54 - Verdächtige Stille
"Hey, warum muss ich eigentlich jetzt das Schwere tragen?", murmelte ich durch ein Maul voll Fell hindurch. Wir waren gerade auf dem Heimweg von unserer Jagd und ich konnte mal wieder das schwere Reh schleppen, während meine Mutter bequem mit dem Kitz in der Schnauze durch den Schnee stapfte. Es war dunkel und ich konnte durch den riesen Fleischhaufen vor mir nichts erkennen. Warum mussten wir das Teil denn auch mitnehmen, für ein Abendessen!
"Na, du bist noch jung und frisch. Ich werde langsam alt und schaffe das nicht mehr." meinte sie amüsiert.
"Hmpf." schnauzte ich sie an, doch sie lachte nur und lief unbeirrt weiter vor mir, in Richtung Haus. Ich dachte schon, wir würden nie ankommen, als ich endlich die Lichter schimmern sah. Ich überholte meine Mutter und stolperte durch den Schnee auf den Parkplatz, wo ich fast ausrutschte. Ich schüttelte mir die Eiskristalle aus dem Fell und blickte zum Fenster im ersten Stock, in dem ich gerade eine Bewegung wahrgenommen hatte. Es war Tom. Er runzelte die Stirn, erkannte was ich im Maul hatte und verschwand. Kurze Zeit später ging die Haustür auf und er stand mit einer Blümchenschürze umgebunden und Messern in den Händen da und versuchte eine Ninja Kampfstellung nachzumachen, wobei er sich ein Messer fast ins Auge stach.
Ich schnaubte nur, wuchtete ihm den Körper entgegen und mit gemeinsamen Kräften schafften wir das Reh in die Küche, wo wir es auf den Tisch wuchteten und uns für die Küchenarbeit fertigmachten. Ich band mir eine Schürze um und Mam meinte, ich solle das Gemüse für die Beilage schneiden und waschen.
Ich machte mich gerade an die Arbeit, als plötzlich jemand schrie: "Esseeeen!" Sophia und Nick kamen mit Anna im Schlepptau durch die Tür gestürmt und wollten sich auf das noch unverarbeitete Fleisch stürzen, als sie von Mams Nudelholz aufgehalten wurden. "Halt. Heute benehmen wir uns mal nicht wie Tiere, sondern braten das anständig." Sie grummelten und machten sich an die Arbeit.
Von dem Geruch angelockt, wollte sich bald das komplette Rudel in die vollgestopfte Küche zwängen. Meine Mutter brachte Ordnung in das Chaos und teilte jedem seine Arbeit zu, sodass wir anständig vorankamen. Mom, Nico, Jake und mein Vater zerschnätzelten das Reh und schnitten es in Teile. Nick, der Arme, musste die Reste entsorgen. Ich hatte selten ein so gutes Teamwork im Rudel gesehen. Alle arbeiteten gemeinsam. Zwischen dampfenden Kochtöpfen, gemeingefährlichen Messern und Fleischabfällen erzählten wir uns gegenseitig Witze und lachten ständig.
Wir brauchten mehrere Stunden, doch schlussendlich verschwanden die mehreren Platten mit Fleisch und Gemüse im Ofen und wir konnten uns ausruhen. Was wir allerdings nicht taten, denn nun wollte sich keiner alleine ins Zimmer setzen. Also pflanzten wir uns ins Wohnzimmer und spielten ein paar Brettspiele, als kämen wir aus dem Mittelalter. Aber es war richtig toll, mal wieder etwas mit meiner Familie zu unternehmen. Ich machte alle beim Mensch ärgere dich nicht fertig, was bestimmt an den unglaublich lehrreichen Spielrunden mit Luca lag.
Wir erinnern uns an den Wutanfall, bei dem ein Viertel der Spielfiguren auf tragische Weise zerstört wurde...
Dafür verlor ich aber ständig beim verrückten Labyrinth. Meine Laune fiel immer weiter, doch als ein köstlicher Geruch von gebratenem Fleisch durchs Haus wehte, hyperventilierte ich fast und raste zum Tisch, wo dann alle losschlemmten. Nach einem kurzen Streit mit Nick um das saftige Bauchfleisch, der damit endete, dass in seinem Gesicht eine gehörige Portion Bratensoße klebte, konnte ich es mir schnappen und hatte es innerhalb weniger Minuten aufgegessen. An diesem Abend fiel mir einmal mehr auf, wie sich die wölfischen Verhaltensweisen immer wieder zeigten. Ständig entstand Streit um die besten Fleischstücke, der nur von meinen Eltern geschlichtet werden konnte, die meisten Rudelmitglieder aßen mit den Fingern und schlangen alles so schnell wie es ging hinunter. Ich selbst hatte auch das Gefühl, irgendjemand könnte mich anspringen und mir mein Abendessen klauen. Trotzdem wurde ich noch satt und als ich später müde ins Bett fiel, war ich wirklich glücklich.
Mein Glück endete abrupt, als am nächsten Morgen mein Wecker klingelte. Stöhnend und genervt rollte ich unter der warmen Bettdecke hervor. Noch nicht ganz da torkelte ich rüber ins Badezimmer, wo ich erstmal gegen den Türrahmen knallte. Mit Sternchen vor den Augen putzte ich mir die Zähne und wunderte mich über Annas Schminkkoffer, der mal wieder alles im Bad blockierte. Er sah seltsam unbenutzt aus. Normalerweise würde meine Schwester jetzt hier stehen und sich alles mögliche Zeug ins Gesicht klatschen, um dann ja in der Schule von allen angestarrt zu werden. Stirnrunzelnd lief ich nach draußen auf den Gang. Hier war es definitiv zu ruhig. Ich schlief von meinen Geschwistern am längsten, sie müssten schon lange auf sein. Immer noch misstrauisch, doch nun langsam auch hungrig - ich wurde in verdächtigen Situationen immer hungrig - schlich ich die Treppen hinunter, auf denen bis auf einige Socken gähnende Leere herrschte. Hatte ich etwa verschlafen? Was war denn hier los?
Ich hatte nun das Erdgeschoss erreicht und schlich in die Küche, aus der ich verdächtige Geräusche vernahm. Ich sprang durch den Türrahmen und erblickte... Nick.
Verdutzt starrte ich auf das, was er im Mund hatte. "Sind das ernsthaft diese Stäbe worauf Hunde immer rumkauen?" Er lief rot an und wischte die Pedigree Verpackung vom Tisch. "Zugegeben, sind sie. Aber die sind voll lecker! Probier mal!" Er warf mir einen Stab zu und ich roch kurz daran. Zugegeben, es roch nicht schlecht, allerdings wollte ich es nicht wirklich essen. "Nein Danke..." murmelte ich und sah mich um. "Was ist hier eigentlich los?" Nick verschluckte sich an seinem Hundeleckerli. "Ernsthaft? Du verschläfst aber auch alles. Heute beginnen die Weihnachtsferien, du Dummkopf! Alle schlafen noch, es ist gerade mal sieben Uhr!" Jetzt ging mir ein Licht auf. Wie konnte ich nur die Ferien vergessen!
"Ahh... Danke Hundekopf!" "Hey!" Ich kicherte nur und lief wieder die Treppen nach oben. Schlafen könnte ich jetzt nicht mehr, also beschloss ich, mal wieder ein Bad zu nehmen und es auszunutzen, dass mich keiner störte. Ich schloss die Tür ab, ließ Wasser in die Wanne und kippte verbotenerweise Kates teure Badeöle hinein. Nachdem ich mit meinem Seifencocktail fertig war, ließ ich mich selbst in die Wanne fallen und tauchte unter. Wohltuende Wärme umschloss mich. Ich wurde schläfrig und schloss die Augen.
Es gibt nichts schöneres, als ungestört wie eine Wasserleiche im warmen Wasser herumzudümpeln.
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Wolf fact: Die Reviergröße eines Rudels hängt vom Beutevorkommen ab. Gibt es viel Beute, kann ein Territorium 50 km2 messen, bei wenig Nahrungsangebot kann es bis zu mehreren 1000km2 groß sein. Zum Vergleich: Das Bundesland Vorarlberg (AUT) ist 2600 km2 groß._______________
Haha mir ist grad nix anderes außer Vorarlberg eingefallen xD googelt es einfach :) Ich hatte heute meine zweite Fahrstunde und hab niemanden umgebracht *stolz sei*
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Allein unter Menschen!
LobisomemNormal sein ist relativ. Jedenfalls für Caroline. Während andere bei dem Gedanken, ein Werwolf zu sein, vermutlich panisch geworden wären, hatte sie samt ihren drei Geschwistern bereits seit ihrer Kindheit Zeit, sich damit abzufinden. Werwolf von Ge...