Rollentausch

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Roi

Was war nur in mich gefahren, dass ich meine Lippen auf die von Keyla plötzlich legte? Ich war überfordert mit ihrem Gefühlsausbruch und das dadurch entstandene Chaos, welches allein meine Schuld war. Ich war zu hart zu ihr, dabei war es mein üblicher Spaß, den sie genauso auffassen sollte, es aber nicht tat. Unterschwellig hatte ich ihr unterstellt eine Nutte zu sein, glaubte sie.

„Mach das nie wieder, Roi. Wehe du küsst oder berührst mich noch einmal", Keyla hatte sich nach kurzen Sekunden der Verwunderung wieder gefangen und sich von mir gelöst, während der einseitige Kuss meine Lippen zum Kribbeln gebracht hatte. Ich spürte deutlich, wie mein Schandmaul es erneut tun wollte, wäre mein Verstand nicht schlauer gewesen.

„Jetzt mach mal halblang. Du hast dich aufgeführt, als hätte ich dein Lieblingskuscheltier zerstört. Irgendetwas musste ich doch tun" Ich war ein Idiot. Ein sehr großes sogar. Gefühle waren bei niemandem ein leichtes Thema, aber eigentlich hatte ich meine Welt dessen immer im Griff, bis Keyla kam. Keyla und die Ehrlichkeit meiner Augen. Ihre Worte gingen mir unter die Haut, infizierten mich wie ein Virus, der sich langsam und doch schnell genug zu meinem Herzen vorarbeitete. Es hatte mich in diesem Moment erwischt, denn mein Herz polterte unglaublich stark. Ich wollte es nicht zugeben, aber sie hatte etwas gesehen, was sonst niemand bemerkte. Das hatte sie schon immer, dachte ich mir. Sie war immer anders als die anderen, was mir aufgefallen war, aber nicht von meinem Interesse.

„Genau, jetzt ist alles meine Schuld", höhnte sie, während ihre Arme wild umher wedelten. Keyla begann erneut sich in Rage zu begeben, nur das ein Kuss mich dieses Mal nicht retten, sondern hinrichten würde.

„Du hörst auch nur, was du hören willst", innerlich schlug ich meinen Kopf gegen die Wand. Es war, als würde es mich plötzlich zweimal geben. Einen Engel, der um Vergebung winseln möchte, sie nochmal küsst und auf eine verdrehte Art, auf ein Happy End hoffte. Dann war da der Teufel in mir, der Keyla bis an ihre Grenzen bringen musste, wie schon immer. Er wollte sich nicht entschuldigen, auch wenn es dringend nötig war. Er genoss die Tränen und ihre Ratlosigkeit. Eins von beidem war stärker und übernahm mein Handeln.

„Ich hasse dich, Roi und dieses Mal ist es nicht irgendein Kindergarten Geplänkel, Nein! Ich hasse dich wirklich und wünschte, ich würde dich nicht kennen", die Worte trafen mich mitten ins Herz, weshalb der Engel eine Träne verlor, aber der Teufel lachte sardonisch.

Ein Mittelfinger folgte und Keyla war im Nebenraum, obwohl sie sich vor Dunkelheit fürchtete, verschwunden. Ich gewährte ihr den Moment Ruhe, versuchte die Tür nach draußen irgendwie aufzubrechen und hämmerte dagegen, doch niemand nahm uns wahr. Leise erklang die französische Musik von den Straßen. Zu gern würde ich den Duft von leckeren Croissants wahrnehmen, am liebsten die meiner Mutter. Ihre mit Pistazien gefüllten waren einfach die besten auf dem Planeten Erde. Sie gaben unbewusst das Gefühl von Heimat und Glück, was einem nicht einmal das Leben außerhalb deiner kleinen Stadt schaffte. Ich hasste es eingesperrt zu sein, auf einer Stelle zu leben oder mich irgendetwas zu widmen. Ich war ein Freimensch, dessen Leben außerhalb, einfach überall stattfinden sollte. Aber glücklich war ich damit auch nicht, denn diese Ehre hatte ich nur selten erhalten, wie Keyla es auf den Punkt gebracht hatte. Ich sagte ja, sie traf den Nagel auf dem Kopf, oder den Kopf auf dem Nagel?

Während stille um mich herum einkehrte, mein Kopf umso lauter wurde, bemerkte ich gar nicht, das leise schluchzen von nebenan. Keyla weinte. Nun konnte ich nicht anders und trat in ihren sicheren Kreis ein, indem ich meine Hand auf ihrer Schulter ablegte. Neben sie kniend spürte ich die Kälte des Raumes, die sie vollkommen eingenommen hatte und zittern ließ.

„Es tut mir leid", entkam es mir voreilig, denn wieder hielt ich es nicht aus.

„Schon gut, Roi. Lass mich bitte in Ruhe", sie stupste meine Hand herunter und rückte von mir weg. Irgendwas in ihr hatte sich verändert und es war meine Schuld. Ihre Augen leuchteten nicht mehr wie früher, als wir Kinder waren oder wie zu jedem Geburtstag und besonders nicht mehr, wenn sie mich seit letztem Sommer ansah. Ihre Sicht auf mich war eine komplett andere, verständlich.

„Bitte hör auf zu weinen, Kröte", mein sonst so egoistisches Herz ertrug es nicht. Ich lebte einfach für mich selbst, egal, wie es anderen Menschen erging. So war ich nun mal und würde mich für niemanden ändern, nicht für Keyla oder die Liebe meines Lebens. Aber das Gewissen, welches in mir kräftig schlug, das übernahm meine Rationalität.

„Hörst du schlecht? Verpiss dich!", wurde sie plötzlich lauter, erhob sich und stürmte aus dem Raum. Entschlossen folgte ich ihr. Sie rannte beinahe, ihr Ziel die Tür. Es mag ein Segen für sie sein, für mich purer Zufall und Pech, aber die Tür öffnete sich. Remi, ihr Ritter in glänzender Rüstung kam hinein und nahm sie sofort in seine Arme. Er war schon immer ihr Zufluchtsort. Meine Chance auf zeitige Vergebung war mit seinem Erscheinen dahin.

„Was hast du gemacht?", sein Blick eiskalt. Er nahm es mir übel, sie in so einer Verfassung vorzufinden.

„Ich habe mich entschuldigt", seiner Erscheinung nach zu urteilen, war diese Antwort die Falsche. Remi löste sich von Keyla und bat sie schonmal hinauszugehen.

„Du kannst es nicht lassen, oder? Immer musst du sie so abwertend behandeln. Siehst du, was du angerichtet hast? Sie ist mit der Welt am Ende", mein Bruder, mit dem ich immer eine gute Bindung hatte, wurde lauter und kam bedrohlich auf mich zu. Ich fürchtete mich nicht vor ihm und blieb deshalb gelassen stehen, denn ich ahnte, dass er Frust ablassen müsste, da ich seiner neuen Verliebtheit geschadet hatte.

„Du musst tun, was du tun musst, oder? Egal ob dein kleiner Bruder dich um einen Gefallen gebeten hat. Es geht immer nur um dich, Roi. Du und deine tollen Geschichten, wo du die Welt entdeckst und natürlich ist da kein Platz für seinen Bruder", er stand nun genau vor mir. Ich zuckte mit den Schultern, denn einen Ausweg gab es nicht. Keyla hingegen hatte den Keller nicht verlassen und versuchte Remi an seinem Arm zurückzuziehen.

„Lass es gut sein, Remi", hörte ich nebenbei ihre Stimme, doch es war zu spät. Er holte aus. Seine Faust traf mich nicht kraftvoll, aber sie traf mich ins Gesicht. Eine erneute Chance bekam er nicht, denn Keyla stellte sich urplötzlich zwischen uns und nahm sein Gesicht in ihre Hände. Nach allem, was heute passiert war, hatte ich nicht daran geglaubt, dass sie mich beschützen würde. Ihr Handeln galt allein Remi.

Die beiden schienen zu diskutieren, also nutzte ich die Gelegenheit und schlich mich an ihnen vorbei. Kurz vor dem Ausgang drehte ich mich aus unerklärlichen Gründen um, vielleicht weil keine Stimme mehr erklang und sah, wie Remi, genau wie ich vorhin, seine Lippen auf ihre legte.

A/n: und schon wieder erkältet🤧
Ich hoffe dennoch, auch wenn ihr etwas länger warten musstet, dass euch dieses Kapitel gefallen hat.

War Roi seine Sicht für euch verständlich? Und wie empfindet ihr die Entwicklung zwischen den dreien?

𝗲𝗶𝗻𝗲𝗻 𝗟𝘂𝗳𝘁𝘀𝗽𝗿𝘂𝗻𝗴 𝗲𝗻𝘁𝗳𝗲𝗿𝗻𝘁Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt