5 | 26. Kapitel

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Draco verschwand, wie auch ursprünglich geplant, bereits am nächsten Morgen zu seinen Eltern. Bisher hatte ich es immer vermeiden können, doch tatsächlich war ich die einzige meines Hauses, die zurückgeblieben war. Selbst mein Bruder war zusammen mit Hermine und den Weasleys nach London gefahren. Nun war niemand mehr da, der mich von meinen stumpfsinnigen Gedanken abbringen könnte, denn auch mein Ziehvater war ziemlich oft in Ordensangelegenheit unterwegs.

Tag ein, Tag aus wanderte ich meinen einsamen Weg durchs Schloss. Sollte tatsächlich der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass mir jemand über den Weg lief – nicht selten war das auch Umbridge persönlich – drückte ich mich rasch in einen Geheimgang und änderte meine Richtung. 

Das Laufen half einigermaßen. Es half mir dabei, meine Gedanken zu ordnen und bereits Ende der Ferien war ich mir sicher, dass ich meinem Vater bezüglich des dunklen Lords vertrauen konnte. Das Argument, er wolle mich schützen, galt inzwischen nicht mehr und abgesehen davon konnte ich mir auch keinen vernünftigen Grund ausmalen, wieso ich ihm meine Audienz machen sollte. Der dunkle Lord war nicht allmächtig und meine Paranoia in diese Richtung schon beinahe krank geworden. 

Einen ersten Dämpfer erhielt diese neu gewonnene Ruhe jedoch bereits am ersten Schultag nach den Ferien. Es hätte mich nicht mehr wundern oder gar ein Schock sein sollen, dennoch schluckte ich mehrmals, sobald ich an diesem Morgen den Tagespropheten auffaltete. 

Zehn Fotos prangten auf der Titelseite, neun Zauberer und eine Hexe. Ich brauchte die Namen unter den Bildern nicht zu lesen oder mir ihre Gesichter näher anzusehen, um zu wissen, dass all dies Todesser waren. Ein Schrei ließ mich abrupt auffahren. Ich stieß mein Glas Kürbissaft um und suchte hastig nach dessen Ursache.

"Die kleine Schlammblüterin hat wohl gerade ihre Zeitung erhalten", schnarrte Draco abfällig, nach außen unbekümmert über die Nachricht des Massenausbruchs. Ich verzichtete darauf, ihn zu tadeln. Mir war es sicherlich nicht gleichgültig geworden, welche Ansichten er vertrat, aber zum einen lagen dunkle Ringe unter seinen Augen, eine mehr als deutliche Kunde davon, dass er in den Ferien wohl genauso viel Schlaf bekommen hatte wie ich, und zum anderen fesselte mich der Anblick eines überaus bekanntes Gesicht.

Ihr dunkles Haar war zottelig, der Blick unter schweren Lidern hervor war hasserfüllt und um ihre schmalen Lippen spielte ein leises, verächtliches Lächeln. Gleichwohl konnte man immer noch ihre ehemalige Schönheit erahnen. Dieselben altreinblütigen Züge, die auch Sirius besaß. Die Bildunterschrift lautete: Bellatrix Lestrange, verurteilt wegen Folter verbunden mit dauerhafter schwerer Gesundheitsschädigung von Frank und Alice Longbottom.

"Wusstest du davon?", fragte ich ihn leise. Der Blick, den er mir daraufhin schenkte, war eine mehr als eindeutige Antwort, allerdings wusste ich nicht, inwieweit ich diesem Glauben schenken konnte. "Wirklich nicht? Du hast die ganzen Ferien nichts aufgeschnappt?"

Er verengte die grauen Augen zu Schlitzen, musterte mich kurz, dann konzentrierte er sich demonstrativ auf sein Frühstück. "Sollte mein Vater auch nur die geringste Kenntnis einer solchen Planung gehabt haben, hat er mir davon nicht berichtet."

Das zehn der gefährlichsten Mitglieder der magischen Gesellschaft aus Askaban ausgebrochen waren und nun die Reihen des dunklen Lords verstärkten, bestärkte mich nur in meinem Entschluss, eine klare Grenze zwischen mir und meinem Bruder zu ziehen. Wenn es sich im Unterricht nicht vermeiden ließ, arbeitete ich still neben ihm her und antwortete ihm auch auf neutrale Fragen, doch selbst ging ich nie auf ein direktes Gespräch ein. Ich sah Ron und ihn tuscheln, ungewöhnlich oft abends in den Korridoren herumschleichen und mit Mitgliedern der anderen Häuser korrespondieren, fragte mich sogar teilweise, ob er dies wirklich für unauffällig hielt. Meist wandte ich diesen Fragen dennoch gleich wieder den Rücken.

Noreen gelang es, unsere Beziehung zueinander wieder zum Besseren zu kehren und im Großen und Ganzen musste ich wahrlich sagen, dass dieses Jahr zwar mit Sicherheit nicht das beste, aber bestimmt eines der angenehmsten war, zumindest mein Schulleben betreffend. Meine anfänglichen Befürchtungen, aufgrund meines nächtlichen Aussetzers als unzurechnungsfähig angesehen zu werden, verstreuten sich sehr bald im Wind und solange ich mich wirklich nur unter Mitgliedern meines Hauses befand, lachte ich mehr als früher und stellte mich auch gerne mal für fünf Minuten in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Spätestens als wir das Spiel gegen Hufflepuff gewannen, waren alle Vorbehalte mir gegenüber vergessen und auch unsere Bedenken wegen der Welt dort draußen – die ja vollkommen sicher war, wie Umbridge stur zu sagen pflegte – legten sich wieder. Einige wenige von uns, darunter auch ich, konzentrierten sich jetzt schon darauf, für die Z.A.G. Prüfungen zu lernen und saßen bis zur Sperrstunde, manchmal auch länger, in der Bibliothek.

Ein neuerlicher Schrei der Entrüstung ging durch die Reihen Slytherins, sobald im Februar ein Artikel im Klitterer erschien, in dem Harry ziemlich freigiebig über die Ereignisse in der Nacht der dritten Aufgabe berichtete und darunter die Väter vieler von uns Slytherins öffentlich als Todesser anklagte. Natürlich verbot Umbridge den Artikel, womit sie schlussendlich nur dafür sorgte, dass auch noch der letzte Depp in Hogwarts ihn gelesen hatte.

So wunderte es mich auch kaum, dass Draco nicht der Einzige war, der unheimlich begeistert von der Idee war, sich im Frühjahr dem Inquisitionskommando anzuschließen, mit dem auch besondere Privilegien verbunden sein sollten. Mein Freund wusste nichts von der Narbe auf meinem Handrücken, die, nach Aussetzen der Strafarbeiten vor zwei Monaten, beinahe vollständig verblasst waren, und versuchte mich so ebenfalls dazu zu überreden, diesem elitären Club beizutreten. Ganz im Gegensatz zu Noreen, die mich angeschaut hatte, als wäre ich vollkommen übergeschnappt, sobald sie von meinen Überlegungen, der Aufforderung nachzukommen, erfahren hatte. 

"Diese Frau ist nicht gut", hatte sie gesagt und hatte dabei mit der Wahrheit etwas untertrieben. "Sie hat versucht Trelawney zu feuern und hat einfach so Dumbledores Platz eingenommen. Ich weiß, dass die Weigerung des Ministeriums, Voldemorts Rückkehr ernst zu nehmen, vielen von unseren Familien Sicherheit gewährt und uns vor unerwarteten Hausdurchsuchungen oder Befragungen zugunsten der angeblichen Sicherheit bewahrt, aber deshalb muss ich das doch nicht gutheißen? Du kannst ihr doch jetzt nicht auch noch helfen wollen?"

Meine Antwort war nur ein trockenes, "Vorsicht", gewesen. "Du kannst nie wissen, ob die Wände wieder einmal Ohren besitzen."

Gedankenversunken strich ich über die in meine Hand eingeritzten Worte. 'Ich muss wissen, wem ich zu gehorchen habe.'  Vielleicht waren sie es, die mich tatsächlich dazu bewegt hatten, jetzt hierherzukommen, die mich an meine Pflicht erinnert hatten und an meinen wahren Namen. Mich dazu verführt hatten, Noreens Warnung in den Wind zu schlagen. 

"Kommst du?" Dracos Finger verharrten kurz bevor er anklopfen konnte, während er mich ansah. "Das ist deine Möglichkeit, dich gut mit ihr zu stellen", erklärte er sanft. "Dich in Sicherheit zu bringen."

Tief durchatmend nickte ich, doch kaum waren wir in ihr Büro getreten, bereute ich diese Entscheidung schon fast wieder. 

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt