Sturm

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Roi

"Stop! STOP!" rief Keyla, als ich kämpfte, das Lenkrad fest gegen den Wind zu halten, der drohte, uns von der Straße zu drängen. In den letzten zwanzig Minuten hatte er deutlich zugenommen, genauso wie der Regen, gegen den der Scheibenwischer kaum noch ankam. Das Heulen des Windes wurde immer lauter, während das Auto sich mühsam vorwärts kämpfte. Keylas Augen waren vor Angst weit aufgerissen, während sie sich an dem Gurt klammerte und ich konnte spüren, wie mein Herz gegen meine Rippen hämmerte. Die Last der Verantwortung lastete schwer auf mir, als ich mir bewusst wurde, dass Keyla nur meinetwegen dieser Gefahr ausgesetzt war. Ich bereute zutiefst, sie mitgenommen zu haben.

„Halt an, Roi", standhaft schüttelte ich mit dem Kopf, denn wir mussten es schaffen. Ich hatte es versprochen. Ich verlangsamte das Auto auf zwanzig km/h und hoffte, dadurch mehr Kontrolle zu gewinnen. Auch wenn wir langsamer waren, würden wir hoffentlich sicher unser Ziel erreichen.

"Léon braucht meine Hilfe", betonte ich beharrlich, nachdem ich ihr von dem dringenden Anruf erzählt hatte, in dem er um Hilfe bat. Seine Herde war ausgebüxt und er und seine Frau würden allein nicht damit zurechtkommen. Deshalb packte ich sofort meine Tasche und informierte meine Mutter, die wenig begeistert war. Ihre glorreiche Lösung war Keyla, die es nicht geschafft hatte, mich aufzuhalten und jetzt neben mir im Auto saß. Ich war froh über ihre Anwesenheit, denn Keyla war wie ein beruhigender Hafen inmitten des Sturms. In dem wilden Chaos der Naturgewalten um uns herum war ihr ruhiges Wesen wie ein Anker, der mich daran erinnerte, dass ich nicht allein war. Jedes Mal, wenn ich einen besorgten Blick auf sie warf, spürte ich, wie sich meine Nerven etwas beruhigten. Ihre bloße Gegenwart verlieh mir das Vertrauen, dass wir gemeinsam und heile ankommen würden.

"Keyla, geh bitte ins Haus und warte auf uns", sagte ich zu ihr, nachdem wir angekommen und aus dem Auto ausgestiegen waren. Wir standen in Mitten des starken Regens, während Léon und seine Frau herauskamen. Sie lehnte meinen Vorschlag jedoch ab und bestand hartnäckig darauf, die Schafe mit einzufangen. Ihre braunen Strähnen wurden vom Regen durchtränkt und klebten ihr im Gesicht, während ihre Augen entschlossen auf einzelne Schafe gerichtet waren. Ein impulsiver Wunsch durchzog mich, ihre Strähnen sanft beiseite zu streichen, um ihr Gesicht freizumachen. Trotz des starken Regens und meiner inneren Unruhe hielt ich inne und überlegte, ob ich sie erneut bitten sollte, ins Haus zu gehen. Doch ich kannte ihre Sturheit nur allzu gut und gab schließlich nach.

Wir begannen damit, die Schafe behutsam zu umzingeln, indem wir uns langsam näherten und versuchten, sie in Richtung der Scheune zu führen. Keyla bewegte sich geschickt zwischen den Tieren, während Léon und seine Frau die ersten Schafe in die Stallung brachten. Unsere Entschlossenheit ließen uns trotz der zunehmenden Stärke des Sturmes effizient arbeiten, um die Herde sicher einzufangen, sodass wir einen Großteil innerhalb einer Stunde eingefangen hatten. Verstreut liefen wir weiterhin über die Felder und suchten die mutigen weißen Wellknäuel, die genüsslich das Gras fraßen, während die Sorge über uns hereinbrach. Im Sekundentakt intensivierte sich der Sturm, seine wütenden Winde peitschten über die Felder und ließen das Gras wild tanzen. Über mir tobte der Himmel, dunkle Wolken wirbelten chaotisch durcheinander. Ich sah, wie die Bäume sich bedrohlich neigten, ihre Äste ächzten unter der Last des starken Windes. Ein dumpfes Grollen durchdrang die Luft, während der Sturm seine Kraft entfaltete. Die Atmosphäre war geladen mit Spannung und meine Sorge um Keyla wuchs mit jeder vorbeiziehenden Sekunde, als der Sturm unaufhaltsam an Stärke gewann.

„Roi?" Ihre panische Stimme, von der Angst umschlungen, drang durch den tobenden Wind zu mir. Ein Kloß bildete sich in meinem Magen. In einer Sekunde der Unachtsamkeit suchte ich nach ihr inmitten des wilden Treibens, mein Herz pochte laut in meinen Ohren.

Mit einem ohrenbetäubenden Knall und einem Beben des Bodens fiel der Baum direkt neben mir um. Ein plötzlicher Luftzug peitschte Äste wild durch die Luft, und ich spürte, wie sie gefährlich nah an mir vorbeiflogen. Meine Sinne waren geschärft, als ich mich instinktiv zur Seite warf, um den herabstürzenden Ästen zu entkommen. Keyla musste meinen kurzen Aufschrei gehört haben, denn innerhalb weniger Sekunden hatte sie sich neben mich geworfen. Sie tastete meinen unterkühlten Körper ab, während ich mich von dem Schreckmoment zu erholen versuchte. Ihre Hände waren fest, aber sanft und ihre besorgten Augen suchten nach Anzeichen von Verletzungen.

"Wir haben dich überall gesucht", sagte sie panisch, während sie meine Wangen mit ihren zarten Fingern umschloss und mein Gesicht musterte.
"Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht." Ihre Stimme bebte vor Erleichterung und ihre Augen glänzten vor Tränen, als sie mich fest umarmte. Nachdem sie sich von mir gelöst hatte, half sie mir auf die Beine, denn meine Beine zitterten noch vor Panik, die der Baum in mir ausgelöst hatte. Achtsam liefen wir zurück in die Herberge, wo auch Léon mich fest in seine Arme schloss.

"Da hast du uns aber einen Schrecken eingejagt", begann er. "Ist sie immer so stur? Ich hatte versucht, sie aufzuhalten, aber es war nicht möglich. Sie musste dich unbedingt suchen", sagte er, nachdem er sich von mir gelöst und mich ebenso auf Verletzungen untersucht hatte.

"Wenn du nur wüsstest, wie stur" Keyla boxte mir gegen die Schulter, was sowohl mich als auch Léon zum Lachen brachte. Seine Frau kam in den Flur hinein und umarmte mich genauso herzlich wie ihr Mann es eben getan hatte. Sie umschloss anschließend meinen Körper mit einem Handtuch und drückte mir einen Schlüssel in die Hand. Ihre Gesten waren voller Fürsorge und Wärme und ich fühlte mich in diesem Moment unglaublich dankbar dafür am Leben zu sein. Sie ging zu Keyla, umhüllte sie ebenfalls mit einem Handtuch und reichte ihr den Schlüssel für ihr Einzelzimmer. Schade, dass wir uns kein Zimmer teilten, dachte ich bedauernd. Es wäre schön gewesen, die Nacht in ihrer Nähe zu verbringen, nach all dem, was gerade passiert war.

Gemeinsam gingen wir die Treppe hinauf, jeder Schritt von der Erleichterung, dass wir beide unverletzt geblieben waren. Keylas besorgter Blick verfolgte mich stumm und verriet mir, dass sie immer noch von der Angst ergriffen war. Sie hielt das Handtuch fest um sich geschlungen, als würde es sie mehr als nur vor der Kälte schützen. Als ich mein Zimmer erreichte, gegenüber von Keyla ihrem, öffnete ich meine Tür und trat herein, dankbar für die trockene und sichere Umgebung. Keyla war mir gefolgt und schloss die Tür hinter uns. Ihr besorgter Ausdruck berührte mich tief, denn ich spürte die Wärme ihrer Fürsorge.
Sie trat näher und legte sanft eine Hand auf meiner Schulter ab.

"Geht es dir gut?", fragte sie leise und ich nickte zur Bestätigung, denn all die Gefühle hatten mir die Sprache verschlagen. Ihre besorgten Augen suchten weiterhin mein Gesicht ab, um sicherzugehen, dass ich wirklich in Ordnung war.

"Ich warte hier, während du duschen gehst", sagte sie einfühlsam. "Und falls du doch Verletzungen feststellen solltest, sag Bescheid, dann besorge ich Verbandszeug"

"Danke, Kröte", hauchte ich, bevor ich ins Badezimmer ging, um zu duschen. Ich beeilte mich extra, damit sie nicht weiterhin in ihrer nassen Kleidung auf mich warten musste. Bis auf ein paar kleine Kratzer hatte ich zum Glück nichts Ernsthaftes festgestellt. Es beruhigte mich, dass ich unverletzt davongekommen war, aber noch mehr berührte mich Keylas Fürsorge und ihre Bereitschaft, sich um mich zu kümmern.

A/n: Ich weiß, ihr wartet gespannt auf den Kuss, aber es hat in dieses Kapitel nicht mehr gepasst🫢 Jetzt müsst ihr leider bis Montag warten🥺

𝗲𝗶𝗻𝗲𝗻 𝗟𝘂𝗳𝘁𝘀𝗽𝗿𝘂𝗻𝗴 𝗲𝗻𝘁𝗳𝗲𝗿𝗻𝘁Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt