5 | 2. Kapitel

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"Du kannst nicht schon wieder so lange hier sitzen bleiben." Von hinten wurde mir eine Decke um die Schultern gelegt und Sirius ließ sich auf der Stufe neben mir nieder. Sein schwarzes Haar stand ihm wirr vom Kopf ab, als wäre er aus dem Schlaf gerissen noch einmal aufgestanden.

Ich zog die Decke enger um mich und schloss erschöpft die Augen. "Wer sagt, dass ich jeden Abend hier sitzen würde?"

"Mal abgesehen davon, dass ich dich kenne, ist dies mein Haus. Ich weiß, was wann passiert." Er gähnte. "Seit der Ankunft deines Bruders, deiner Weigerung auf Molly zu hören, ist inzwischen eine Woche vergangen. Ich weiß, auf wen du wartest. Aber er wird nicht eher kommen, nur weil du schlaflose Nächte hinter dich bringst und jeden Abend im Hausflur sitzt. Geh zu Bett, Mary."

Bei diesem neuen Spitznamen seinerseits verzog ich missmutig mein Gesicht und schlug die Augen erneut auf, um ihn anzusehen. "Das ist einer der Punkte, wegen denen ich mit dir reden wollte."

Der Mann machte ein unschuldiges Gesicht, zog das eine Bein an den Körper und drehte sich so, dass er sich mit dem Rücken gegen die Wand lehnen konnte. Direkt unter den abgeschlagenen Kopf eines Hauselfen, der in einem Gefäß an der Wand hing. "Schieß' los. Geht es wieder um deinen wunderbaren neuen Look?"

"Nein." Ich schüttelte den Kopf, dennoch wanderte meine Hand unaufgefordert zu der goldrot geflochtenen Strähne. "Du weißt sehr wohl, um was es mir geht. Harry. Es geht um ihn."

Sirius seufzte und richtete den Blick zur Decke. Offenbar hatte er beschlossen, sich nicht länger unwissend zu stellen, denn er sagte düster: "Ich mag dir mein Wort gegeben haben, aber dein Bruder tut mir leid. Ich würde ihm gerne ein wenig Hoffnung geben. Weißt du, was in der Nacht auf dem Friedhof geschehen ist?"

Perplex über den plötzlichen Themenwechsel schüttelte ich den Kopf: "Ich habe nie mit ihm darüber gesprochen. Er hat mit der Anhörung und der Sorge über den dunklen Lord schon genug am Hals. Außerdem habe ich mir vorgenommen, mich von ihm fernzuhalten. Zu seinem und meinem Schutz."

"Nur das dieser -" Mit den Fingern machte er Anführungszeichen in die Luft: "- Schutz, keinen von euch beiden glücklich macht. Du weißt, dass es einen Zauber gibt, um nachvollziehen zu können, welche Magie mit einem Stab vollzogen wurde?" Ich neigte zögernd den Kopf. Worauf wollte er hinaus? "Priori Incantatem. Ich weiß nicht, wie es zur Wirkung dieses Zaubers gekommen ist, jedenfalls sah Harry in jener Nacht die vergangenen Morde Voldemorts. Bis hin zu euren Eltern. Ahnst du, was ihn irritiert hat?"

Schwer schluckte ich und krallte meine Finger fester in das smaragdgrüne Stück Stoff. "Er hat unsere Eltern gesehen, aber nicht seine Schwester. Mariah Elisabeth Potter starb nie durch die Hand des dunklen Lords ...", sagte ich langsam. Tief atmete ich durch und wagte es kaum, Sirius in die Augen zu sehen, aus Angst eine Bestätigung zu erhalten. "... ich lebe."

"Ja, du lebst. Und Harry weiß es. Beziehungsweise vermutet er es. Er hat mir erzählt, dass er alles dafür tun wird, seine Schwester zu finden. Dich zu finden."

Ich spürte seinen väterlichen Blick auf mir ruhen, wich ihm jedoch aus. Bis mir auf einmal ein viel schrecklicherer Gedanke kam. "Wenn Harry es ahnt, was ist dann mit dem dunklen Lord?", fragte ich panisch und sprang auf. Ich machte mir kaum mehr die Mühe, meine Stimme zu dämpfen: "Bei Merlin – er ist der Einzige, der in jener Halloween Nacht anwesend war. Er wird wissen, dass ich noch lebe. Und ich Idiotin habe mir meine Haare wieder rot gefärbt. Jetzt sehe ich doch noch mehr aus wie meine Mutter!"

Hysterisch fuhr ich mit beiden Händen durch mein lockiges Haar, wobei die Decke wie ein Schleier zu Boden fiel. Sirius war ebenfalls aufgestanden und legte mir nun beide Hände auf die Schultern, unbeeindruckt von meinen halbherzigen Versuchen, meine Wanderung erneut aufzunehmen und mich somit von ihm zu befreien. "Du musst dich beruhigen. Wenn du darüber geschlafen hast, wirst du, wie ich, zu dem Schluss kommen, dass er es nicht wissen kann. Du warst damals ein Baby und so gut wie alle in unserer Welt halten dich für tot."

Er hatte recht. Zumindest mit dem Teil, dass ich unausgeschlafen war. "Wer sagt mir, dass er zu denjenigen gehört, die diesem Gerücht glauben schenken?", fragte ich zweifelnd und gab meine Abwehrversuche auf.

Die Geräusche in diesem Haus schienen mit einem Mal unnatürlich deutlich an meine Ohren zu dringen, während ich Sirius ins Gesicht sah. Das Knarren einer Diele in einem der oberen Stockwerke, ein Rascheln an der Fußleiste und die tiefen Atemzüge meines Gegenübers, der nun seinerseits meinem Blick auszuweichen schien. "Der dunkle Lord hat kein Interesse an dir." Mit einem weiteren Gähnen streckte er sich, um die Decke vom Boden aufzulesen und sie erneut um meine Schultern zu drapieren. "Ich meine es ernst, Mariah. Du solltest schlafen gehen. Dein Vater -" Missmutig verzog er das Gesicht bei dieser Bezeichnung: "- wird heute Abend nicht mehr auftauchen. Rede mit deinem Bruder. Mach ihm Mut für die Anhörung."

An Sirius' Seite lief ich die schier endlosen Stufen hinauf, bis zu meinem Zimmer. Es war einen Stock höher gelegen als das von Harry und Ron und lag somit gegenüber dem von Ginny und Hermine. "Wenn er nicht nach Hogwarts zurückkehren würde, gäbe es eine Sorge weniger für mich", flüsterte ich und senkte den Blick. Tatsächlich hegte ich den Gedanken schon seit der Nacht, in der wir die Nachricht über den Dementorenangriff auf Harry erhalten hatten.

"Dein Bruder, ungeschützt in der Welt der Muggel? Das wäre ein Geschenk für Voldemort." Ein leiser Vorwurf klang in seiner Stimme mit.

Besorgt warf ich einen Blick hinüber zum Zimmer der anderen beiden Mädchen, bevor ich wieder den Paten meines Bruders ansah: "Als ob du Harry ungeschützt auf der Straße stehen lassen würdest. Er würde hier leben und ehrlich gesagt frage ich mich, wo es sicherer für ihn sein könnte? Du wärst glücklich, ihn die gesamte Zeit um dich zu haben."

Mit einem unterdrückten Knurren, welches mir deutlich machte, dass ich mit meiner Vermutung nicht vollkommen falsch lag, drückte er die Türklinke zu meinem Zimmer hinunter und bedeutete mir, einzutreten. Bevor er sie wieder schloss, sagte er ernst: "Wenn Voldemort doch deine wahre Identität erfahren sollte, wärst du in seinen Händen das perfekte Druckmittel. Harry liebt seine Schwester, das ist sehr deutlich, und nicht einmal ich könnte ihn davon abhalten zu versuchen, dein Leben zu retten. Unausgebildet und ohne einen Zauberstab würde er damit ein Selbstmordkommando starten."

Heftiger als nötig zog er die Tür ins Schloss und ließ mich alleine. Gequält von Selbstvorwürfen über solche Gedanken und der Angst vor einer weiteren, Albtraum geprägten Nacht.

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt