66 - Wasserattacke

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66 - Wasserattacke

Autorität. Das wichtigste in der Kindererziehung.

"Hört sofort auf damit und hört mir zu!" "Aber Mama! Wir wollen nicht dass du gehst!"

Mir fehlte irgendwie Autorität.

"Ich muss aber! Und jetzt die Regeln! Hört immer auf das Rudel! Sie werden euch versorgen. Bleibt nicht zu lange im Schnee, ihr erkältet euch noch. Keine Ausflüge außerhalb des Zauns, ohne dass jemand davon weiß. Fresst keine dieser komischen Rindenstücke, die ihr immer irgendwo ausgrabt. Wenn ich zurückkomme, sollte die Höhle nicht demoliert und zerstört sein."

"Musst du wirklich gehen?" Lia ließ ihren Kopf traurig hängen. "Ja Kleines." "Ok. Aber bitte komm bald zurück, ja?" "Natürlich."

Sie nahmen mein Verschwinden erstaunlich erwachsen auf. Ich musste mir offenbar eingestehen, dass sie nicht immer meine kleinen Schnuckipuffels bleiben würden. Seufzend lief ich Richtung Parkplatz, auf dem bereits das Auto stand, das uns zur Schule bringen würde. Schweren Herzens schnappte ich meinen Koffer und hiefte ihn in den Kofferraum. Sophia legte mir eine Hand auf die Schulter. "Das wird schon. Du siehst sie bald wieder." Ich nickte traurig und quetschte mich ins Auto zwischen Nick und Anna auf den Rücksitz. Ich blickte nicht zurück. Am liebsten hätte ich die Kleinen einfach in meinen Rucksack gestopft und mitgenommen. Aber jetzt versuchte ich mich auf den Wintersport zu konzentrieren. Die ganze Autofahrt nervte ich meine Geschwister mit meinem Genörgle und sie waren vermutlich ziemlich froh, endlich bei der Schule aussteigen zu können. Nach einer wenig spektakulären Abschiedsszene ruckelte ich mit meinen Geschwistern Richtung der zwei Busse, die ihre Seiten geöffnet hatten, um die Koffer einzuladen. Da Clara mir vorher noch eine Nachricht gesendet hatte, in welchem der beiden Gefährte sie saßen, steuerte ich sofort den zweiten an. Als ich die Stiegen hochstieg, erfasste ich sofort die Situation. Es herrschte Chaos. Überall lärmten meine Mitschüler und die der Parallelklasse herum und schmissen mit Zeug um sich. Endlich entdeckte ich meine Freundin, sie saß zu meinem Erstaunen ganz hinten in der letzten Reihe, direkt neben Thomas und Luca, die mir alle drei zuwinkten. Es war noch ein Platz frei. Ich begann zu grinsen, doch dann erblickte ich den puren Schrecken. Angie steuerte genau auf meinen Platz zu. Sie bewegte sich auf dem Mittelgang entlang und würde vor mir an ihrem Ziel sein. Sie würde mich aber nicht vorbeilassen, da sie mich abfangen könnte.

Aber irgendwas musste ich tun! Ich erinnerte mich prompt an die Wasserflasche, die in der Seite meines Rucksacks steckte und fasste einen Entschluss. Ich nahm das Objekt meiner grausamen Tat und näherte mich meiner Beute von hinten. Kurz bevor ich sie erreichte, stolperte ich plötzlich und schüttete Angie einen kleinen Teil Wasser auf das Shirt. Sie quiekte erschreckt auf und ich schob mich blitzschnell an ihr vorbei. Mit betroffener Miene begann ich mit einem schnell aus der Jacke geholten Taschentuch an dem Fleck herumzuputzen und mich zu entschuldigen: "Du meine Güte, das tut mir so leid! Ich putze es schnell weg!" Angie schlug meine Finger weg und fauchte, wobei sie mich stark an eine Katze erinnerte. Ich mochte keine Katzen.

"Lass mich in Ruhe!", keifte sie. "Na gut. Aber hier, nimm wenigstens diese wundervollen Taschentücher.", mit diesen Worten wandte ich mich um und beschritt den nun freien Weg bis zu meinem Platz.

"Puh. Katastrophe nochmal abgewendet."

Trotz des verkorksten Starts der Reise wurde die Busfahrt ziemlich lustig. Wir hatten alle Süßigkeiten und Knabberzeug dabei und bauten uns eine kleine Fressbar auf. Wir erzählten uns gegenseitig Witze, schauten Videos, quatschten und hörten halblaut Musik, wobei Clara und ich sogar leise mitsangen. Schließlich erfand Luca ein neues Spielchen, bei dem er so tat, als wäre er ein Reporter, Thomas wurde gezwungen den Kameramann zu spielen, und Clara und ich setzten Sonnenbrillen auf und beantworten dummgestellt Lucas Fragen, wie zum Beispiel: "Allgemeinwissen gehört ja dazu. Wissen Sie auf welchem Sender der Panamakanal liegt?" Wir taten so als wüssten wir es nicht und hatten eine Menge Spaß. Als jedoch der Bus sich eine schneereiche Bergstraße hinaufkämpfte wurde ich hibbelig. Wir sollten bald da sein und ich behielt recht. Richtig aufgedreht schnappte ich mir meinen Koffer und gesellte mich zu meinen Zimmerkolleginnen, die natürlich Clara, Sophia und Anna waren. Nachdem wir ein Zimmer zugeteilt bekamen, schleppten wir keuchend das Gepäck die Treppen hoch, da unser Raum in einem höheren Stock lag.

Er war spärlich eingerichtet, mit zwei Stockbetten, zwei Schränken und einem Tisch mit vier Stühlen. Es war zwar alles alt, aber sauber und nirgendwo schimmlig oder ungezieferverseucht. Nach einer halben Stunde sah es in dem Zimmer aus, als wäre eine Bombe der puren Weiblichkeit explodiert. Wir hatten zwar unsere Kleidung gerade noch in die Schränke bekommen, aber die dicken, gefütterten Winterjacken mussten wir an die Bettpfosten hängen, die Schuhe irgendwo an die Wand stellen und unsere Hygieneartikel in eine Ecke auf den Boden legen. Da jeder von uns reichlich davon dabeihatte, musste sich jeder eine Ecke des Zimmers suchen, wo natürlich alles was rund war, wegzurollen drohte. Ich stolperte bereits 10 Minuten nach unserer Ankunft über eine Dose Haarspray, die daraufhin fast Anna gegen das Schienbein flog. Gemeingefährlich Der Tisch war bereits besetzt, er ächzte unter der Last von Süßigkeiten und Chips, die darauf lagen. Für unsere Handys und Claras Nintendo, den sie aus unerfindlichen Gründen mitgenommen hatte, hatten wir eine Stuhl in die Zimmermitte gestellt und eine Verteilersteckdose, die Clara vorausdenkend eingepackt hatte, drauf gelegt. Der kleine Heizlüfter hatte das Zimmer bereits angenehm gewärmt, worüber wir froh waren, denn die Kälte drang durch das alte Mauerwerk herein.
Doch kaum hatten wir es uns gemütlich gemacht, wurden wir bereits nach unten in einen großen Speisesaal gerufen.

Alle mussten der Versammlung beiwohnen, wobei sich alle langweilten. Für gefühlte Stunden wurden uns Sicherheitshinweise und Informationen vermittelt. Ich gammelte neben Clara an unserem Tisch und sabberte mittlerweile vor Hunger auf die Servietten. Als wir schlussendlich das Mittagessen bekamen, war ich bereits im ganzen Raum für mein Magenknurren bekannt, das sich anhörte als hätte ein Waschbär eine Erkältung.
Zu meinem Entsetzen gab es Brokkolisuppe als Vorspeise. BROKKOLI! Ich starrte angeekelt auf meinen Teller. Mir war jetzt schon klar, dass ich im Laufe der Woche verhungern würde. Oder meine Familie würde mich als dürres Skelett zurückbekommen. Der Geruch des Gemüses stieg mir in die Nase.

Ich konnte nur noch auf die Hauptspeise hoffen.

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Wolf fact: Das Heulen der Wölfe ist einzigartig wie Fingerabdrücke. Rudelmitglieder und sogar Wissenschaftler können einzelne Tiere erkennen und auseinanderhalten.

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