58 - Die Milchbar
Der Wind pfiff um meine Ohren, als ich beschleunigte. Mein Herz schien aus meiner Brust zu springen. Noch nie hatte ein Leben von mir abgehangen. Jetzt wusste ich, wie man sich fühlen musste, wenn man als erster zu einem Unfallort kam und erste Hilfe leisten musste. Der Druck brachte mich fast um. Die zwei Fellbündel, die ich im Maul trug, wurden bei meinen Sprüngen kräftig durchgeschüttelt. Das Kräftigere, das bereits das Geräusch von sich gegeben hatte, das mich angelockt hatte, fiepte protestierend, doch das andere gab kein Lebenszeichen von sich, was mir wahnsinnige Sorgen machte. Die Überlebenschancen sanken von Minute zu Minute, doch ich traute mich nicht schneller zu laufen, da ich Angst hatte, ich könnte meine beiden Schützlinge verletzen. Als ich schließlich das Haus zwischen den Bäumen hindurchschimmern sah, war ich unglaublich erleichtert, doch noch immer angespannt. Ich schoss durch den Garten und hatte Glück. Hannah stand in der Küche und entdeckte mich mit schreckgeweiteten Augen. Sie öffnete schnell die Tür und ich rauschte immer noch in Wolfsgestalt hinein. Der Kamin brannte glücklicherweise und ich legte die zwei davor auf den Wollteppich ab. Energisch begann ich das Kleine warmzulecken, das sich immer noch nicht rührte. Hannah nahm ebenfalls ihre Wolfsgestalt an und tat das Gleiche bei dem anderen. Der Geruch meiner Panik und Angst lockte sofort die anderen Rudelmitglieder ins Wohnzimmer. Kate und Tom begannen sofort mitzuhelfen, während die meisten anderen mit großen Augen um uns herumstanden und gafften.
Nach einigen bangen Minuten regte sich der kräftigere Welpe und gab winselnde Laute von sich. Es begann auf mich zuzukrabbeln. Ich legte mich vorsichtig auf die Seite und Hannah legte es behutsam an meinen Bauch, wo es sich sofort in mein Fell kuschelte. Doch um das zweite Junge stand es immer noch schlecht, es lag nach wie vor leblos am Boden. Doch dann begann es sich zu regen, was mir wie ein Wunder vorkam. Erleichtert schob ich es zu seinem Geschwisterchen und legte meinen Kopf erschöpft auf den Teppich.
"Ok, was ist hier los?" Die Alphas drängten sich zwischen Tom und Ben hindurch. Mum starrte mich verwirrt an, bis sie die zwei Fellbündel entdeckte. "Du meine Güte. Wo hast du die denn her?" Ich seufzte und erklärte, wo ich sie gefunden hatte. Den Part mit Luca ließ ich weg. Als ich geendet hatte, wandte sich mein Vater meiner Mutter zu. "Aber wie ist das möglich? Junge werden nicht um diese Jahreszeit geboren. Und eine Wolfsmutter würde sie nie zurücklassen. Die einzige Möglichkeit ist, dass sie von Menschen ausgesetzt wurden. Aber was machen wir mit ihnen?" Alle Blicke wandten sich den Welpen zu, die mich mittlerweile in den Bauch bissen. "Wir können sie nicht behalten.", meinte mein Vater plötzlich. Mein Kopf schoss zu ihm herum. "Was?!", knurrte ich aggressiv. "Wir können sie nicht versorgen. In einem Zoo sind sie besser aufgehoben." Ich kniff die Augen zusammen und starrte die Kleinen an. Sie traten mich und quiekten leise, offenbar hatten sie Hunger. Und bei diesem Anblick wusste ich, dass ich sie niemals hergeben könnte. "Aber seht doch nur. Sie halten mich bereits für ihre Mutter! Wir können sie doch nicht einfach in den Zoo geben, wo sie für immer eingesperrt sind!" "Aber hier im Haus können sie auch nicht bleiben." "Wozu haben wir einen Wald hinterm Haus! Bauen wir doch einfach ein Gehege!" "Nur damit sie wieder eingesperrt sind?" "Sie werden nicht eingesperrt sein. Ich werde auf sie aufpassen und mit ihnen in den Wald gehen." "Nun gut, lass es uns erstmal besprechen. Wir überlegen uns was." Meine Mutter klang nicht wirklich überzeugt und ich wusste jetzt schon, dass ihre Antwort negativ ausfallen würde, doch für jetzt begnügte ich mich damit. Mit einem Schnauben rollte ich mich um meine Schützlinge zusammen und schloss müde die Augen. Das ganze Adrenalin war verschwunden und ich war todmüde. Die Alphas schickten die anderen davon und nach einigen Minuten war ich eingeschlafen.
So müde ich auch war, ich wachte sofort auf, als ich spürte, wie die Jungen mich in den Bauch bissen. Ich zuckte zusammen und versuchte sie davon abzuhalten, mir das Fell halb auszureißen, doch sie machten immer weiter. Ich brauchte eine Weile um zu schnallen, dass sie mich gerade als Milchbar anzapfen wollten. Verstört versuchte ich sie leicht wegzustoßen, doch sie klebten praktisch an mir. Die sollten endlich aufhören! Ich war doch keine Kuh! Hallo? Minderjährig und auf KEINEN FALL BEREIT AUSGESAUGT ZU WERDEN?
Ich war kurz davor, einfach aufzustehen und wegzulaufen, als mir Kate Zuhilfe kam. Die Hilfe kam in Form zweier Fläschchen mit Milch darin. Es war keine Kuhmilch, ich wusste auch nicht was Kate da reingetan hatte, doch bei dem Geruch lief mir selbst auch das Wasser im Mund zusammen. Die Jungen waren anscheinend ebenfalls begeistert, denn als ich mir die Flaschen unter den Bauch klemmte, begannen sie wie wild daran zu saugen, wobei die Hälfte davon in meinem Fell und auf dem Teppich kleben blieb. Sobald sie alles ausgeschlürft hatten, schliefen sie sofort ein. Ich atmete erleichtert aus und erhob mich vorsichtig. Sie begannen unruhig zu fiepen, doch ich legte behutsam ein zusammengerolltes Handtuch um sie herum und sie beruhigten sich. Nachdem ich einige Schritte zurückgetreten war, wagte ich es, mich zu verwandeln. Ein wenig wackelig auf den Beinen ließ ich mich auf die Couch fallen und starrte auf das Handtuch-Bündel vor dem lodernden Kamin. Ein Seufzen entfuhr mir. Meine Eltern würden ihnen niemals erlauben, hier zu bleiben. Doch was sollte ich tun? Ich war noch nicht fähig, eine Mutter zu sein. Und die komplette Verantwortung für zwei Welpen zu übernehmen würde zu viel für mich sein. Aber im Zoo wären sie ihr Leben lang eingesperrt und würden niemals die wilde Freiheit und Natur kennenlernen, die ich so liebte. Allerdings konnte ich ihnen etwas geben, das jeder brauchte, Mutterliebe. Doch dort gab es bessere Versorgung für sie, Medikamente, das richtige Futter, Aufpasser rund um die Uhr. Ich hatte keine Ahnung was Wolfswelpen brauchten. Ich war es gewohnt, dass jeder für sich selbst sorgen konnte. Und sollte auch nur einer der beiden sterben, war es komplett meine Schuld. Ich hätte ein Leben beendet, allein durch meine falsche Entscheidung, durch meine fehlende Erfahrung. Mir traten Tränen in die Augen.
Was sollte ich nur tun?
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Wolf fact: Wolfswelpen sind Nesthocker, sie kommen mit verschlossenen Augen und Ohren zur Welt. Sie nehmen ihre Umwelt überwiegend durch Berührungs- Wärme- und Geruchsreize wahr.
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Allein unter Menschen!
Hombres LoboNormal sein ist relativ. Jedenfalls für Caroline. Während andere bei dem Gedanken, ein Werwolf zu sein, vermutlich panisch geworden wären, hatte sie samt ihren drei Geschwistern bereits seit ihrer Kindheit Zeit, sich damit abzufinden. Werwolf von Ge...