5 | 40. Kapitel

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Hogwarts bot einen wunderschönen Anblick, wie es dort hoch über dem schwarzen See aufragte. Das musste ich selbst in meinem jetzigen Zustand zugeben. Selbst nach fast fünf Jahren empfand ich das Schloss immer noch als mein Zuhause, egal was bisher dort alles vorgefallen sein mochte. Wie kleine Kerzen schienen mir die hell erleuchteten Fenster den Weg weisen zu wollen, begrüßten mich mit ihrem freundlichen Licht.

Aber mir war klar, dass ich es niemals den gesamten Weg hinauf schaffen würde. Meine Muskeln streikten jetzt schon, waren heute bei weitem überstrapaziert worden. Die Nachwirkungen des einzelnen Cruciatus steckten mir noch immer in den Knochen, sogar meine Hand hatte ihr unkontrollierbares Zucken nicht aufgegeben, als ich sie hob, um mir mit dem Handrücken das nasse Blut von der Wange zu wischen.

Etwa zwei Meter vom Schlosstor entfernt, knickten meine Beine schließlich ein. Es war beinahe eine Erlösung. Hier standen die Chancen höher, irgendwann gefunden zu werden als hinten am Rande eines der Hügel, in deren Höhlen sich Sirius einst versteckt hatte. Sirius. Ich wagte es nicht einmal zu weinen, seinen Tod zu betrauern, denn das würde heißen, er wäre real. Tatsächlich war ich im Kampf mit den beiden Todessern schlimmer verletzt worden, als ich zunächst gedacht hatte. Mit etwas Glück hatte ich Wahnvorstellungen gehabt.

Seufzend wollte ich mich etwas aufrichten und nach meinem Zauberstab greifen, um meine feuchten Sachen etwas trocknen zu können, doch ernüchtert musste ich feststellen, dass beides nicht ging. Mein Zauberstab. Mein Haselstab. Noch so eine Sache, die ich verloren hatte. Später würde ich ihn vielleicht betrauern. Auch meinen Ziehvater hatte ich wohl in dieser Nacht endgültig verloren. Ein weiteres Mal würde ich ihm wohl nicht verzeihen können. Diese Lügen, ja beinahe schon diesen Verrat. Am heutigen, beziehungsweise am gestrigen Abend hatte sich mein Leben um hundertachtzig Grad gedreht und doch war ich entschlossen, nicht von diesem Weg abzuweichen.

"Caitlyn. Bei Merlins Bart."

Erschrocken zuckte ich hoch. Stöhnte auf vor Schmerzen und versuchte angestrengt, meine Augen zu öffnen. Ich hatte erneut sämtliches Zeitgefühl verloren. Es könnten Stunden gewesen sein, in denen die Lichter im Schloss nach und nach erloschen waren. Sie brannten nur noch vereinzelt, reichten nicht mehr aus, um viel erkennen zu können. Die Sterne am Himmel waren von schweren Wolken verhangen, der Mond schon lange nur noch ein vager Umriss.

"Caitlyn!" Ich wurde an der Schulter gepackt und auf den Rücken gedreht. Zwei besorgt dreinblickende Augen musterten mein Gesicht, eine Hand strich mir vorsichtig das verklebte Haar aus den Augen. "Oh, Merlin. Wer hat dir das angetan?" Mir war klar, dass Lupin auf den langen tiefen Schnitt auf meiner Wange anspielte. Sein Blick war vollends darauf fixiert. "Nein, bleib liegen", sagte er bestimmt, drückte mich zurück auf den eiskalten Boden, als ich mich unter Qualen rühren wollte. "Du bist jetzt in Sicherheit."

Ich erwachte erst wieder im Krankenflügel, dick in weiße Laken gehüllt. Mir war schwindelig. Die Sonne schien hell ins Zimmer und als ich den Kopf drehte, sah ich Draco neben mir am Kopfende auf einem kleinen Hocker sitzen. Er hatte die Augen geschlossen, den Kopf an die Wand gelegt und den Mund leicht geöffnet. Seine tiefen Atemzüge beruhigten mich und lullten mich ein, daher dauerte es nicht lange, bis ich wieder ins Reich der Träume fand.

"Wollen sie ihr die wegmachen?" Eine Hand strich sanft über meine Wange, berührte den Schorf, der sich auf der Haut gebildet hatte. Unwohl verzog ich das Gesicht. "Hey. Caitlyn. Du bist wach."

"Natürlich bin ich wach, Draco. Aber wieso ..."

Er unterbrach mich unsanft. "Öffne bitte die Augen."

Ich tat, worum er mich bat und blickte in seine grauen Augen. Malfoy Augen. So viel Schönes verband ich mit ihnen, aber auch so viel Schreckliches aus dem Ministerium. Mr. Malfoy würde mein Schwiegervater werden. Die Erkenntnis traf mich unsanft, rann mir kalt den Rücken hinab. "Also, Madame Pomfrey, können sie?"

Langsam wandte ich den Kopf zur anderen Bettseite, an der die Krankenschwester stand, die Stirn in nachdenkliche Falten gelegt.

Ehe sie den Mund öffnen konnte, verneinte ich. "Ich möchte die Narbe nicht entfernen lassen."

"Wieso? Madame Pomfrey ist sehr fähig, sie könnte es doch bestimmt wenigstens versuchen."

Draco strich mir über den Kopf, doch ich schüttelte seine Hand ab. "Entweder du nimmst mich mit Narbe oder gar nicht. Einen Mittelweg gibt es nicht." Ich hatte ihn angemotzt, klang zickiger, als eigentlich fair war, aber ich wollte diese Verletzung nicht einfach ausradiert haben. Sie würde eine Erinnerung sein. Ein Beweis, wofür ich in Zukunft kämpfte.

"Keine Sorge, Liebes. Ich werde nichts ohne ihr Einverständnis machen." Die Schwester sah meinen Freund an. "So ungern ich es zugebe, Mr. Malfoy, selbst wenn sie die Narbe entfernt haben wollte, würde ich ihr den Wunsch nicht gewähren können. Fluchnarben, wie diese hier, sind unheilbar."

Obwohl ich so fest entschlossen war, diese Zeichnung zu behalten, trafen mich diese Worte doch. Wie viele bleibende Verletzungen würde ich in dieser Welt, in diesem kommenden Krieg gegen den dunklen Lord noch erleiden müssen? Was würde verheilen und was würde mir bis in alle Ewigkeiten anhaften?

Mit leise geflüsterten Worten stellte Madam Pomfrey eine kleine Phiole auf mein Nachttischchen, dann verschwand sie, ließ Draco und mich alleine. 

Schweigen trat ein. Drückendes, angespanntes Schweigen, von dem wir beide wussten, dass wir es bald brechen mussten. Mein Freund sprach als erstes: "Du weißt es also?"

"Ist schwer, es nicht zu wissen." Ich starrte auf die blütenreine Decke. "Weißt du, ich hätte mir einfach gewünscht, du hättest es mir gesagt. Das hier -" Gedankenverloren berührte ich das silberne Armband an meinem Handgelenk, betrachtete die teuren Smaragde. "- es war grauenvoll über seine Bedeutung von meinem zukünftigen Schwiegervater aufgeklärt zu werden. Wieso konntest du es mir nicht einfach sagen?"

Eine Hand stahl sich in mein Blickfeld, nahm meine Hand in seine, strich mit kühlen eleganten Fingern ebenfalls über das Silber. "Hättest du denn angenommen?" Stumm harrte ich auf, bis sich ebenjene Finger unter mein Kinn legten und es sanft empor drückten. "Hättest du?" Grau traf auf braun, verknüpfte sie. Es bedurfte keiner Worte von mir, um ihm mitzuteilen, was ich dachte. "Siehst du. Das Armband kann dir Schutz gewähren, wenn ich nicht anwesend bin. Darin ist nicht unbedingt impliziert, dass du meine Frau wirst. Ich weiß nicht einmal, ob ich schon bereit für eine Familie wäre. Du verlierst nicht deine Freiheiten, nur weil du es trägst. Wäre dies der Fall, wärst du überhaupt nicht in der Lage gewesen, mich ..."

"... dich in Umbridges Büro zu schocken?" Mit einem Seufzen fragte ich: "Was ist eigentlich in der letzten Nacht passiert? Was ist mit euch passiert? Was ist mit Umbridge?"

"Dumbledore ist noch in derselben Nacht zurückgekehrt. Keine Ahnung, was er gemacht hat, aber er konnte Umbridge zurück aus dem Wald holen. Scheinbar ist sie von Zentauren verschleppt worden." Draco nickte zu einem der Betten an der gegenüberliegenden Wand. "Ich habe mir so unendliche Sorgen gemacht. Meine Mutter hat mir geschrieben. Das Ministerium habe Vater inhaftiert und du kehrtest nicht mit den anderen nach Hogwarts zurück. Du warst einen vollen Tag und eine volle Nacht verschwunden."

Seine Ausführungen schockten mich. So lange? Ich hatte eine ganze Nacht draußen vor den Toren des Schlosses verbracht? "Was ist mit meinem ..." Ich schluckte angestrengt. Obgleich sich längst kein Blut mehr in meinem Mund und meinem Hals befand, fiel es mir seltsam schwer. "Was ist mit Harry? Geht es ihm gut?"

Das Nicken meines Zukünftigen reichte mir.

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt