5 | 13. Kapitel

3.7K 222 43
                                    

Tatsächlich sollte es noch einige Tage dauern, bis ich mehr über den Inhalt von Dracos Brief erfuhr. Es war Dienstag, als ich mal wieder als eine der Letzten meines Hauses hinauf in die große Halle zum Frühstück lief und dort ein ungewöhnlich lautes Stimmengewirr vorfand. Umgehend fiel mein Blick auf meinen Bruder, der normalerweise so gut wie immer als Grund für Aufregung in Hogwarts herhielt, doch er hatte den Kopf mit Hermine und Ron zusammengesteckt und wirkte vollkommen unschuldig.

Meinen zweiten Blick schenkte ich dem Lehrertisch an der Stirnseite der Halle, direkt unter den vier Hausbannern. Für seine Verhältnisse blickte mein Vater ungemein finster drein und hackte, ohne hinzusehen, mit der Gabel auf was auch immer auf seinem Teller lag ein. Seine Aufmerksamkeit hatte er ganz offensichtlich auf die Mitte der Tafel fixiert, wo Umbridge mit schrecklich selbstzufriedener Miene saß und auf die aufgeregt murmelnden Schüler hinuntersah.

Verwirrt durchquerte ich die Halle und kam kurz darauf am Slytherintisch an. Umringt von einer Zahl von Schülern, einen Tagespropheten in der Hand, stand Draco an seinem üblichen Platz. Als er mich sah, wurde seine triumphale Miene von einem besorgten Ausdruck abgelöst und er faltete die Zeitung rasch zusammen. "Morgen, Cat. Du bist ja auch endlich wach. Ich hatte schon befürchtet, ich müsste dich persönlich aus dem Bett schmeißen."

Ohne großartig auf seine Aussage einzugehen oder die anderen Schüler um uns herum zu beachten, ließ ich meine Tasche auf die Bank fallen und angelte mir den Propheten. Seine Hand zuckte kurz, als wolle er mich daran hindern, doch er beherrschte sich und spannte nur den Kiefer an. Meine vage Ahnung, dass mir der Grund für die allgemeine Aufregung nicht gefallen würde, bestätigte sich umgehend, kaum hatte ich das Papier auseinandergefaltet.

Wie eine große, pinke Kröte, blickte mir unsere Verteidigungslehrerin entgegen, die mir direkt unter der schwarzen Schlagzeile bedächtig zuzwinkerte. 

MINISTERIUM STREBT AUSBILDUNGSREFORM AN. DOLORES UMBRIDGE IN DAS NEU GESCHAFFENE AMT DER GROßINQUISITORIN BERUFEN.

Eine kalte Gänsehaut lief mir den Rücken hinunter und unwillkürlich stieg Galle in meiner Kehle hoch. Das war ein Scherz. Das musste einfach ein Witz sein. Angestrengt zwang ich mich weiterzulesen:

In einem überraschenden Schritt hat das Zaubereiministerium gestern Abend ein neues Gesetz verabschiedet, das ihm ein beispielloses Maß an Verfügungsgewalt über die Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei gewährt. "Der Minister ist seit geraumer Zeit zusehends beunruhigt über die Vorgänge in Hogwarts", erklärte Percy Weasley, der Juniorassistent des Ministers. "Er reagiert nun auf die kritischen Stimmen besorgter Eltern, die den Eindruck haben, dass sich die Schule in eine Richtung entwickelt, die sie nicht gutheißen."

Ich blickte auf. Meine braunen Augen verhakten sich in den grauen Dracos. Die Sorge in ihnen nahm mir fast den Atem. "Du wusstest es bereits, habe ich recht? Dein Vater war einer von denen, die Hogwarts kritisiert haben. Er hat es dir Samstag in den Brief mitgeteilt, stimmt es?", fragte ich leise.

Etwas wie Erleichterung glomm in seinen Augen auf, verschwand jedoch so schnell wieder, wie sie gekommen war. Der blonde Slytherin nickte knapp. "Umbridge hat mit diesem Erlass die Befugnis, den Unterricht unserer Lehrer zu inspizieren und sie gegebenenfalls zu entlassen. Lies weiter. Es wird noch ausführlich erklärt."

Seiner Aufforderung nachkommend, widmete ich mich wieder dem Artikel vor mir und ignorierte Noreen und die anderen, die allmählich ihr Frühstück beendeten und scheinbar noch einen kurzen Abstecher zurück in den Gemeinschaftsraum planten, um ihre Taschen zu holen. Beiläufig griff ich nach einem Glas Kürbissaft und trank einige Schlucke, die ich jedoch beim nächsten Absatz beinahe wieder ausspuckte.

"Mir ist viel leichter ums Herz, jetzt, da ich weiß, dass Dumbledore einer fairen und vorurteilslosen Beurteilung unterzogen wird", sagte Mr Lucius Malfoy, 41, gestern Abend auf seinem Landsitz in Wiltshire. "Viele von uns, denen das wohlverstandene Interesse unserer Kinder ein echtes Anliegen ist, waren in Sorge über einige von Dumbledores launenhaften Entscheidungen, während der letzten Jahre und sind nun froh zu wissen, das das Ministerium die Lage im Auge behält."

Zu diesen launenhaften Entscheidungen gehören zweifellos umstrittene Stellenbesetzungen, von denen wir in dieser Zeitung bereits berichteten, darunter die Einstellung des Werwolfs Remus Lupin, des Halbriesen Rubeus Hagrid und des unter Wahnvorstellungen leidenden Ex-Auroren 'Mad-Eye' Moody.

Angewidert klappte ich den Propheten zu und schob ihn von mir. "Ich wusste, dass dir der Gedanke nicht gefallen würde", gab mein Freund zu und leerte mit einem letzten langen Zug sein Glas. 

Am liebsten hätte ich ihm die Strähne, die ihm daraufhin in die Stirn fiel, weggestrichen, doch stattdessen tat ich es ihm gleich und stand auf. Eisig sagte ich: "Da liegst du verdammt richtig. Du weißt sehr genau, dass meine Gründe nicht einfach aus der Luft hergedichtet sind."

Schließlich hatte ich mich noch gestern Abend mit ihm und Noreen, am Kaminfeuer sitzend, darüber unterhalten, hatte mich mehr geöffnet, als gut für mich war. Sehr, sehr leise fuhr ich fort: "Diese Frau ist eine Gefahr. Wenn das Ministerium seinen jetzigen Kurs beibehält und die Rückkehr des dunklen Lords weiterhin leugnet, dann will ich nicht wissen, was passiert, sollte man uns beide belauschen oder einen meiner Briefe abfangen. Das könnte mein Leben verändern, aber nicht zum Positiven. Es könnte mich sogar umbr-"

Dracos raue Lippen auf meinen unterbrachen meinen Redefluss. Meine Knie wurden weich. Für einige Millisekunden erlaubte ich es mir, den Kuss zu erwidern, in seinem Geruch nach Wacholder und Minze unterzugehen, zu ertrinken, dann löste ich mich abrupt. Seine Hand in meinem Rücken verhinderte ein Entkommen, allerdings legte ich meine Finger auf seine Brust, in dem verzweifelten Versuch, ein wenig Abstand zwischen uns zu schaffen. 

Hier und jetzt durch seine Lippen zu weich zerfließendem Wachs zu werden, meine Selbstbeherrschung über Bord zu werfen und die Seiten an mir zu zeigen, die bisher nur sehr wenige Leute je gesehen hatten, war genau das, was ich vermeiden wollte. Dennoch fehlte genau dazu nicht mehr viel. Krampfhaft versuchte ich, mich zu sammeln, seinen Geruch nicht mehr so tief einzuatmen, da er mir ja doch nur meine Sinne vernebelte. 

Überdeutlich nahm ich die Stimmen um uns herum war, bildete mir ein, Umbridges Glubschaugen auf uns beiden ruhen zu spüren und ihr eine der stärksten Waffen gegen mich in die Hand gelegt zu haben. "Lass mich los Draco, wir können nicht ...", setzte ich an, obwohl ich mir seiner Nähe nur allzu genau bewusst war und nichts lieber wollte, als dicht an dicht so mit ihm zu verharren. 'Nein', sagte ich mir. 'Das ist falsch. Deine gesamte Beziehung zu Draco ist falsch und bringt nicht nur dich, sondern auch deinen Bruder in Gefahr. Du musst es beenden, ehe es zu spät ist. Denke auch an ihn, denke an Draco. Riskiere nicht sein Leben, sondern lass ihn gehen.'

All diese Versuche, mich selbst zu überzeugen, verliefen ins Nichts, als Draco leise zu mir sagte: "Eben darum ist dies kein Thema, um es hier mitten in der großen Halle zu erläutern. Komm, wir müssen in den Unterricht. Soweit ich weiß, kommt Professor Umbridge ihren Aufgaben gerne unmittelbar nach."

Ergeben nickte ich, ignorierte die neugierig starrenden Blicke um uns herum und machte mich erhobenen Hauptes, die Hand mit Dracos verschränkt, auf den Weg zu unserer ersten Stunde heute – Verwandlung bei Professor McGonagall. Seine raue Haut an meiner spürend, wurde mir eins klar. Nicht ohne Grund war ich in Slytherin, obwohl sowohl mein Bruder, als auch meine leiblichen Eltern und soweit ich wusste auch meine Urgroßeltern in Gryffindor waren. Ich war viel zu egoistisch, um ihn einfach loszulassen.

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt