falls du das denkst. Es war eher eine unbedachte Schwärmerei, die sich entwickelte, weil er ständig in meiner Nähe war, Remi. Im Grunde genommen kann ich ihn nicht ausstehen, weißt du? Du hingegen warst immer mein bester Freund."

"Es tut mir leid, Keyla. Ich habe alles falsch interpretiert und befürchtet, dass du immer nur ihn in mir sehen würdest", sagte Remi, während er sich zwang, zu lächeln. Doch ich konnte den Schmerz in seinen Augen sehen. Trotz allem wusste ich, dass unsere Freundschaft ihm das Wichtigste war und er sie niemals aufs Spiel setzen würde. Dennoch wagte er den nächsten Schritt. Langsam rutschte er zu mir herüber und legte sanft seine Hand auf meine Wange. Mit seinem Daumen begann er kreisende Bewegungen zu machen, die mich entspannten und meine Augen schließen ließen. Auch wenn ich es nicht wollte, aber die Müdigkeit holte mich schließlich ein und ich versank in die Tiefe der Dunkelheit.

Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber schmerzhaft atmete ich auf, denn die Luft in meiner Lunge war gefährlich knapp geworden. Es fühlte sich an wie eine Last in meiner Brust, die mich zu ersticken drohte. Panisch schlug ich um mich, traf jemanden, aber konnte nichts weiter wahrnehmen außer der Intensität meines Traumes.

Verwirrt irrte ich durch einen langen, schmalen Flur. Obwohl die Wände hell waren, herrschte eine düstere Atmosphäre im Raum. Ich schritt endlos weiter, doch fand kein Ende. Am Horizont gab es kein Licht, keine Hoffnung auf Erlösung aus der Dunkelheit. Alles war von Schwarz umgeben, nur die Gestalt hinter mir leuchtete im Hellen weiß.

Sie verfolgte mich unerbittlich. Als ich mich umdrehte, mein Herz wild pochend, sah ich den Mann direkt vor mir. Sein Gesicht war verborgen, aber seltsam vertraut, als hätte ich ihn schon einmal gesehen. Er schrie wiederholend meinen Namen, obwohl er direkt vor mir stand. Ein Schauer überlief mich. Seine Stimme wurde mit jedem Ruf verzerrter und unheimlicher, als würde sie sich im Nichts auflösen.

Vor Angst rannte ich davon, doch er holte mich stets ein, ohne mich zu berühren. Vor mir stand er, keuchend und öffnete den Mund, um zu sprechen, aber seine Worte verhallten bedeutungslos.

Die Luft war schwer und wurde zunehmend geringer, als ob ich in meinem eigenen Traum gefangen wäre.
Ich lief davon, weg von dem Mann, erneut. Meine Schritte hallten, aber ich stand auf der Stelle, unfähig dem Mann zu entkommen. Er blieb hartnäckig an meiner Seite, also stellte ich mich meiner Angst und sah ihm direkt in die Augen.

Seine Augen, leere Fenster in einer düsteren Welt.

𝗲𝗶𝗻𝗲𝗻 𝗟𝘂𝗳𝘁𝘀𝗽𝗿𝘂𝗻𝗴 𝗲𝗻𝘁𝗳𝗲𝗿𝗻𝘁Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt