73 - Hey.

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73 - Hey.

"Wie konntest du das tun? Sie hätte sterben können!", keifte mich jemand aus meinem angenehmen Schlaf. Die Stimme klang jedoch hohl und verzerrt, als würde sie durch eine Schicht Wasser gesprochen.
"Du kannst verhaftet werden, wenn Caroline dich anzeigt. Wir haben einen Zeugen, Clara hat dich bei der Rodel gesehen. Du musst einen Schmerzensgeldbeitrag leisten, genauso wirst du für den Rest deiner Schulzeit von allen Veranstaltungen ausgeschlossen und kannst jetzt erstmal gemeinnützige Arbeit leisten. Wir würden dich sofort nach Hause schicken, würde dieser Sturm nicht sämtliche Kommunikation unterbrechen." "Ach was, so ein kleines Stürmchen stört uns doch nicht.", meinte ich mit krächzender Stimme und öffnete die Augen. Clara, die auf der linken Seite schrie auf, was mich zusammenzucken ließ. Zeitgleich begann die Mutter aller Kopfschmerzen in meinem Schädel Polka mit einem Bulldozer zu tanzen und auf meinen Nerven herumzutreten. Ich zischte schmerzerfüllt. "Caroline! Geht es dir gut?", fragte der Wischmopp vom Fußende meines Bettes aus.

"Sehe ich so aus, als würde es mir gut gehen?", knurrte ich mürrisch. "Sie weist bereits wieder Sarkasmus auf. Das ist ein gutes Zeichen." Mein Blick schoss auf die rechte Seite meiner Ruhestätte, wo ein großgewachsener Arzt mit ulkigem Bärtchen saß und auf mich herunterblickte. "Ich verabreiche dir trotzdem ein Schmerzmittel." Er zückte eine Spritze und bevor ich mich wehren konnte hatte er mir etwas in den Arm gespritzt. "Aua! Nicht so plötzlich alter Mann! Und wo sind wir überhaupt?", knurrte ich vorwurfsvoll und sah mich um. Ich schien in irgendeiner Krankenstation zu liegen. Es gab nur ein Fenster, vor dem alles grau war. Der Wind ruckelte am Rahmen und verursachte pfeifende Geräusche. Auf einem Stuhl in der Ecke saß Angie mit mürrischem Gesichtsausdruck. "Ich denke, wir überlassen es Clara, dir alles zu erzählen und lassen dich in Ruhe. Kommt mit." Der Arzt erhob sich und ging aus dem Zimmer, gefolgt von einer deprimierten Angie und dem Wischmopp, der mir noch kurz zulächelte. Die Tür fiel zu und im gleichen Moment begann Clara loszufaseln. "Oh mein Gott Caro, ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist. Du hättest sterben können! Ich habe Angie gesehen, wie sie die Rodel angesägt hat ubd wollte dich warnen, aber du bist schon losgefahren. Prompt bist du ihr in die Falle gegangen. Vermutlich wollte sie nur dass du dir was brichst oder sowas, aber du bist mit dem Kopf direkt auf einen Stein geknallt und ohnmächtig geworden. Sie wollten dich zwar ins Krankenhaus transportieren, doch als der Krankenwagen endlich da war, ging der Schneesturm los und hat die Straße innerhalb von Minuten zugeschneit. Es kommen keine Handysignale durch, weswegen wir auch deine Familie noch nicht anrufen konnten. Wir sind komplett von der Außenwelt abgeschnitten und deshalb mussten sie dich hier versogen. Allerdings sagt der Arzt, dass du nochmal Glück gehabt hast und kaum bleibende Schäden davontragen wirst. Du hast zwar eine große Platzwunde an der Stirn und einiges an Blut verloren, aber nur eine leichte Gehirnerschütterung. Allerdings wirst du eine Narbe behalten, die Wunde musste genäht werden und es kann passieren, dass sie wieder aufreißt. Du solltest also aufpassen und liegenbleiben."

Ich war immer noch nicht wirklich bei der Sache und musste mich gehörig anstrengen, um sie überhaupt zu verstehen. Ob es nun daran lag, an dem Schmerzmittel oder an Claras monotonem Gerede, ich schlief ein.

Ich wurde erst wieder wach, als das Fenster im Krankenzimmer beunruhigend begann zu quietschen. Ich riss erschrocken die Augen auf und starrte mit klopfendem Herzen zum Fenster. Alles war dunkel und draußen konnte ich nur umherwirbelnde Schneeflocken erkennen. Offenbar war der Wind noch stärker geworden, denn der Rahmen sah sehr ramponiert aus. Ich räusperte mich, meine Kehle fühlte sich wund an.

"Äh...Hallo?", fragte ich in die Dunkelheit hinein. Ich wusste nicht, wo alle waren und hatte Durst. Mir die Augen reibend sah ich mich um. Mir fiel jetzt erst auf, dass mein Blickfeld rechts stark eingeschränkt war. Ich ertastete einen Verband, der meinen Kopf umwickelte und mein rechtes Auge halb verdeckte. Trotz behinderter Sicht entdeckte ich auf meinem Nachtkästchen ein Gerät, das nach Kommunikation aussah. Ich nahm es mit zitternder Hand vom Tisch und stellte schmunzelnd fest, dass es ein Babyphon war. Das war sicher auf Claras Mist gewachsen, auch wenn ich nicht wusste, woher sie die Dinger auf einmal hatte. Da ich nicht wirklich wusste, wie diese Teile funktionierten, sprach ich einfach mal hinein. "Hallo? Ähhh.. ich hab Durst?" "Kommt sofort!", war die Antwort. Grinsend legte ich das Teil zurück und suchte in dem Zimmer nach dem Lichtschalter. Dann stellte ich fest, dass er sich neben der Tür befand und ich noch nicht aufstehen durfte.

Etwas grummelig wartete ich also im Dunkeln auf mein Getränk. Ich erwartete, eine nette Schwester oder Clara oder den Wischmopp zu sehen, also war ich entsprechend überrascht, Angie die Tür aufstoßen zu sehen. Sie schaltete ohne zu zögern das Licht an und während ich verschreckt die Augen zukniff, trippelte sie mit schnellen Schritten zu mir herüber und knallte das Tablett mit dem Wasserglas auf meinen Nachttisch, wobei die Hälfte überschwappte. Sie entschuldigte sich kein Bisschen, genauer gesagt sprach sie kein Wort. Sie starrte nur kurz zu mir herunter und wandte sich dann um, um zu gehen. Noch während sie sich durch das Zimmer bewegte, ging die Tür auf und wir beide erstarrten. Luca blinzelte durch den Türspalt herein und mein Herzschlag beschleunigte sich. Das war bestimmt nicht gut, bei so einer Platzwunde am Schädel.

Gespannt beobachtete ich ihn, wie er die Tür ganz aufstieß und Angie erblickte. Sie hatte ihn natürlich bereits gesehen und lächelte ihn an. Doch als er dies sah, schien ihm der Kragen zu platzen. Mit versteinerter Miene knurrte er: "Was denkst du dir eigentlich? Du bringst Caroline fast um und tust dann so, als wäre nichts gewesen? Denkst du, irgendjemand will noch etwas mit dir zu tun haben? Verschwinde, sofort." Die Kälte in seiner Stimme machte mir Angst, so sprach er sonst nie. Angie war offenbar gleichfalls überrascht wie ich, denn sie erstarrte. Erst nach einigen Sekunden regte sie sich und schlich mit einigen Schritten aus dem Raum.

Dann wandte sich Luca mir zu.

"Hey.", meinte er vorsichtig.

Allein unter Menschen!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt