6 | 14. Kapitel

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Erleichtert endlich im Warmen zu sein, streifte ich mir zwei Minuten später den nassen Schal ab und hängte ihn zusammen mit meiner Mütze neben mich über die Stuhllehne. Noreen schien ähnlich durchgefroren wie ich. Sie hatte sich bereits auf den Stuhl mir gegenüber fallengelassen und versuchte gerade verzweifelt mithilfe ihres Zauberstabs den Schnee aus ihren Haaren zu bekommen.

"Das bringt doch nichts." Ich hatte mich bewusst für den Platz mit dem Rücken zur Wand entschieden, damit ich den ganzen Schankraum im Blick hatte. Außer uns waren nur wenige Zauberer anwesend, auch Harry, Ron und Hermine hatten es noch nicht bis hierhergeschafft. Vermutlich diskutierten sie draußen vor der Tür noch mit Tonks über mein seltsames Verhalten. Doch leider war das Fenster vom Schneegestöber draußen blind, weshalb ich meine Vermutung nicht überprüfen konnte. "Willst du ein Butterbier?"

Meine Freundin nickte, noch immer mit ihrem Haar beschäftigt. Vielleicht war es besser so. Eine Person weniger, die mich beobachten konnte.

Mit einem Schlenker meines Zauberstabs trocknete ich meinen durchweichten Umhang, was bei Stoff deutlich einfacher war als bei Haar, dann durchquerte ich den Raum, um mich an die einladende Theke zu stellen.

Es war verstörend, wie anstrengend einem jeder einzelne Schritt vorkommen konnte, wenn dich dein ganzes Inneres anschrie wegzulaufen. Ich biss mir auf die Unterlippe. Das Einzige, was mich in diesem Moment wirklich dazu bewegte, einen Fuß vor den anderen zu setzen, war der Gedanke an den dunklen Lord und seinen Zorn, sollten Draco und ich versagen. Wir wären tot. Dennoch machte es die Sache nicht gerade besser.

In meinem Umhang griff ich nach meinem Zauberstab, schloss die Finger fest um das schmale Stück Holz. Was, wenn gerade heute Auroren in Hogsmeade waren, sich vielleicht ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt in diesem Pub aufhielten? Würde Tonks versuchen, mich festzuhalten, falls sie begriff, was ich getan hatte? 

Mit einem hastigen Kopfschütteln streifte ich den Gedanken ab. Bisher hatte ich nichts verbrochen, wofür man mich bestrafen konnte. Zumindest, wenn man das schwarze Tattoo auf meinem Unterarm außer Acht ließ.

Am Tresen angelangt setzte ich mein schönstes Lächeln auf und nickte dem Mann neben mir zu, der, ganz vertieft in seinen Propheten, nur kurz aufschaute, um sein eigenes Getränk in Empfang zu nehmen. Ich erhaschte einen Blick auf einen Artikel, welcher in großen Buchstaben vor erneuten Sichtungen bekannter Todesser warnte. Nichts Neues, bescherte es mir dennoch jedes Mal eine Gänsehaut, dachte ich daran, dass vielleicht irgendwann mein Gesicht zwischen denen Bellatrix' und Greybacks abgebildet sein würde.

"Was kann ich für dich tun, meine Liebe?" Überrumpelt sah ich die blonde Hexe an, was sie mit einem geduldigen Lächeln quittierte. "Einmal Butterbier?"

"Zweimal", korrigierte ich sie, kämpfte darum, meine Konzentration zurückzuerlangen. 

"Soll noch etwas dazu?"

Abgelenkt schüttelte ich den Kopf und kramte unterdessen in meinen Taschen nach etwas Geld. Ich musste sie alleine erwischen. Hier vor aller Augen konnte ich sie unmöglich mit einem Imperius-Fluch belegen. Fieberhaft dachte ich über eine Möglichkeit nach, als mein Blick auf zwei Gläser zu meiner Linken fiel. Vielleicht konnte ich -

"Ups ..." Gespielt erschrocken riss ich die Augen auf. Unter einem Vorwand hatte ich es geschafft, gegen die Gläser zu stoßen, worauf sie laut klirrend zu Boden gefallen waren. Durch das laute Stimmengewirr war dies jedoch kaum jemandem aufgefallen, nur der Zauberer neben mir blickte von seiner Zeitung auf, während Madam Rosmerta geschäftig um den Tresen herumeilte. "Das tut mir so leid!" Hastig bückte ich mich hinunter, bevor die Hexe mich erreichen konnte und rammte mir dabei wie durch Zufall eine der Glasscherben in die Handseite hinein.

Es begann augenblicklich zu bluten und der entstandene Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen. Ich blinzelte sie weg. Ich hatte einen Cruciatus des dunklen Lords überstanden, hatte mein Mal empfangen, da sollte ich mit so ein bisschen Glas doch locker umgehen können!

"Ach, Mädchen." Madam Rosmerta war bei mir angelangt und entfernte mit einem Schwung ihres Zauberstabs die Sauerei am Boden. "Du hättest mich das machen lassen sollen. Wofür gibt es Magie? Jetzt hast du dich verletzt." 

Ich nickte. Sonderlich anstrengen musste ich mich nicht einmal, um mein Gesicht schmerzerfüllt zu verziehen, sobald sie mich vorsichtig am Ellenbogen hochzog. Egal was ich mir vormachte, es tat höllisch weh. Vielleicht sollte ich mir bei Gelegenheit einige Heilzauber aneignen. Oder vorher nachdenken, ehe ich mich selbst verletzte.

"Zeig mal her -" Resolut griff Madam Rosmerta nach meinem Handgelenk und dirigierte meine Hand so, dass sie die Verletzung inspizieren konnte. Dabei verrutschte mein Ärmel ein wenig, was mir beinahe das Herz in die Hose rutschen ließ. Zu meinem Glück, ließ sie meinen Arm aber auch gleich wieder los, weshalb ich ihn unauffällig wieder hinunterziehen konnte. Sie hatte bestimmt nichts gesehen. "Ich habe hinten einige Mullbinden im Lager. Wir sollten das Glas entfernen und die Wunde reinigen." Mit einem Kopfnicken bedeutete sie mir, ihr hinter den Tresen zu folgen. Ihr Lächeln war herzlich, vergrößerte mein schlechtes Gewissen für das, was ich im Begriff war, ihr anzutun. "Ich war nie sonderlich gut in der Schule, musst du wissen, und habe auch bei den Heilzaubern nicht das größte Talent. Vermutlich würde deine Hand danach nicht viel besser aussehen."

"Vielen Dank für ihre Hilfe, Madam Rosmerta." Mein schlechtes Gewissen war unendlich. Kurz bevor ich die Schwelle zum Lager überschritt, sah ich noch einmal zurück in den verräucherten Pub. Der Zauberer hatte seine Aufmerksamkeit zurück auf den Propheten geschwenkt und Noreen konnte ich von meinem derzeitigen Standort aus auch nicht sehen. Gut so. Eine Sorge weniger.

Im selben Moment, da ich die Tür des Lagers hinter mir schloss, ging die Eingangstür auf und ein Schwall Schnee wurde hereingewirbelt. Ich sah nicht mehr, wer hereinkam. 

"Du musst die Tür nicht schließen, Liebes. Wir wollen uns nur rasch um deine Hand kümmern." Geschäftig lief sie an einigen Kisten vorbei, bis hin zu einem kleinen Schrank an der rückwärtigen Wand. 

Gequält schloss ich die Augen. Ich wollte, musste auf Nummer sicher gehen. "Muffliato", flüsterte ich, gerade so laut, dass sie mich hören konnte. 

"Was hast du gesagt?"

Ich seufzte. "Es tut mir so unheimlich leid."

"Was tut dir leid?" Mit gerunzelter Stirn wandte sie sich zu mir um. In der Hand hielt sie einige weiße Binden. "Ich habe dir doch schon gesagt - so schlimm ist es nicht. Die Gläser sind doch wieder heil und ich bin sicher, Madam Pomfrey oben im Schloss wird auch deine Hand ohne Probleme wieder herrichten können. Du wirst sehen, es werden nicht einmal Narben verbleiben."

Eilig trat ich näher auf sie zu, schlängelte mich wie sie zuvor zwischen den verteilt stehenden Kartons hindurch. Vielleicht bemerkte sie die Veränderung in meiner Stimmung, vielleicht schlugen jedoch in diesem Moment auch ihre eigenen Sinne Alarm, denn sie wich zurück und zog ihren Zauberstab. 

"Wer sind Sie?", fragte sie. 

Ich war sicher, wenn ich ihr die Chance gab, würde sie mir ohne zu zögern einen Fluch auf den Hals hetzen. Mit einem Schlenker meines Zauberstabs entwaffnete ich sie. Meine Hände zitterten. Ob wegen des stetig aus meiner Hand fließenden Blutes oder einem anderen Grund, konnte ich nicht sagen.



Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt