5 | 41. Kapitel

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Die gesamten drei Tage, die ich zur Genesung brauchte, weigerte ich mich, mit meinem Vater zu sprechen. Früher oder später würde ich nicht mehr darum herumkommen, doch bis dahin gedachte ich, ein Aufeinandertreffen aufzuschieben. Für wenige Augenblicke hatte ich sogar überlegt, Draco zu fragen, ob ich in den Ferien zu ihm kommen dürfe, verwarf diesen Gedanken dann allerdings ebenso rasch wieder. Manche Prozesse mussten nicht früher herbeigeführt werden als ohnehin nötig.

Selbstverständlich hatte mein Freund gefragt, was vorgefallen war. Ich hatte ihm nur vom Ministerium erzählt, alles danach Geschehene musste ich zuerst selbst einmal verarbeiten und hatte mich daher auf ausweichende Antworten verlegt. Einzig die Herkunft des langen Schnitts auf meiner Wange hatte ich ihm nicht verschweigen können. Er hatte die Information, seine Tante wäre dafür verantwortlich, recht gefasst aufgenommen, dennoch hatte ich ihm die Wut darüber ansehen können. Jedes Mal, wenn er bei mir gesessen hatte, hatte ich sie in seinen grauen Augen schimmern sehen. Mir selbst war die Narbe relativ gleichgültig. Wer wusste schon, wie viele noch kommen würden?

Ich hatte das Ende der Wendeltreppe erreicht und ergriff den schweren Türklopfer, um an die massive Eichentür zu klopfen.

Vor gerade etwa einer Stunde war ich aus dem Krankenflügel entlassen worden, mit der Anweisung, mich umgehend bei Professor Dumbledore im Büro einzufinden. Durch die Flure wandernd, ohne Zauberstab und somit vollkommen unbewaffnet, war ich mir seltsam ausgeliefert vorgekommen. Natürlich war es Unsinn, schließlich konnte mir in den Mauern hier nichts passieren, dennoch existierte dieses Gefühl, dass mich immer wieder zu einem hastigen Blick über die Schulter zwang. Ein Gefühl des Verfolgungswahns. Ebenfalls Unsinn. Nicht mehr allzu lange und ich selbst würde das Schlimmste sein, was mir passieren konnte.

"Herein", erklang nach einigen Sekunden die ruhige Stimme des Schulleiters. Ich zögerte nicht, sondern stieß die Tür auf. Das Büro sah noch genauso aus wie vor gut einem Jahr. Es war beruhigend zu wissen, dass es Dinge gab, die gleich blieben und nicht dem Zwang der Veränderung unterlagen. "Setz dich doch bitte." Über die Ränder seiner Halbmondförmigen Brillengläser sahen mir seine stechend blauen Augen ernst entgegen. Nur zu genau war ich mir der mächtigen Präsenz seines Geistes bewusst. Fast so mächtig wie die des dunklen Lords. 

Angespannt ließ ich mich auf die äußerste Kante des Stuhls sinken, musterte die Gemälde der verstorbenen Schulleiter an den Wänden, einfach, um ihn nicht ansehen zu müssen.

"Ein Zitronenbrausebonbon? Eine meiner liebsten ..."

"... Süßigkeiten aus der Welt der Muggel. Ja, ich weiß." Mein Ton triefte nur so vor Ungeduld. Ich war sicher nicht den ganzen Weg hier hochgekommen, um mir seine senilen Reden anzuhören. "Sie haben mir das letzte Mal bereits von ihrem Faible für diese Nascherei berichtet."

"Habe ich das?" Das Lächeln reichte nicht bis zu seinen Augen. Mit einem Räuspern sagte er: "Caitlyn, sicher kannst du dir denken, wieso ich um deine Anwesenheit gebeten habe?"

Schwer zu erraten war der Grund dafür ja nun wirklich nicht. Hätte ich mir nicht vorgenommen, meine Gefühle für mich zu behalten, hätte ich jetzt die Augen verdreht. Doch so musste der Schulleiter schlau aus meiner verschlossenen Miene werden. Vor meinem inneren Auge sah ich, wie ich meine Okklumentikschilde noch höher zog.

Ein weiteres schweres Seufzen. "Nun gut ... Wie mir Madame Pomfrey berichtete, war der junge Mr. Malfoy kaum von deinem Krankenbett fortzubewegen. Daher nehme ich an, dass du über die neuesten Ereignisse Bescheid weißt."

Ich hob eine Augenbraue. "Erleuchten Sie mich." Natürlich hatte mein Freund mir von so ziemlich allem berichtet, worüber ich ihn ausgefragt hatte, dennoch würde mich die Sicht des Schulleiters auf diese Dinge brennend interessieren. Es war höchst wahrscheinlich, dass er deutlich mehr wusste, als bisher an meine Ohren gedrungen war. Ob er dieses Wissen mit mir teilen wollte, war eine Frage, auf deren Antwort ich äußerst gespannt war.

"Ich habe dich im Ministerium kämpfen sehen. Du bist äußerst fähig. Mit dem richtigen Ansporn vermutlich tödlich." Verwirrt biss ich auf meiner Wange herum. Worauf wollte er hinaus? Er konnte unmöglich irgendetwas wissen. "Wo bist du aufgetaucht?"

Dumbledore steckte sich ein weiteres Bonbon in den Mund und sah mich mit einem Blick an, als würde es ihn brennend interessieren. Tat es vermutlich auch. "Was meinen Sie?"

"Nun, es ist mir ein Rätsel, wie Bellatrix den Fluch zustande bringen konnte, der dich direkt aus der Todeskammer fortschaffen konnte. Alle haben gesehen, wie du zusammengebrochen und, noch ehe du den Boden erreichen konntest, einfach ins Nichts verpufft bist." Er griff nach seinem Zauberstab und ließ mit einem minimalen Schwenk seines Zauberstabs einen kleinen Beutel vor sich auf dem Tisch erscheinen. "Wenn man weiß, wo sich etwas befindet, kann man es herbeirufen. Mit einem genauen Ziel schaffen es fähige Zauberer sogar, es wieder an ihren Ursprungsort zurückzuversetzen oder an einen vorher ausgewählten Zielort zu befördern. Ich würde Miss Lestrange zwar zutrauen, dass sie fähig ist, dennoch müsste sie den Ort vorher genauestens ausgesucht haben. Verstehst du? Es kann keine Kurzschlusshandlung gewesen sein."

Dumbledore verstummte. Ich konnte seinen Blick auf mir ruhen spüren, jedoch wollte ich ihn nicht erwidern. Das war also die Antwort darauf, wie ich aus dem Ministerium hatte herausgeschafft werden können. Aber insofern der Schulleiter die Wahrheit sprach – und um ehrlich zu sein, hatte ich da kaum Zweifel dran – dann war es vorher ... "Kann es nicht sein, dass ein solcher Ort vorher bestimmt wird? Sozusagen als Paketanlaufstelle, falls man Mal eins hat?", fragte ich. So ganz konnte ich einen Anflug von Verzweiflung nicht aus meiner Stimme verbannen. "Mr. Storm, ein alter Muggel aus der Nachbarschaft, wollte uns mal für die Post als Empfänger angeben. Mein ... Vater ist ... er war nicht sehr erfreut."

"Nein." Hinter ihm an der Wand auf einem der Gemälde hustete ein alter Zauberer mit Spitzhut, wurde aber von Dumbledore ignoriert. "Auch wenn ich die Erfindungen der Muggel zum Teil überaus interessant finde, muss ein solcher Ort innerhalb von vierundzwanzig Stunden ausgesucht werden."

"Das heißt also, dass geplant war ..." Ich schluckte. Schluckte ein weiteres Mal und konnte nur mit Mühe ein Hinaufzucken meiner Hand zu der Narbe auf meiner Wange verhindern. "Selbst wenn sie die Prophezeiung erhalten hätten, hatten sie nie vor, ihn gehen zu lassen?"

Es bedurfte keiner Erklärungen um deutlich zu machen, wen ich meinte. Wir alle hatten in dieser Nacht Opfer gebracht. Ich hatte zwar nicht die geringste Ahnung, was genau mit ihnen passiert war, allerdings hatten sowohl Ron als auch Hermine mit mir im Krankenflügel gelegen. Während die Muggelstämmige bei jeder Bewegung zusammengezuckt war, hatte Ron jeden in seinem Umfeld angemotzt. Auch meinen Bruder hatte ich einmal gesehen. Draco war hastig aufgesprungen und hatte den Vorhang um mein Bett wieder zugezogen, doch es hatte gereicht, um den Ausdruck der Niedergeschlagenheit in der Miene Harrys zu sehen. Wir hatten Sirius verloren.  Er hatte sicherlich ordentlich daran zu knabbern gehabt.

"Es muss nicht bedeuten, sie hätten Harry mitgenommen", antwortete Dumbledore ruhig. "Vielleicht sollten sie im Notfall einfach einen Ausweg haben, damit der, der schließlich die Prophezeiung erhält, die Chance hat zu fliehen, auch wenn die anderen festgesetzt werden."

In der Ecke schlug eine Uhr. Sollte ich fragen? Wollte ich es überhaupt wissen?

"Professor, wovon handelte die Prophezeiung?"

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt