57 - Weihnachtsüberraschung

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57 - Weihnachtsüberraschung

Am nächsten Morgen weckte mich glatt ein Fußball, der von der Wand abprallte und mir dann in den Bauch klatschte. Nachdem ich das Leder beinahe zerfetzt hatte und Nick durchs halbe Haus verfolgt hatte, war ich endgültig wach. Mein idiotischer Bruder hatte den Ball gestern bekommen und er schaffte es, das Teil keine zwölf Stunden danach bereits als Mordwerkzeug zu benutzen.

Ich frühstückte erstmal und beschäftigte mich danach mit meinen eigenen Geschenken. Kurz vor Mittag beschloss ich dann auch mal, aktiv zu werden und schälte mich aus meinem Pyjama. Gähnend und endlich anständig gekleidet lief ich ins Erdgeschoss und zog meine Stiefel an. Ich hatte vor, in die Stadt zu gehen und Luca und Clara ihre Geschenke vorbeizubringen. Mit einer Tüte am Arm und zwei Päckchen darin, machte ich mich auf den Weg zur Straße. Der Wald war so vollgeschneit, dass ich nur unnötig nass werden würde, also lief ich einfach als Wolf auf der Straße und verzog mich jedes mal, wenn sich ein Auto näherte zwischen die Bäume. Auf diese Weise kam ich schnell voran und sobald ich die Zivilisation erreichte, lief ich als Mensch weiter.

Ich besuchte zuerst Clara, die sich wahnsinnig über mein Auftauchen freute. Wir unterhielten uns eine Weile über unsere verschiedenen Weihnachtsfeste und was wir alles bekommen hatten. Wir verbrachten eine nette Zeit, doch dann beschloss ich zu gehen, da mir Claras kleine Schwester Killerblicke zugeworfen hatte, die eindeutig von Eifersucht sprachen. Schließlich wollte ich nicht ihr Familienfest zerstören. Ich verabschiedete mich also und lief zurück nach draußen in den Schnee.

Mit schnellen Schritten machte ich mich auf den Weg zu Lucas Haus. Bei der Erinnerung an seine Mutter musste ich schmunzeln. Ich fand sie richtig beeindruckend. Kaum hatte ich geklingelt, riss sie die Tür auf und zog mich in eine Bärenumarmung. Nachdem ich um Luft geröchelt hatte ließ sie mich sogar los und zog mich ins Haus. Erst als ich mit Keksen vor mir am Küchentisch saß, eröffnete sie mir, dass Luca eigentlich überhaupt nicht zuhause war. "Ja ja, der ungezogene Junge ist mal wieder einfach in den Wald gelaufen. Hach, ich weiß auch nicht, was der da immer macht. Aber ich hole dir jetzt erst mal einen Kakao, nicht dass dir noch kalt wird, Schätzchen." Ich nickte begeistert mit vollem Mund und versuchte krampfhaft, keine Kekskrümel auf die raue Tischplatte zu spucken. Lucas Mutter ließ mich einfach nicht mehr gehen. Nachdem sie mich fast eine Dreiviertelstunde mit Keksen, Kakao und Kuchen vollgestopft und sich mit mir über irgendwelche Promiskandale, von denen ich keine Ahnung hatte, unterhalten hatte, konnte ich mich schließlich doch noch losreißen. "Es tut mir sehr leid Susan, aber meine Mutter macht sich bestimmt schon Sorgen. Gib Luca bitte einfach das Geschenk und richte ihm Grüße aus. Wer weiß, vielleicht begegne ich ihm ja auf dem Rückweg noch."

Mit einem Grinsen und vollgepackt mit selbstgemachten Keksen verließ ich das Haus und lief glücklich mampfend in Richtung Wald. So wie es von mir ja zu erwarten war, war die Plastiktüte bis auf ein paar Krümel leer, als ich am Waldrand ankam. Genervt stöhnend, weil ich so verfressen war und die Kekse zu wenig waren, warf ich die Tüte in einen Mülleimer neben einer Bank und verwandelte mich. Als ich meinen Kiefer dehnte, nahm ich plötzlich Lucas Geruch wahr. Stimmte ja, er war ja hier im Wald. Da ich ihn vorher verpasst hatte, beschloss ich ihm einen Besuch abzustatten. Ich folgte schnüffelnd der Duftspur und entdeckte ihn schon bald an einen Baum gelehnt, der mir bekannt vorkam. Es war die alte Tanne, unter der wir uns schonmal getroffen hatten. Ich stieß ein kurzes Bellen aus, um ihn auf mich aufmerksam zu machen und lief dann freudig auf ihn zu. Als er mich erblickte, schmückte ein Lächeln sein Gesicht. Ich gesellte mich zu ihm und genoss, dass er anfing, mir die Ohren zu kraulen. "Schön dich mal wiederzusehen. Wann sind wir uns nochmal das letzte mal begegnet? Allerdings hatte ich in letzter Zeit viel zu tun. Vorige Woche habe ich ..." Die Quasselstrippe begann mich vollzuquatschen, was alles passiert war und wer was getan hatte und wer mit wem gesprochen hatte und mit wem er zu tun gehabt hatte. Ich konnte mir ein gelangweiltes Geräusch kaum verkneifen, doch fand die Situation auch amüsierend. Er würde mir wohl nicht so viel erzählen, wenn er wüsste, dass ich ihn verstehen konnte. Ich war gerade dabei, abwesend eine Krähe anzustarren, die auf einem Ast hockte und sich gegen die Kälte aufplusterte, als mich ein leises Geräusch aufmerksam machte, das absolut nicht hier hin gehörte. Luca redete gerade über ein Computerspiel, das er zu Weihnachten bekommen hatte, doch ich hatte es trotzdem gehört. Einfach weil ich es noch nie vernommen hatte, es aber trotzdem kannte.

Mein Kopf, der zuvor auf meinen Pfoten geruht hatte, schoss nach oben. Der Junge neben mir hörte sofort auf zu sprechen und sah mich verwirrt an. Ich jedoch drehte meine Ohren aufmerksam hin und her. Tatsächlich, ich hörte es ein weiteres Mal. Mit einem Satz war ich auf den Pfoten und spannte meine Muskeln an. "Was? Was ist denn?", flüsterte Luca neben mir. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, dass er verdammt nochmal leise sein sollte, doch da hörte ich es ein drittes mal und konnte bestimmen, woher es kam. Innerhalb weniger Sekunden war ich bereits meterweit von ihm entfernt und schnüffelte wie wild in der Luft herum, um dann so schnell es ging im tiefen Schnee ging davonzulaufen. Luca folgte mir stolpernd und fiel im Schnee immer weiter zurück. Ich rannte unbeirrt weiter, bis ich eine kleine Anhöhe erreichte und sie erklomm. Von oben konnte ich auf eine kleine Senke blicken. Und was ich darin entdeckte, ließ mich zu einem Eisklotz erstarren. Meine Gedanken wirbelten in meinem Kopf herum und ich wusste nicht mehr wo vorne und hinten war. Ich blieb so lange stehen, dass sogar Luca mich erreichte. Er stapfte schwer atmend zu mir nach oben und hielt sich die Hüfte. "Ok, wenn du vorhast sowas nochmal zu machen, sag mir bitte vorher Bescheid, damit ich meine Laufschuhe mitnehme." Ich hatte mich immer noch nicht gerührt. Schließlich blickte auch Luca hinunter. Er stieß ein erschrockenes Keuchen aus. "Oh nein, das ist nicht gut, das ist gar nicht gut."

Unten in der Senke, zwischen den verschneiten Wurzeln eines abgesägten Baumstammes kauerten zwei kleine graue Fellbündel. Es waren Wolfsbabys, noch so jung, dass sie gerade mal Fell hatten. Das war es, was mich so verwirrte. Es gab in dieser Gegend weder Wölfe, noch wurden sie im Winter geboren, noch würde eine Wolfsmutter ihre Welpen einfach alleinlassen. Doch es gab auch keine Anzeichen, dass die Mutter verletzt oder tot war. Was taten also diese zwei hier? Schlussendlich konnte ich mich aus meiner Starre reißen, als Luca einen Schritt hinunter machte. Ich hatte in diesem Moment wahnsinnige Angst, etwas falsch zu machen, doch Luca wusste noch weniger als ich, was zu tun war. Mit schnellen Schritten war ich unten.

Lebten sie noch? Hier draußen und in ihrem Alter war die Überlebenschance gleich null. Noch dazu bei dieser Kälte. Vorsichtig schnupperte ich an ihnen. Das Linke regte sich und begann herzzerreißend zu fiepen. Das war es, was ich vorher gehört hatte. Bei dem Geräusch zog sich mein Inneres zusammen und mein Herz begann wie wild zu pochen. Meine Mutterinstinkte meldeten sich sofort und packte die beiden an ihrem Nackenfell und hob sie hoch. Sie waren noch so klein, dass ich ihr Gewicht kaum spürte. Ich wandte mich um und warf einen Blick auf Luca, der immer noch oben am Hügel stand und erstarrt nach unten blickte. Mit einem letzten Schnauben sprang ich los und verschwand hinter den Schneemassen, so schnell ich konnte nach Hause.

Er folgte mir nicht.

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Wolf fact: Die Paarungszeit der Wölfe ist im späteren Winter, die Welpen werden im Frühling geboren.

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Ratet mal wer die theorethische Führerscheinprüfung bestanden hat :D jetzt brauch ich nur noch die praktische (/.\)

Allein unter Menschen!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt