Wahrheit

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Keyla

„Er war immer so liebevoll zu euch", begann meine Mutter mit brüchiger Stimme. „Hätte euch kein Haar krümmen können, denn es war, als wärt ihr auch seine Kinder. Eines Tages gewann er bei einem Pferderennen Geld, was seine Spielsucht hervorgerufen hat. Er spielte immer häufiger, aber verlor auch immer mehr, bis er sich Geld geliehen hatte."

Ich saß da, reglos, während meine Eltern fortfuhren. „Er geriet in eine Abwärtsspirale", erklärte mein Vater. „Er konnte die Schulden nicht mehr begleichen und geriet an die falschen Leute. Sie setzten ihn unter Druck, drohten ihm. Er war verzweifelt"

„Wir haben versucht, ihm zu helfen", sagte meine Mutter leise. „Aber es war zu spät. Eines Nachts kam er zu uns, völlig aufgelöst. Er wollte sich verabschieden, sagte, er müsse alles wieder in Ordnung bringen."

„Das war das letzte Mal, dass wir ihn lebend gesehen haben" Mein Vater schluckte schwer, Tränen standen ihm in den Augen.

„Wir hatten erst am nächsten Morgen gemerkt, dass du nicht mehr in deinem Zimmer warst. Wir haben sofort die Polizei informiert, die alle verfügbaren Maßnahmen ergriff, aber es gab keine Spur von dir", erklärte meine Mutter mit brüchiger Stimme. „Tage vergingen ohne ein Lebenszeichen. Dann, endlich, kam ein Brief."

Ich konnte die Worte kaum ertragen, meine Augen waren fest geschlossen, doch die Tränen fanden ihren Weg über meine Wangen. Roi streichelte liebevoll meinen Rücken, seine Berührung war ein Anker in diesem Sturm der Gefühle. Zoe, meine treue Freundin, hatte ihren Kopf an meine Schulter gelehnt, ein stiller Beweis ihrer Unterstützung.

„Der Brief...", fuhr mein Vater fort, seine Stimme bebte. „Er war von deinem Onkel. Er schrieb, dass er dich in Sicherheit gebracht hatte, dass er dich beschützen wollte vor den Menschen, denen er Geld schuldete. Wir könnten dich also erst Wiedersehen, wenn wir seine Schulden beglichen hätten"

„Wir haben alles versucht, um dich zu finden", flüsterte meine Mutter. „Jede erdenkliche Möglichkeit ausgeschöpft, aber es war, als wärest du vom Erdboden verschluckt worden."

Die Realität traf mich wie ein Schlag. All die Jahre der Ungewissheit, die Lügen, die Geheimnisse, hatten mich geformt. Jetzt, da die Wahrheit ans Licht kam, fühlte ich mich gleichermaßen erleichtert und erschüttert.

„Wir bezahlten seine Schulden. Einen Tag später standest du plötzlich vor der Haustür. Wir wollten dich nie wieder verlieren, deshalb haben wir versucht, alles hinter uns zu lassen und dich vor der Wahrheit zu bewahren." Roi drückte mich noch fester an sich, seine Nähe gab mir die Kraft, diesen Moment zu überstehen. Zoe hob ihren Kopf und sah mich an, ihre Augen voller Mitgefühl.

„Wir sind hier für dich", sagte sie fest. Ich nickte, spürte die Last der Vergangenheit auf meinen Schultern, aber auch die Stärke, die aus der Liebe und Unterstützung meiner Freunde und Familie wuchs.

„Nachdem er dich zu Hause abgesetzt hatte, verlor er die Kontrolle über sein Auto und verstarb noch vor Ort", beendete mein Vater die Geschichte über meinen Onkel mit leiser, brüchiger Stimme. Der Raum fühlte sich plötzlich kleiner an, die Luft schwer und erdrückend. Die Wahrheit war wie ein Schlag ins Gesicht, ein grausamer Schlussstrich unter ein Kapitel, das mein Leben so nachhaltig geprägt hatte.

„Es tut mir so leid, dass wir dir das nicht früher gesagt haben", fügte meine Mutter hinzu, ihre Augen voller Tränen.

„Wir wollten dich nur schützen."

„Ich verstehe", sagte ich, meine Stimme zitterte. „Es ist nur ... so viel auf einmal."

„Du musst das nicht allein durchstehen, Keyla. Wir sind alle hier für dich" Roi zog mich näher an sich.

„Du bist nicht allein. Wir stehen das gemeinsam durch." Zoe nickte heftig und legte ihren Kopf wieder auf meine Schulter. Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen, sah die besorgten Gesichter meiner Eltern, die entschlossenen Mienen meiner Freunde. Trotz des Schmerzes und der Trauer war da auch eine wachsende Stärke in mir.

„Danke", sagte ich schließlich, meine Stimme fester. „Danke, dass ihr alle hier seid."

„Wir werden es gemeinsam schaffen", sagte mein Vater, seine Hand auf meiner Schulter. „Als Familie."

Die Vergangenheit war schmerzhaft und dunkel, aber die Zukunft lag vor mir und ich würde sie mit den Menschen an meiner Seite angehen, die mich liebten. Wir würden diese schweren Zeiten gemeinsam überwinden und stärker daraus hervorgehen.

A/n: Ein etwas kurzes Kapitel, aber ich wollte es damit abschließen🤍

𝗲𝗶𝗻𝗲𝗻 𝗟𝘂𝗳𝘁𝘀𝗽𝗿𝘂𝗻𝗴 𝗲𝗻𝘁𝗳𝗲𝗿𝗻𝘁Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt